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Kommentar Angebliches Politiker-AttentatWirren in Wismar

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Der angebliche Anschlag auf den Linke-Jungpolitiker Julian K. wird zur Parteiposse. Die Nazis freut das. Fraktionschef Bartsch muss jetzt Klartext reden.

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch steht dem angeblichen Opfer nahe Foto: dpa

D ietmar Bartsch kennt einen Mann, der den Unterschied macht. Sein Name ist Julian K. und er kennt die Wahrheit. Aber Dietmar Bartsch will ihn nicht anrufen. Der Fraktionschef der Linksfraktion im Bundestag riskiert gerade seinen Ruf. Es geht um ein dubioses Geschehnis und eine Linkspartei, die kuscht und mauert.

Am Montag hat die Schweriner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den in Wismar studierenden Nachwuchspolitiker Julian K. eingeleitet – wegen des Verdachts der Vortäuschung einer Straftat. K. hatte behauptet, vergangene Woche von Rechtsradikalen überfallen und mit 17 Messerstichen verletzt worden zu sein.

Zweifel an seiner Version sind inzwischen mehr als berechtigt. Wenn die Vorwürfe gegen ihn stimmen, so mag es vielleicht schlechte Gründe dafür geben, weshalb sich ein 18-Jähriger so verhalten hat. Eines aber geht nicht: Dass eine Partei sich an der Vertuschung beteiligt – und damit ausgerechnet den Nazis allen Grund zur Häme gibt.

Es war die Linkspartei, die mit Solidaritätserklärungen und forschen Forderungen sofort zur Stelle war, als K.s Behauptungen in die Welt kamen. Dietmar Bartsch, der seinen Wahlkreis in Wismar hat, der das vermeintliche Opfer, das nun mutmaßlich eher Täter ist, selbst kennt und der auf einem Foto Arm in Arm mit Julian K. zu sehen ist, stand dabei in der ersten Reihe.

Antiaufklärerisches Verhalten

Und wer sich aktiv an der Verbreitung von Fehlinformationen beteiligt, muss später auch helfen, die Wahrheit zu ermitteln – oder Zweifel auszuräumen. Wer allerdings versucht, den Kreisverband oder auch Dietmar Bartsch aus Wismar nach dem Sachstand zu fragen, hört nur einen Satz: Jetzt solle erstmal der Staatsanwalt ermitteln.

Hinterher könne man das Ergebnis dann ja bewerten. Wie durchsichtig, wie fadenscheinig. Wenn dann nichts zu beweisen sein wird, haben es ohnehin alle vergessen. Nein, so geht das nicht.

Dass eine Linkspartei sich angesichts der Lage nur in Vertuschung übt, ist antiaufklärerisch; es ist übrigens auch gegenüber Julian K. verantwortungslos. Wer so gegen Rechts kämpfen will, muss gar nicht erst anfangen.

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Martin Kaul
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19 Kommentare

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  • "Wer so gegen Rechts kämpfen will, muss gar nicht erst anfangen." - Allerdings!

  • Ich glaube, da würde sich in diesem Fall jede Partei gleich verhalten.

    Wenn nicht, nennt mir bitte diese Partei , bei der das alles viel aufklärerischer gehandhabt würde.

     

    Julian K. sollte dennoch aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn sich die Vermutungen bestätigen.

    • @IL WU:

      Das war auch mein erster Gedanke!

       

      Welche Partei verhält sich bitte anders in so einem Fall?

       

      Das rechtfertigt natürlich trotzdem nicht die feige Art des Umgangs mit solchen Situationen, aber das Eindreschen auf Die LINKE geht mir schon sehr gegen den Strich (vor allem aus Grüner Ecke).

      • @Hanne:

        Das Eindreschen in punkto historisch-ideologischer Altlasten findet sich in allen anderen Parteien wieder bis hin n in die Partei Die Linke selbst. Wieso dies aber gerade von den Grünen kommen soll ist nicht nachvollziehbar. In der taz habe ich solches jedenfalls noch nicht gelesen.

