Noiserock kommt zurück: Brutal ohne Pimmelhaftigkeit

Patrick Wagners zu Unrecht in Vergessenheit geratene Band Surrogat hat einen Nachfolger: Seine neue Band Gewalt knüpft an vergangene Großtaten an.

Wer tiefer stapelt, erscheint vorübergehend fade: die Berliner Band Gewalt Foto: promo

HAMBURG taz | Zwei Songs gibt es bislang, mehr noch nicht, auf einer Single mit dem Titel „Szene einer Ehe“. Die Band „Gewalt“ hat grad erst angefangen, will es nun aber auch gleich merklich wissen. Was da zu hören ist, kommt mit großer Geste um die Ecke und ist sehr raumgreifend.

Der Drumcomputer hat sich im Noiserock nie wirklich durchsetzen können, trotz Big Blacks unverwüstlichen Klassikers „Songs about Fucking“. Bei Gewalt marschiert er nun wieder so herzlos drauf los, als hätten wir 1987. Darüber legen sich ohrenbetäubende Gitarren und das aufgebrachte Geschrei eines „Sängersubjekts“ (Ole Petras), dem es hörbar nicht gut zu gehen scheint.

Die Tragweite des Ganzen kann nur ermessen, wer die Zeit bewusst erlebt hat, in der deutschsprachiger Indie noch kein Synonym für idiotenfrohen Abiturienten-Deutschrock war. Bei Gewalt singt Patrick Wagner, von 1994 bis 2003 Anführer der Berliner Band Surrogat. Musik und Texte waren damals in ihrem vor sich hergetragenen Größenwahn in der deutschen Indie-Landschaft singulär. Wo man sich ansonsten sensibel, reflektiert und bescheiden gab, reihte Wagner eine Welteroberungsparole an die nächste.

Surrogat forderten den Hörer freundlich, aber bestimmt auf, ihnen zu folgen (“Ich weiß, was zu tun ist/ ich bin in einer Band“), versprachen Euphorie und Katharsis (“Gib mir alles/ muss zerstört werden“) und beharrten auch im auf der letzten Platte „Hell in Hell“ antizipierten Scheitern auf der eigenen Unzerstörbarkeit: „Wir sind immer oben/ und wenn wir unten sind/ ist unten oben“.

2003 folgte der Bandsplit, 2006 die Pleite von Wagners Label Kitty-Yo, die Gründung des neuen, Louisville Records, kurz darauf die erneute Pleite. Egal, die Ansage war klar und deutlich: Wie es aussieht, wenn ich auf die Fresse flieg, bestimme ich immer noch selbst, erklärt das Sängersubjekt. Im Kern, erklärte Wagner damals, ging es ihm um die Überwindung von Angst.

Surrogats Musik war ein allemal laut Freitag „brutaler Rockentwurf“. Wundersamerweise kam die Band trotzdem ohne aufdringliche Pimmelhaftigkeit aus. Die Gitarre schabte zackig-vertrackt, der 4/4-Takt wurde zugunsten von Math-Rock-Getrommel vermieden, kurz: Das alles war viel zu störrisch für die Indie-Disco wie auch fürs Stadion.

Mit der von Surrogat unironisch zur Schau gestellten Hybris ging immer auch eine eklatante Zerrissenheit einher. Auf den fünf Platten der Band sind einige sehr genaue Songs über kaputte Beziehungen zu finden. Mit nur wenigen Sätzen entfaltete Wagner ganze Szenarien von vergeblichen Versuchen, einander zu lieben.

Zwischenmenschliches Elend auf drei Zeilen

Alles das trifft auch auf Gewalt zu, bis auf den 4/4-Takt. Heute rattert der Rhythmus geradeaus und automatisiert. Ansonsten knüpft Patrick Wagner an Bewährtes an, und doch klingt die Band neu und anders. Das Titelstück der Single dampft zwischenmenschliches Elend präzise auf drei Zeilen ein.

Die manische Alle-uns-nach-Attitüde Surrogats ist Geschichte, stattdessen stemmt man sich mit Händen und Füßen gegen das Unvermeidbare. „Arbeit/ Krankheit/ Tod“, heißt es in „Pandora“, dem zweiten Stück, so ist die Welt, und „Verletzung sucht uns heim/ wie eine Sucht“. Im Video zum Song sieht man Wagner, Bassistin Yelka Wehmeier und die Gitarristin Helen Henfling im gebetshaften Kriechgang durch Berlin robben.

„Mit größtmöglicher Wucht und Nachdrücklichkeit die Unmöglichkeit und gleichzeitig Unumgänglichkeit des Seins formulieren“, nennt die Band das mit allem existenziellen Pathos. Darunter macht man es nach wie vor nicht. Tatsächlich erscheinen einem nach den ersten fünf Minuten Gewalt alle Bands, die tiefer stapeln, vorübergehend sehr fade.

Ein Live-Mitschnitt von „Szene einer Ehe“ aus dem November letzten Jahres zeigt an, dass Gewalt ihrem Namen mit allem Nachdruck gerecht werden wollen. „Leute erzählen uns, sie hätten geweint“, lässt die Band nach dem ersten Konzert nicht ohne Stolz verlautbaren.

Hamburg: 30.3., Hafenklang

Bremen 31.3., Kulturzentrum Lagerhaus

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