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Kommentar Grundsicherung RenterInnenAlt, arm und alleingelassen

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Die Rentenreform wird Wahlkampfthema, doch die Große Koalition hat kein angemessenes Konzept. Erforderlich ist eine Mindestrente.

Mit dem Hobby die Rente aufbessern: zum Beispiel mit der Einrichtung eines Zollstockmuseums Foto: dpa

E s sind die Verboten eines Phänomens, das viele Millionen treffen wird: Die Zahl der Menschen in Deutschland, die im Alter oder aufgrund einer Erwerbsminderung auf Grundsicherung angewiesen sind, ist im vergangenen Jahr auf über eine Million gestiegen. Seit Einführung der Sozialhilfe für SeniorInnen im Jahr 2003 hat sich die Zahl der BezieherInnen verdoppelt. Sozialverbände weisen darauf hin, dass es noch viel mehr arme RentnerInnen gibt. Aus Scham beantragen viele die Fürsorgeleistung nicht.

Es ist kaum zu glauben: Ein Durchschnittsverdienst von 2.500 Euro brutto im Monat reicht nicht aus, um eine Rente über der Armutsgrenze zu bekommen. Beschäftigte müssen hierzulande überdurchschnittlich gut verdienen, um im Alter eine Rente in Höhe des Existenzminimums zu bekommen. In Zukunft werden noch viel mehr Menschen auf Grundsicherung angewiesen sein.

Wohlfahrtsverbände fordern mit Blick auf die steigenden Zahlen der BezieherInnen von Grundsicherung eine umfassende Rentenreform. Sie sind reichlich spät dran. Die jetzt sichtbar werdende Massenaltersarmut ist die Spätfolge jener rot-grünen Rentenreform um die Jahrtausendwende, die RentenbeitragszahlerInnen durch Absenkung der Ansprüche quasi enteignet und Milliarden in die Kassen der Versicherungskonzerne gespült hat.

Doch was die Große Koalition anbietet, wird das Rentendesaster nicht beenden. Die CDU glaubt trotz Niedrigzinsphase und Riester-Renten-Flop noch immer an die private Altersvorsorge. CSU-Chef Horst Seehofer und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) haben die Rente zwar als Wahlkampfthema entdeckt. Aber was sie sich unter „Reform“ vorstellen, wird an der Altersarmut für fast alle nicht viel ändern.

Es geht nicht darum, ob das Rentenniveau um einige Prozentpunkte mehr sinkt oder nicht. Erforderlich ist ein neues Modell für die Absicherung von SeniorInnen: eine Mindestrente.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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9 Kommentare

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  • man vergleiche den Rentenanspruch einer Krankenschwester mit dem Rentenanspruch eines Arztes, die beide im gleichen Krankenhaus arbeiten:

     

    Die Krankenschwester ist in der gesetzlichen Rentnversicherung, der Arzt hat die Möglichkeit zur Versicherung im berufsständischen Versorgungswerk. Da das berufsständische Versorgungswerk die Beiträge anspart, bekommt der Arzt für jeden in die Rentenversicherung einbezahlten Euro etwa doppelt so viel Rente, wie die Krankenschwester.

     

    Dieses System ist offensichtlich gleichheitswidrig und ungerecht. Die Krankenschwester wird zwangsweise zur Bezahlung von Renten-Altlasten herangezogen, der Arzt nicht.

     

    Man kann sich nur wundern, dass sich die in der gesetzlichen Rentenversicherung Zwangsversicherten diese Ungleichbehandlung gefallen lassen.

  • Altersarmut ist vermeidbar! Man muss es nur wollen. Hier die besten Tipps zusammengefasst:

    http://www.der-postillon.com/2016/04/9-hilfreiche-tipps-gegen-altersarmut.html

  • Was soll der Unsinn mit einer Mindestrente? Wenn die unter der Grundsicherung liegt, dann ändert sich nichts! Ist die Rente auf Höhe der GruSi, ändert sich für die Betroffenen höchstens der Ämteraufwand. Also muss die Mindestrente über der GruSi liegen. Hier muss die Finanzierung geklärt werden. Am besten über ein einheitliches Alterversorgungssystem. Angestellte, Beamte, Freiberufler, alle in einem System. Wenn alle Einkunftsarten zur Finanzierung mit herangezogen werden, dann reicht das Geld auch für ordentliche Alterbezüge.

