Kommentar Feuerpause in Syrien: Beidseitiger Kontrollverlust
Eine Waffenruhe in Syrien ist mittlerweile im Interesse Washingtons und Moskaus. Doch würden die anderen am Krieg Beteiligten mitmachen?
Kommt nun endlich eine Feuerpause in Syrien? Und die ungehinderte Versorgung von über 4,5 Millionen notleidenden Menschen? Die Worte „vorläufig“ und „grundsätzlich“, mit denen US-Außenminister Kerry die mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow erzielte „Verständigung“ beschrieb, lassen nur gedämpften Optimismus aufkommen.
Aber es gibt triftige Gründe dafür, dass die Regierungen in Washington und Moskau inzwischen an einer Feuerpause interessiert sein könnten: Beide verlieren zunehmend an Einfluss und Kontrolle über ihre jeweiligen Verbündeten im Syrienkonflikt.
Assad hat dem unter Mitwirkung Russlands erstellten Friedensfahrplan für Syrien letzte Woche öffentlich eine Absage erteilt, er proklamiert die militärische Rückeroberung des gesamten syrischen Territoriums. Washingtons Nato-Verbündeter Türkei eskaliert den Krieg gegen die syrischen Kurden, die von den USA wiederum als Bodentruppen zur Bekämpfung des „Islamischen Staats“ benötigt werden.
Es droht eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Türkei und Russland, durch die die USA und die anderen Nato-Staaten ungewollt unter Druck geraten könnten, Ankara militärischen Beistand leisten zu müssen.
Auch der westliche Verbündete Saudi-Arabien droht immer unverhohlener, mit seiner Luftwaffe oder gar mit Bodentruppen aufseiten der salafistischen Oppositionsmilizen in den Krieg einzugreifen. Worauf der Iran wahrscheinlich mit einer verstärkten militärischen Unterstützung von Assads Regierungstruppen reagieren würde.
Die Gemengelage in Syrien ist viel komplizierter als in den Stellvertreterkonflikten, die die USA und die ehemalige Sowjetunion während des Kalten Krieges ausgefochten haben. Sollten sich Washington und Moskau tatsächlich endgültig und verbindlich auf eine Feuerpause einigen, ist völlig offen, ob sich auch all die anderen am Syrienkrieg beteiligten Akteure daran halten werden.
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