: „Jetzt den Schalter umlegen“
BILDUNG SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil will, dass der Bund Tausende Stellen für LehrerInnen und Kita-ErzieherInnen bezahlt. Dumm nur: Das geht eigentlich nicht
InterviewAnna Lehmann
taz: Herr Heil, Sie wollen ein Bildungspaket für die Integration von Flüchtlingen. Was steckt drin?
Hubertus Heil: Wir wollen eine nationale Bildungsallianz von Bund, Ländern und Kommunen. Diese ist nicht nur auf Flüchtlinge beschränkt, sondern soll die Bildungschancen für alle in diesem Land verbessern. Aber die Situation hat sich natürlich mit den Flüchtlingen massiv geändert. Allein im Jahr 2015 sind rund 235.000 zusätzliche Kinder im schulpflichtigen Alter nach Deutschland gekommen. Hinzu kommen schätzungsweise 100.000 Kinder im Kindergartenalter. Darauf ist unser Bildungssystem bisher nicht vorbereitet, wir müssen jetzt den Schalter umlegen und es qualitativ neu aufstellen. Wir brauchen zusätzliche Betreuer, Sozialarbeiter und Lehrkräfte. Uns fehlen etwa 24.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer.
Sie denken, dass die Länder und Kommunen, die ja für Kitas und Schulen zuständig sind, überfordert sind?
Ohne massive finanzielle Unterstützung der Bundesebene wird es nicht gehen. Und ab 2019 greift dann auch noch die Schuldenbremse, dann dürfen die Länder keine neuen Kredite aufnehmen, um ihre Aufgaben zu finanzieren. Ich werbe also für einen Nationalen Bildungsgipfel von Bund, Ländern und Gemeinden, um einen bildungspolitischen Neuanfang einzuleiten.
Den Bildungsgipfel soll wer ausrichten?
Die Bundesbildungsministerin. Frau Wanka, die sich derzeit vor allem als Wissenschaftsministerin präsentiert, muss ihrer Verantwortung im Bildungsbereich gerecht werden.
Damit der Bund in der Schulpolitik mitmischen darf, müsste aber das Grundgesetz geändert werden. Damit ist die SPD vor gut einem Jahr gescheitert. Wieso sollte es jetzt klappen?
Ich will nicht die Schlachten der Vergangenheit schlagen, ich habe die Probleme von heute vor Augen. Das Kooperationsverbot ist ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum. Wir haben es geschafft, das Grundgesetz so zu ändern, dass der Bund die Länder im Wissenschaftsbereich unterstützen darf. Wieso sollte, was für Hochschulen möglich ist, nicht auch für Schulen möglich sein?
Weil die Union, auch in Person von Frau Wanka, aber auch SPD-Genossen in den Ländern dagegen sind, dass ihnen der Bund in ihren Kompetenzbereich pfuscht?
Wir wollen den Ländern gar keine Kompetenzen wegnehmen, sondern sie unterstützen, diese wahrzunehmen. Das ist auch im Sinne der Bildungsgerechtigkeit geboten. Es kann doch nicht sein, dass finanzstarke Länder in den Bildungsbereich investieren können, während schwächere kürzen müssen. Aber ich betone: Ich will kein Bundeskultusministerium schaffen, bei den Zuständigkeiten ändert sich nichts.
43, ist seit 2009 Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereiche Bildung und Forschung sowie Wirtschaft, Energie und Tourismus.
Sehen Sie irgendwo die notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine erneute Grundgesetzänderung?
Es gibt Signale aus den unionsgeführten Ländern, ich denke da etwa an Frau Kramp-Karrenbauer im Saarland, dass diese ähnlich vernünftig denken. Und die SPD hat die Frage, wie Bund und Länder kooperieren, bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen mit auf die Agenda gesetzt. Eine Entscheidung über die Finanzbeziehung muss in den nächsten Wochen fallen, damit die Neuordnung noch bis zum Jahresende greift.
Mal angenommen, die SPD setzt sich durch: Welchen finanziellen Umfang sollte das Bildungspaket haben?
In dem von den SPD-Ministerpräsidentinnen und -Ministerinnen vorgeschlagenen 5-Milliarden-Paket für Integration sind auch die Maßnahmen für den Bildungsbereich enthalten. Wobei ich glaube, dass 5 Milliarden Euro pro Jahr nicht reichen. Das ist eine untere Grenze, die Mittel müssen womöglich jährlich aufgestockt werden.
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