    Doch hier werden die Beamten blockieren, bekommen sie doch im Schnitt fast drei mal so viel wie ein Rentner.

    Es soll nicht jeder gleich viel bekommen, war übrigens in der DDR auch nicht so, sondern schon beitragsbezogen. Nur eben mehr, da auch die Einkünfte des Kapitals mit herangezogen werden.

  • Mindestrente ist genauso eine Täuschung wie Mindestlohn. Ich habe schon in meinem vorherigen Leserbrief der natürlich nicht gezeigt wird geschrieben warum.

    Beide sind leicht nach unten zu regulieren. Rentnern die Jahrzehntelang gearbeitet haben bekommen Abzüge und die die Dank Konzerninteressen keine Arbeit mehr hatten müssen statt Sozialhilfe mit durchgezogen werden mit Rente. Der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht. Banken horten Geld und das Volk geht leer aus.

  • Und am besten nicht nur eine Mindestrente, sondern gleich auch eine Maximalrente, die vielleicht doppelt so hoch ist. Dann wird auch eine großzügige Mindestrente finanzierbar.

    Wer überdurchschnittlich verdient, hat die Möglichkeit, sich im Laufe des Berufslebens etwas zurückzulegen, sodass er oder sie im Alter über die gesetzliche Maximalrente hinauskommt. Wer von der Hand in den Mund leben muss, schafft das nicht.

  • Volle Zustimmung. Jetzt wird es doch langsam sichtbar, das Rentenproblem, dass jahrzehntelang verdrängt, schöngeredet, verleugnet wurde. Es hieß immer, jeder solle gefälligst selbst für sein Alter vorsorgen. Wer das nicht schaffe, sei nur zu doof und müsse eben noch bekehrt werden, bei einer Versicherung einen Vertrag abzuschließen. Daß durch politisch gefördertes Lohndumping sehr viele Menschen gar nicht in der Lage waren, irgendetwas zurückzulegen, hat man nicht wahrhaben wollen. Wer das behauptete, wurde als Miesepeter oder linker Spinner abgetan. Und jetzt - pardautz! purzelt man völlig unverhofft über eine große Masse von potentiellen Wählern, die entweder schon in der Altersarmut gelandet sind oder darauf zusteuern. Und die werden immer mehr.

    Das konsequente Augen-Zu-und-Durchregieren, vorbei an den Interessen der "Untertanen", trägt jetzt Früchte. Siehe die letzten Wahlen.

    Tja... ein paar steinreiche Konzernlenker aus der Versicherungsbranche können eben doch nicht das Wahlergebnis retten. Es sei denn, man ändert die Gesetze und zieht Wahlen durch wie in den USA... aber wir wollen ja nicht den Teufel an die Wand malen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Eine der übelsten Maschen mit denen die gesetzliche Rentenversicherung kaputtgeschrieben werden sollte (siehe auch heute WELT Online) war die Generationenfrage, oder plump gesagt: die Alten leben auf Kosten der Jungen. Dass sämtliche Rentenbremsfaktoren nicht nur die gegenwärtigen Ansprüche, sondern (durch den Wert eines Rentenpunktes) alle künftigen schmälern, wurde dann oft nicht so explizit gesagt.

    Alles in allem - fast mafios und kriminell anmutende Demontage einer bis dato funktionierenden sozialen Sicherung.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Sie sprechen mir aus der Seele

  • Man schaue sich einfach einmal das Modell der Schweiz an, wie diese ihre Renten finanziert, im Übrigen wird dieses schweizer Modell von der Linken im Bundestag vertreten.