Astronaut Gerst über das Universum: „Wir Menschen sind Entdecker“

Alexander Gerst wird erster deutscher Kommandant der Raumstation ISS. Im Januar sprach er mit der taz über den Alltag im All.

Der Astronaut Alexander Gerst schwebt über der Erde

Selfies gibt es auch im All: Alexander Gerst bei Reparaturarbeiten nahe der Raumstation ISS. Foto: imago

taz.am wochenende: Herr Gerst, was braucht man im Weltall – packt man da einen Koffer wie für den Urlaub?

Alexander Gerst: Man braucht sehr viel weniger als im Urlaub, weil das meiste für einen organisiert wird. Die Kleidung muss man sich zwar aussuchen, das Hochschicken übernimmt dann die Raumfahrtagentur. Auch um das Essen muss man sich nicht kümmern. Letztlich hatte ich nur einen Beutel mit anderthalb Kilo Gepäck bei mir.

Was war in dem Beutel?

Fotos von meiner Familie und meinen Freunden. Ein Verlängerungskabel für meinen Kopfhörer und solche Sachen.

Unterhosen mussten Sie also nicht mitnehmen?

Die werden hoch geschickt. Man bekommt genügend Unterhosen, um jeden zweiten Tag eine neue anzuziehen.

Werden die im Weltraum gewaschen?

Es gibt leider noch keine Weltraumwaschmaschine. Die Kleidung wird, sobald man sie getragen hat, in einen leeren Raumfrachter gepackt und der verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

Schade um die schöne Weltraumkleidung.

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst wird 2018 zum zweiten Mal zur Internationalen Raumstation fliegen und die Hälfte seines sechsmonatigen Aufenthalts Kommandant der ISS sein. Dies erklärte der Generaldirektor der europäischen Weltraumagentur ESA, Jan Wörner, am Mittwoch anlässlich des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Europäischen Astronautenzentrum in Köln. Gerst hatte sich bereits 2014 sechs Monate auf der ISS aufgehalten.

Ist leider so.

Gibt es Duschen?

Es gab einmal eine Dusche auf der „Raumstation Mir“, die hat aber nicht so richtig funktioniert. Man kann sich aber sehr gut mit Wasser und Seife waschen: Jeden zweiten Tag bekommt man ein neues Handtuch, das man übrigens so nass machen kann, wie man will, da das Wasser ja nicht herunterfallen kann.

Man muffelt da oben also nicht?

Nein, nein, ich habe mich jeden Tag gewaschen.

Woran erinnern Sie sich besonders gern?

Die Sonnenaufgänge waren einfach nur bezaubernd. Auf der Nachtseite ist die Erde eine schwarze Kugel, da hat man manchmal das Gefühl, dass dies ein bedrohlicher schwarzer Planet sei, der da draußen schwebt. Und plötzlich bildet sich eine feine, blaue Sichel heraus. Das ist die Atmosphäre, die von der dahinter stehenden Sonne beleuchtet wird. Aus dem Blau wird ein Orange, dann wird alles golden, und nur wenige Sekunden später steht die Sonne am Horizont und taucht die Raumstation in ein gleißendes weißes Licht. Diese Übergänge sind umwerfend schön. Man sieht die Silhouette unseres Planeten und alles wird plötzlich so simpel: Man begreift, dass unser „Erde-Sonne-Mond-System“ nur ein paar Kugeln sind, die sich umeinander drehen.

Sie hatten 16 Sonnenaufgänge pro Tag, haben die Welt 2.566 Mal umrundet – wie hat das ihren Blick verändert?

Der Mann: Am 3. Mai 1976 machte er in Künzelsau (Baden-Württemberg) seine erste Erfahrung mit der Schwerkraft. Nach Abi, Zivildienst und Backpackreisen studierte er Geophysik und promovierte zur Eruptionsdynamik des antarktischen Vulkans Mount Erebus. 2010 ernannte ihn die ESA zum Astronauten.

