piwik no script img

Strenge Auflagen für LeseraumWer liest eigentlich die TTIP-Papiere?

Welche Abgeordneten sich die TTIP-Dokumente anschauen, wird geheimgehalten – fast nur die Opposition meldet sich an.

TTIP Leseraum: Niemand da, nur die Aufsichtsperson Foto: dpa

Berlin taz | Gut eine Woche ist es her, dass Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel als angeblich „großen Schritt für mehr Transparenz“ den Leseraum eröffnet hat, in dem Bundestagsabgeordnete unter strengen Auflagen Verhandlungsdokumente des Freihandelsabkommens TTIP einsehen dürfen. Angemeldet haben sich für den maximal zweistündigen Besuch seitdem 83 ParlamentarierInnen.

Doch welche das sind, darüber gibt es keine Auskunft. „Wir richten uns da nach den Wünschen der Abgeordneten und wollen nicht vorgreifen“, sagt Andreas Audretsch, Sprecher im Wirtschaftsministerium. Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig hat beim Vorsitzenden des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, dem CSU-Abgeordneten Peter Ramsauer, schriftlich um eine Klärung gebeten, wie mit Presseanfragen umgegangen werden soll – bisher aber offenbar ohne Ergebnis. Die Pressestelle des Bundestags teilt mit, die Namen würden „aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben“.

Dass die Namen der Abgeordneten nicht genannt werden, lässt sich damit vielleicht tatsächlich begründen – schließlich könnte das als unzulässige Kontrolle ihrer Arbeit ausgelegt werden. Doch Ministerium und Bundestag geben auf Anfrage nicht einmal die Parteizugehörigkeit der bisherigen NutzerInnen des Leseraums bekannt. Und das hat vermutlich wenig mit Datenschutz zu tun – und viel damit, eine Blamage für die Regierung zu verhindern.

Denn bisher nutzt offenbar fast nur die Opposition die Möglichkeit, Einblick zu nehmen. Die WirtschaftspolitikerInnen der SPD-Fraktion sind nach taz-Informationen jedenfalls in der vergangenen Woche – nach einem Hinweis aus dem Wirtschaftsministerium – von der Fraktion eindringlich aufgefordert worden, sich anzumelden. Das hatten sie bisher nicht getan, wodurch sich die von Gabriel erhoffte PR-Wirkung des TTIP-Leseraums ins Gegenteil zu verkehren drohte. Der Eindruck von „mangelndem Interesse“ müsse verhindert werden, hieß es in dem Schreiben.

Umstrittenes Vertragswerk

Das Abkommen: TTIP steht für "Transatlantic Trade and Investment Partnership". Der geplante Vertrag zwischen den USA und der EU soll Handelshemmisse wie Zölle und unterschiedliche Vorschriften abbauen und Investitionen rechtlich absichern.

Der Protest: Das Abkommen stößt auf breite Ablehnung. Kritiker fürchten, dass Standards für Umwelt- und Verbraucherschutz sinken und Firmen gegen neue Gesetze klagen. (mkr)

Tatsächlich ist die Nutzung des neuen Raums für die ParlamentarierInnen offenbar mit wenig Erkenntnisgewinn verbunden. Sie dürfen keine fachkundigen MitarbeiterInnen mitnehmen, keine Textstellen abschreiben oder abfotografieren und mit niemandem über das sprechen, was sie dort gelesen haben. „Ich kann weder mit den Bürgern darüber reden, noch können wir in den Ausschüssen darüber reden, noch kann ich einen Juraprofessor befragen: Den Satz habe ich so verstanden, aber bedeutet das auch wirklich das?“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter nach seinem Besuch im Leseraum.

Auch die Linken-Chefin Katja Kipping ist empört über die Auflagen. „Bei vielen Formulierungen kann man ohne juristische Kommentarliteratur nur ahnen, welches Potenzial sie haben“, schreibt sie. Auf den Webseiten der Regierungsfraktionen finden sich bisher keine Berichte oder Statements über Besuche im Leseraum.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Es gibt auch Aufzeichnungen darüber, an welchen Parlamentssitzungen Abgeordnete teilnehmen. Die Kontrolle ihrer Arbeit ist wichtig, damit wir Leute wählen, die uns wirklich vertreten. Diese Kontrolle widerspricht auch nicht dem Datenschutz.

    Die Art und Weise wie die Abgeordneten diese Informationen erhalten können und nicht damit arbeiten dürfen ist allerdings mit der Würde der Abgeordneten und des Parlaments nicht vereinbar.

  • Ohne das dies jetzt eine rechtliche fundierte Meinung wäre, sondern nur mein Standpunkt, aber:

     

    "Die Pressestelle des Bundestags teilt mit, die Namen würden „aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben“.

     

    Ein MdB hat, was die Ausübung oder in diesem Fall eher, die Nichtausübung seines Mandates betrifft keinen Anspruch auf Datenschutz!

