Abstimmung mit wunden Füßen

Immer mehr Menschen besuchen die Notfall-Ambulanzen der Krankenhäuser. Sozialverband fordert bessere Hausarzt-Versorgung.

Not for fun sondern nur im Notfall zur Notaufnahme Foto: (dpa)

HAMBURG taz | „Patienten mit Zipperlein bevölkern die Notaufnahme“, berichtete der Spiegel. Und das Hamburger Abendblatt platzierte kurz drauf einen „Appell der Kliniken“: Patienten sollten „Nicht ohne Not in die Notaufnahme“ gehen. Anlass ist der in der Tat auch in Hamburg steigende Andrang in den Notfall-Ambulanzen. Laut Statistik stieg die Zahl dieser Patienten allein von 2011 bis 2014 von 346.585 auf 398.542, das sind 15 Prozent. Fachleute sollen bereits eine „Notfallgebühr“ vorschlagen.

Mangel an Hausärzten

Klaus Wicher, der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (Sovd), Landesverband Hamburg, hält nichts davon. „Es ist falsch, die Überlastung allein den Patienten anzukreiden“, sagt er. Die Zahlen seien Indiz dafür, dass „in manchen Bezirken Hausärzte fehlen“. Hamburg habe zwar keinen Mangel an Ärzten, doch die seien ungleich in der Stadt verteilt. „In Finkenweder haben sie keine Fachärzte mehr.“ Auch Bergedorf und Harburg hätten von der Arztversorgung her eine ländliche Struktur. Der Fehler sei, dass Hamburg nur als ein großes Niederlassungsgebiet gilt. „Ein Kinderarzt, der in Steilshoop eine Praxis übernimmt, kann sie schließen und in Volksdorf eröffnen.“

Ein weiterer Punkt: Für Patienten, die am Abend oder Wochenende einen Arzt brauchen, bietet die Kassenärztliche Vereinigung (KV) nur in Farmsen und Altona je eine „Notfallpraxis“ an, wo Kassenärzte umschichtig Dienst haben. Doch das sei viel zu wenig, findet Wicher, zumal die Auslastung steigt. „Wir brauchen auch im Süden und im Norden der Stadt eine Notfallpraxis“. Zudem seien die zwei schwer zu erreichen, wer kein Auto hat kommt nur mit Bus und zu Fuß dort hin.

Auch Michael Wünning, der Chefarzt der Notfallambulanz des Marienkrankenhauses, hat in seiner Klinik eine rasante Steigerung ausgemacht, von rund 28.000 Patientenbesuchen 2010 auf 39.000 im Jahr 2015. Es kämen drei Arten von Patienten: Erstens dringende Notfälle, zweitens Patienten, denen der Hausarzt sagte: wenn es schlimmer wird, geh ins Krankenhaus, und drittens Patienten, die einen Spezialisten brauchen und nicht lange warten wollen. Doch viele Patienten hätten „gar keinen Hausarzt mehr“, sagt er. Menschen, die häufig umziehen etwa, oder Migranten, die von ihrem Heimatland das Hausarzt-System nicht kennen. „Die kennen oft nur das Krankenhaus als Notfallversorger, und gehen dort primär hin.“

Notaufnahme „nicht schön“

Im Marienkrankenhaus biete man am Wochenende in der Not-Ambulanz auch die Konsultation eines Hausarztes an. „Das kann dann etwas schneller gehen.“ Manche kämen auch am Wochenende, weil sie nicht bei der Arbeit fehlen wollten.

„Die Patienten kommen nicht in die Notaufnahme, weil es bei uns so schön ist“, sagt auch Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG). „Die sitzen dort nicht fünf, sechs Stunden, weil sie keinen Leidensdruck haben.“ Jeder Patient in den 36 Krankenhäusern wurde angeschaut, keiner weggeschickt.

Erstaunlicherweise ist die Nutzung des fahrenden Hausbesuchs-Notdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) rückläufig, von 114.349 Besuchen im Jahr 2008 auf 96.876 2014. Früher führen die Ärzte mit dem Taxi vor. Seit seit vier Jahren sind sie mit Fahrzeugen des G.A.R.D.-Rettungsdiensts unterwegs, der Fahrer ist zugleich Rettungsassistent. In der Woche sind bis zu 13, am Wochenende 16 dieser Wagen unterwegs. „Das ist ein bequemes und finanziell günstiges Angebot“, sagt Stephan Hofmeister, der Vize-Vorsitzende der KV. Bei Erkältung mit hohem Fieber etwa, sei es richtig, diesen ärztlichen Notfalldienst unter 040 / 22 80 22 anzurufen.

Krankenhausgesellschaft und kassenärztliche Vereinigung haben nun eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um herauszufinden, welche Wege die Patienten gehen. Beide sollen bis Juni entscheiden, ob sie etwas ändern. „Es ist nicht auszuschließen, dass es eine Notfallpraxis mehr gibt“, sagt Hofmeister. Denkbar wäre auch, den fahrenden Dienst zu verstärken. „Es macht eigentlich Sinn, die Menschen dort zu versorgen, wo sie hingehen“, sagt Claudia Brase. Das sei die „Abstimmung mit den Füßen“.

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