        • @Rudolf Fissner:

          Dann müssen Sie die taz mal aufmerksamer lesen!

          Die DDR ist seit 25 Jahren Geschichte. Die Linke gibt es seit 2007 als Zusammenschluss von Teilen der PDS im Osten und der WASG (Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit) im Westen. Die PDS bestand keineswegs nur aus Stasi-Leuten, wie hier immer gern behauptet wird. Es gab sie aber zweifellos und deshalb hat sich die Linke auch intensiv mit diesem Thema befasst und einen innerparteilichen Säuberungsprozess durchgemacht. Eine vergleichbare geschichtliche Aufarbeitung suchen Sie in der CDU/CSU hinsichtlich der Aufnahme von und Nazis und Kriegsverbrechern bis heute vergeblich. Trotzdem wird in der taz nie von CDU/CSU als Nachfolgepartei der NSDAP gesprochen. Was die Linke angeht, findet man doch auch in der taz kaum einen Beitrag, der nicht vorab einen DDR/Stasi/Stalinismus - Vergleich bemüht. Manche halten das dann sogar noch für Journalismus, ist aber eher Denkfäule.

  • Nachdem die Linke die CDU agelöst hat, hat sie offenbar auch den Aufklärungswillen mit übernommen. Sehr schade.

  • Die Linksaußen haben das gleiche Problem im Umgang mit der Wahrheit wie die Rechtsaußen. Kürzlich hat es mich aus Versehen auf eine Veranstaltung der DKP verschlagen, da war auch jedes geschichtliches Ereignis, dass nicht in die Weltanschauung passte, eine Verschwörung der USA und Co. ...

  • Wenn er den Überfall und die 17 Messerstiche nur erfunden hat, hat er damit seiner Partei sehr geschadet und dann wird man in Zukunft dort auch so oder so auf ihn verzichten müssen.

  • Würde mich echt nicht wundern, wenn die allgemeine Hysterie mittlerweile so groß ist, dass die Verbreitung von Fehlinformationen in den Augen mancher jugendlicher Helden wie eine richtig gute Idee aussieht.

     

    "Recherchiert wohl wirklich keiner mehr", denke ich mir manchmal beim Zeitunglesen, Radiohören oder Fernsehen. Vom Internet erwarte ich ja fast, dass da viel Nonsens auftaucht. Von den "seriösen" Medien habe ich es bisher aber nicht erwartet. Da arbeiten schließlich Profis, und zwar für Geld. Genau wie bei der Polizei. Darüber aber, dass die Polizei lieber was gemeint hat, als etwas zu wissen, haben sich im Zusammenhang mit den NSU-Morden gerade ziemlich Viele schrecklich aufgeregt.

     

    Das Schrecklich-Aufregen scheint mittlerweile überhaupt das eigentliche Ziel der Übung zu sein. Hätte Martin Kaul nicht geschrieben, dass Julian K. ein "Nachwuchspolitiker der Linkspartei" ist, hätte ich ihn wohl für einen Satiriker gehalten, für einen wie den Martin Sonneborn, der den allgemeinen Irrsinn möglichst wirkungsvoll in Szene setzen will.

     

    Genau so hätte man es machen müssen: Einen gemeinsamen Feind nennen (die Rechten) und dem was unterstellen, was alle nur zu gerne glauben (Mordversuch). Anschließend in einem geeigneten Medium den eigenen Heroismus herausstellen. Dann zusehen, wie der Shitstorm wütet.

     

    Übrigens: Wenn einer angeblich "auf einem Foto Arm in Arm" mit Dietmar Bartsch zu sehen ist, dann heißt das gar nichts. Es gibt sehr viele Fotos, auf denen unwichtige Menschen mit Promis posieren. In jeder zweiten Kneipe sind sie öffentlich ausgestellt. Ob also "die Linkspartei" tatsächlich eine Verantwortung hat gegenüber Julian K., hätte ich dann doch ganz gern geklärt, bevor ich mich aufrege. Ist der Knabe Thronfolger? Wenn nicht, hat er das selbe Recht, dämlich zu sein, wie jeder andere. Die Linke aber hat das Recht, erst einmal abzuwarten. Auf die Unschuldsvermutung wurde schließlich ausdrücklich hingewiesen.

