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Show Angela Merkel besucht die Türkei, um sich ein Bild von der Flüchtlingslage zu machen. Unter den Syrern gilt das von ihr besuchte Lager als „5-Sterne-Camp“. Unterdessen wartet jenseits der Grenze die nächste Krise

Aus Nizip Inga Rogg

In Deutschland steht Angela Merkel wegen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei unter Druck. Auf Visite im türkischen Flüchtlingscamp wird sie dagegen hofiert. Gemeinsam mit hochrangigen EU-Vertretern und dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoğlu besuchte Merkel ein Flüchtlingslager in Nizip, knapp fünfzig Kilometer östlich von Gaziantep. Für EU-Ratspräsident Donald Tusk und Frans Timmermans, den ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, die ebenfalls zu Besuch sind, interessiert sich an diesem Tag kaum jemand. Alles dreht sich um Merkel. In Gaziantep hat eine europäische Lobbyorganisation von Davutoğlus AKP Plakate mit ihrem Konterfei aufgehängt. An der Zufahrt zum Camp hängen Banner auf Türkisch – und Deutsch.

Schutz für Merkel

„Die Deutschen haben uns Syrer an Bahn- und Busbahnhöfen willkommen geheißen. Das ist eine große Geste“, sagt der Campbewohner Mahmud al-Dibo aus Aleppo. „Indem sie trotz aller Opposition an ihrer Politik festhält, zeigt Merkel große Humanität.“ Einen „Engel“, nennen manche Syrer die Kanzlerin. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig davon während Merkels Besuch im Camp Nizip 2 davon zu spüren ist. Kurz vor ihrer Ankunft drängeln sich Kinder, Jugendliche und Männer am Zaun rund um das Lager. Doch die Sicherheitskräfte vertreiben sie. Jedes Gespräch mit Journalisten versuchen sie zu unterbinden.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. Rings auf den Hügeln, die das Camp, das an einem Stausee liegt, sind Schützen der Gendarmerie positioniert, Helikopter kreisen in der Luft, als der Konvoi mit Merkel am frühen Samstagabend eintrifft. Auf dem Bus mit der Kanzlerin, Davutoğlu, Tusk und Timmermans stehen zwei in Schwarz gekleidete Scharfschützen. Als Merkel aus dem Bus steigt, wird sie von vier Mädchen in cremefarbenen traditionellen Kleidchen mit Blumen in der Hand begrüßt. „Sie hat mit uns gescherzt“, schwärmt Henaya Ayman anschließend. Vor eineinhalb Jahren ist das Mädchen mit seiner Familie aus Syrien in die Türkei geflohen. Ihr gehe es gut hier, sagt die 15-Jährige. An Merkel habe sie nur einen Wunsch: Sie möge die Zusammenführung von Familien ermöglichen, die durch die Flucht getrennt wurden.

Von Sicherheitskräften umringt, ziehen Merkel und der Tross weiter in das Camp. Die Journalisten müssen draußen bleiben. Am Eingangstor stellen ausgewählte Flüchtlinge Zeichnungen von Davutoğlu, Merkel, Tusk und Timmermans aus.

Nach der Eröffnung eines von der EU finanzierten Kinderschutzzentrums in Gaziantep loben Merkel und die EU-Vertreter auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Türkei für ihre Flüchtlingspolitik. Niemand müsse die Türkei in dieser Frage belehren, sagt Tusk. Tatsächlich hat die Türkei viel getan. Mehr als zweieinhalb Millionen Flüchtlinge hat sie aufgenommen, was das Land nach eigenen Angaben bereits 10 Milliarden Euro gekostet hat. Das Camp Nizip 2 gilt unter Syrern freilich als „5-Sterne-Camp“. Hier leben die rund 5.000 Flüchtlinge in Kabinen, nicht in Zelten, auch sonst fehlt es an nichts. Das ist nicht in allen Unterkünften so, und nur ein Zehntel der Flüchtlinge lebt überhaupt in Camps. Alle anderen müssen sehen, wie sie zurechtkommen.

Merkel lobt, dass die Türkei den Syrern inzwischen eine Arbeitserlaubnis erteilt. In der Praxis hat sich an der Rechtlosigkeit der syrischen Arbeitskräfte freilich nichts geändert. Das Wichtigste wäre die Anerkennung als Flüchtlinge, sagt der Bewohner al-Dibo, der in Syrien als Anwalt gearbeitet hat. „Dann hätten wir endlich Rechte, die wir auch einfordern können.“ Zudem kann die Mehrheit der Kinder keine Schule besuchen. Dies soll der EU-Türkei-Deal ändern, der Zahlungen in Höhe von 6 Milliarden Euro für Projekte in der Türkei vorsieht. Hauptziel des Deals ist es, die Flucht von Syrern nach Griechenland und von dort nach Zentraleuropa zu unterbinden. Dabei sprach sich Merkel am Samstag auch für die Einrichtung einer Schutzzone auf syrischem Gebiet nördlich von Aleppo aus.

Schutz für Aleppo

Doch genau dort braut sich unterdessen die nächste Krise zusammen. Das Regime hat eine militärische Offensive auf die Rebellenhochburg gestartet. Gleichzeitig liefern sich nahe der türkischen Grenze Extremisten des Islamischen Staats, Rebellen und kurdische Kämpfer heftige Gefechte. Mehr als 20.000 Personen seien vor den jüngsten Kämpfen geflohen, sagt Ali al-Sheikh, der direkt an der Grenze in Syrien Flüchtlinge betreut. Er zeigt Fotos von Flüchtlingen, die auf Matten im Freien campieren. Die Türkei lässt aber nur noch Verletzte ins Land. Wer dennoch versucht, über die Grenze zu fliehen, auf den würden türkische Soldaten schießen, berichten Flüchtlinge und internationale Helfer. Wie Merkel für Sicherheit in der „Schutzzone“ sorgen will, sagte sie am Samstag nicht.

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