     

    Weshalb sonst, solltet er z.B. Nebeneinkünfte darlegen müssen, selbst wenn dies in meiner Meinung nach nicht ausreichender Form geschieht.

     

    Und da so ziemlich alles im Leben eines Abgeordneten auch Mandatsrelevant ist, bis auf die Umstände die der Intimssphäre zuzurechnen sind und es eine unzulässige Beinflussung des Wählers darstellt, ihm zu sagen, dies hat dich zu interessieren, deshalb erfährst du davon nichts, hat das BMWI unverzüglich mitzuteilen wer sich die Dokumente anguckt- und wer nicht.

  • Hier kann man schön sehen, wie einfach es ist, ganz ohne Gewalt eine Diktatur zu verwirklichen. Man muss sie nur Demokratie nennen und dann von Geheimhaltung sprechen. Dass dieses Wort in diesen Kreisen überhaupt als Argument verstanden wird, lässt bis zum Grund blicken: Sie glauben wirklich, Geheimhaltung vor der Bevölkerung sei eine legitime Option und Einblick eine freundliche Geste der Diktatoren. Aber wehe, die Bevölkerung protestiert mit demselben Machtanspruch. Da sie keine Gesetze und keine Polizei zur Durchsetzung ihrer Interessen hat, muss sie die Gewalt anwenden, die die Verbrecher aus "der Wirschaft" (zu der längst nicht alle Wirtschaftsakteure gehören) nicht nötig haben selbst auszuüben. Aber dann ist alles schlimmschlimm. So chaotisch! Die Politik ist nie in der Demokratie angekommen.

    • @Karl Kraus:

      Und die Mehrheit der Wähler wollte es nicht anders!

       

      Vor der letzten Bundestagswahl war schon hinreichend viel über TTIP bekannt und es wurde auch darüber aufgeklärt, wie welche Partei dazu steht. Und interessiert hat es die wenigsten.

       

      Eine Diktatur kann man wohl nur einführen, wenn man entweder über militärische (oder sonstige "körperliche") Gewalt verfügt, oder das Volk es eben einfach so mit sich machen lässt.

    • @Karl Kraus:

      Frau Merkel hat es uns doch erklärt : Demokratie muß m a r k t k o n f o r m sein . Was sie damit meint , aber als Klartext den Michels&Michelinen nicht zumuten wollte , ist : Das letzte Wort hat immer der Markt . Und dass das bei so wichtigen Dingen wie TTIP sein muß , kann überhaupt keine Frage sein . Oder glauben Sie etwa , dass die ca 600 VolksvertreterInnen im BT fachlich mitreden könnten über dieses Vertragswerk mit einem Umfang von über zehntausend Blatt juristisches Wirtschaftschinesisch ?

       

      (Achtung : Ironie !)

      • @APOKALYPTIKER:

        ( ...pssst : höchste Geheimhaltungsstufe !! So geheim , dass nicht mal "die mächtigste Frau der Welt" davon weiß :

        Das "Letzte Wort des Marktes" kommt aus dem Bauch des US-Großkapitals , lautlos gesprochen durch das Mundloch des US-Präsidenten , verbreitet es sich quasi-osmotisch wie ein schnell wirkendes Nervengift über den ganzen Planeten .

        Alles nur blödsinnige Verschwörungstheorie , sagen unsere TransatlantikerInnen .

        Tja : einfach perfekt , das Nervengift !

        :) :( :( ... )

  • Für mich ist nicht klar, warum jemand etwas lesen darf / sollte, worüber er nicht kommunizieren /reden / Meinungsaustausch haben soll?

    Demokratie setzt Transparenz d.h. Kommunikation voraus! Dazu gehören: Wahrhaftigkeit der Aussage, Vertrauen der Adressaten und Verlässlichkeit im Ergebnis.Alles andere bleibt BILD-Dung.

  • Was will man denn erwarten, wenn in anderer Sache noch nicht einmal ein Herr Gabriel weiß, was er mit beschlossen hat, oder was will man erwarten, wenn alles in englisch geschrieben ist, unsere Politiker aber schon regelmäßig darüber streiten, wie deutsche Begriffe korrekt zu interpretieren sind?

  • Ja, dann schmeißt doch den " Scheiß """---Entschuldigung--- endlich aus dem Fenster.........und dann ist Ruhe.

    Dann kann man sich den wichtigen Dingen widmen.

    Hans-Ulrich Grefe

    • @Grefe Hans-Ulrich:

      Der Berliner Fenstersturz sozusagen? :-)

  • Ein vieldimensionaler Skandal in einzigartiger Größenordnung. Eine Dimension davon: die politisch völlig verwahrlost daherkommende "Volkspartei SPD". Ignoranz ist als Prinzip eingemeiselt.