    • @mowgli:

      "Die Linke aber hat das Recht, erst einmal abzuwarten. Auf die Unschuldsvermutung wurde schließlich ausdrücklich hingewiesen."

       

      Jein. Hätte sich die Linke von Anfang an auf ein "Wir warten die Ermittlungen ab und sind in Gedanken bei unserem Genossen" beschränkt hätten Sie absolut Recht gehabt.

       

      Die Linke hat aber sehr eindeutig Stellung bezogen und dabei naturgemäß auf eine Unschuldsvermutung verzichtet - man glaubt ja dem Parteigenossen.

       

      Entweder gilt die Unschuldsvermutung für alle oder für niemanden. Und wenn man zu früh vorgeprescht ist, dann ist man im Falle einer Fehleinschätzung eigentlich zu einer Entschuldigung verpflichtet. So bitter es auch sein mag sich indirekt beim politischen Feind zu entschuldigen.

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Ja im offenen Umgang miteinander hakt es in der Linkspartei. Nicht das sie noch im Aussitzen Helmut Kohl überholt ohne einzuholen.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Die Linkspartei mauert? *GRINS*

  • Sie haben Recht. Mir ist bewußt dass es angesichts ihrer politischen Ausrichtung auch für die TAZ sicherlich angenehmer gewesen wäre wenn das Thema einfach unbeachtet im Sande verlaufen wäre. Dass hier der eigene Anspruch auf eine seriöse Berichterstattung gewichtiger war als der Wunsch den Rechtsradikalen nicht noch mehr Munition zu liefern spricht für die TAZ.

     

    Mir ist klar dass die Politiker der Linken ihren Parteigenossen nicht ohne abschließendes Urteil fallen lassen wollen, es wäre jetzt jedoch angebracht zumindest die anfangs abgegebenen klaren Statements jetzt unter ausdrücklichen Vorbehalt zu stellen. Zu mauern um das Gesicht nicht zu verlieren nutzt am Ende des Tages nur den Rechtsradikalen. Denn die fühlen sich in ihrem paranoiden Weltbild bestätigt und der Rest der Gesellschaft muss in diesem Fall sogar zustimmen.

    • @Questor:

      Die taz ist vielleicht etwas links ausgerichtet, aber sicher nicht im Sinne der Linkspartei, viele Redakteure sprechen für die Partei Die Grünen.

       

      Und die sind (leider) kaum noch links.

       

      Daher war es wohl eher kein Anspruch auf "seriöse" Berichterstattung gegen den eigenen Anspruch.

      • @Hanne:

        Die politische Ausrichtung macht man doch nicht an Parteien fest, es verhält sich (hoffentlich) umgekehrt.

         

        Ein Übergriff durch Neonazis auf linksorientierte Politiker ist - so abscheulich und bedauerlich er auch ist - Wasser auf den Mühlen eines Mediums das die Menschen vor der Gefahr durch Rechtsextreme warnen will. Es ist ein klares Statement: "Seht wie weit es schon gekommen ist - wir müssen uns dem endlich entgegenstellen."

         

        Die Botschaft die dieses Update sendet ist allerdings eher: "Schaut mal, da ist einer aufgeflogen wie er versucht hat eine rechtsextreme Straftat zu faken, fragt euch mal wieviele andere vermeintlich rechtsextreme Verbrechen (man denke an diverse strafrechtlich relevante Grafittis) von Linken auf Schmutkampagne begangen wurden."

         

        Und das ist ein echter Bärendienst für die grundlegenden Ziele und Ideale der TAZ. Und wer die Wahrheit hochhält auch wenn sie ihm persönlich große Schmerzen bereitet hat meinen Respekt.