Die Mission: Mit der Sojus TMA-13M hob er am 28. Mai 2014 zusammen mit dem Russen Maxim Surajew und dem US-Amerikaner Reid Wiseman zur Internationalen Raumstation ISS ab. 165 Tage lang schwebte er als Bordingenieur der ISS-Expeditionen 40 und 41 im All. Gerst war nach Thomas Reiter und Hans Schlegel der dritte deutsche Astronaut auf der ISS.

Das Manöver: Sechs Stunden lang arbeitete er bei seinem einzigen Außenbordeinsatz im Oktober 2014 in der Schwerelosigkeit, um Kabel für den Greifarm zu installieren und eine Kühlpumpe umzulagern. (aba)

Wir fliegen mit einer Vorstellung von Heimat weg und kommen mit einer anderen zurück. Das habe ich bei mir und auch bei anderen Astronauten festgestellt. Die Heimatorte schrumpfen im Weltraum zusammen, sie vereinigen sich, durch den Gesamtblick auf den Planeten, tatsächlich zur Heimat Erde. Wenn man zurückkehrt, nachdem man ein halbes Jahr im Weltraum war, freut man sich auf den Wind, die Bäume, auf frisches Obst, auf nahezu alles. Da ist es auch ganz egal, ob man in Kasachstan oder sonst wo landet. Man sieht das als irrelevant an. Es ist sowieso nur eine kleine Kugel, die unter einem ist.

Im Dezember einigte sich die UN-Klimakonferenz in Paris auf einen neuen Vertrag. Würden die Teilnehmer sich anders verhalten, wenn sie die Erde vom Weltraum aus gesehen hätten?

Davon bin ich fest überzeugt. Mich hat der Blick von außen erschrocken. Ich kannte ja die Zahlen, bin Geophysiker, wusste ja eigentlich, wie dünn die Atmosphäre ist. Aber selbst mich hat das extrem erstaunt. Mit eigenen Augen zu sehen, wie dünn unsere Atmosphäre ist, wie zerbrechlich sie wirkt, hat bei mir ein Gefühl der Sorge erzeugt. Wenn man alle Teilnehmer solch einer Klimakonferenz nur für einen Tag in der Raumstation fliegen lassen würde und sie von oben sehen könnten, wie viel Regenwald schon weg und wie zerbrechlich unsere Atmosphäre ist, würden sie die Verantwortung, die in ihren Händen liegt, vermutlich noch intensiver wahrnehmen und nachhaltigere Entscheidungen treffen.

Weshalb ist es so schwierig, sich die Erde als einen verletzlichen Planeten vorzustellen?

Von der Erde aus betrachtet erscheint einem alles riesig und ohne Ende. Von außen sieht man jedoch, dass alles auf dieser Erde im Maßstab des Universums in einer sehr kleinen Quantität begrenzt ist. Etwas Großes wird endlich im Angesicht der Unendlichkeit. Wir müssen mit unseren Ressourcen haushalten, können das Klimasystem nicht fragmentiert betrachten, denn es schert sich nicht um nationalstaatliche oder gar kontinentale Grenzen. Wenn man vom Weltraum aus sieht, wie Sturmsysteme, große Hurrikans oder Taifune, einen Viertel des Globus umspannen oder wie permanent von der Sahara eine Staub- und Sandfahne über den Atlantik hinweg nach Südamerika weht, begreift man sehr schnell, wie klein und zusammenhängend alles auf diesem Planeten in Wirklichkeit ist.

Kriege, Nationalstaaten, Grenzen, Zäune, Flüchtlinge: Was bekommt man davon im Weltraum mit?

Es kommt einem absolut surreal vor, dass Krieg herrscht dort unten. Den konnten wir sogar aus dem Weltraum sehen. An einem Abend haben wir tatsächlich Bomben und Raketen über Gaza und Israel fliegen sehen. Es ist traurig und surreal zu sehen, wie sich die Menschen auf diesen Planeten bekriegen, dass sie die Umwelt zerstören, sich den Ast absägen, auf dem sie leben. Vom Weltraum aus kann man zum Beispiel gut erkennen, wie viel vom Amazonas wir bereits abgeholzt haben. Obwohl wir wissen, dass dieser Wald den Sauerstoff erzeugt, den wir zum Atmen benötigen, vernichten wir ihn.

Was wäre so schlimm daran, wenn wir die Lebensgrundlagen auf der Erde vernichten würden? Könnten wir theoretisch nicht auch in riesigen Raumstationen, in Raumschiffen, auf dem Mond oder gar auf dem Mars leben?

Das ist in einem solch großen Maßstab völlig utopisch. Vielleicht könnten wir das irgendwann wirklich. Aber wollen wir das? Außerdem wollen wir ja nicht wie Heuschrecken einen Planeten niederwirtschaften und dann einfach den nächsten besiedeln. Und selbst wenn wir es wollten – wir haben keine zweite Erde. Und auch eine Raumstation braucht Ressourcen von der Erde. Die einzige Chance, die wir als Menschheit auf absehbare Zeit haben, ist die Erde.

Wird die Sonne die Erde eines Tages nicht sowieso vernichten?

Dies geschieht in ein paar Milliarden Jahren. Nachhaltig ist erst einmal zu überlegen, wie man die nächsten 50, 100 oder 1.000 Jahre überlebt. Wenn man dies nicht tut, braucht man sich auch keine Gedanken mehr darüber zu machen, was in ein paar Milliarden Jahren passiert.

Der Raum, die Zeit, die Schwerelosigkeit – alles ist anders als auf der Erde. Ist das wie ein kleiner Drogentrip? Bekommt man da nicht einen Realitätsverlust?

Überhaupt nicht. Unser Gehirn passt sich an alles sehr schnell an. Eben auch an das Leben in einer Raumstation. Es ist eine Arbeitsumgebung, man macht sich dieselben Gedanken wie auf der Erde: Was esse ich heute zu Mittag, ah, jetzt muss ich noch Sport machen, obwohl ich eigentlich zu faul dafür bin, selbst ein Montagmorgen im Weltraum kann einmal frustrierend sein.

Weshalb?

Wir hatten in der Raumstation Arbeitswochen mit 12-Stunden-Tagen. Und wenn man am Montagmorgen eine schwere Arbeitswoche vor sich hat, noch keinen Kaffee hatte und dann vielleicht ein Experiment nicht so klappt, wie man es sich wünscht, dann kann einen dies eben auch im Weltraum ein wenig nerven.

Also alles ganz normal im Weltraum?

Na ja, manchmal bin ich vor dem Zu-Bett-Gehen in die Cupola geflogen, habe Musik gehört, mal eine halbe Stunde auf die Erde geschaut und gedacht: Das ist schon der Wahnsinn. Früher habe ich mir ab und zu, wenn ich nicht schlafen konnte, die BR-“Space Night“ im Fernsehen angeschaut. Ich fand diese Weltraumbilder absolut faszinierend, und dann sitzt du plötzlich selbst im Weltraum und siehst diese Bilder mit deinen eigenen Augen. Das ist schon irgendwie verrückt.

Und wie war das mit der Schwerelosigkeit – sind Sie schwebend gegen Türen geknallt?

Die ersten paar Tage stellt man sich noch ein wenig dämlich an. Man gewöhnt sich aber relativ schnell daran, und am Ende macht man „Moves“, die einen selbst beeindrucken.

Was für Moves waren das?

Man stößt sich mit einem Finger oder einer Zehe ab, fliegt vom Esstisch in ein anderes Modul, um etwas zu holen, macht dabei noch eine Dreivierteldrehung um zwei Achsen, schlüpft durch die Luke, schwebt zurück und dreht sich so, dass man direkt aufrecht stehend vor dem Esstisch ankommt, um dort den Fuß wieder in die Fußschleife hineinzustecken.

Apropos Esstisch: Sie haben einmal Ihren Löffel verloren. Wie konnte das passieren?

Das stimmt nicht.

Nein?

Ich habe meinen Löffel mehrmals verloren. Alles, was sie nicht mit Klettverschluss an der Wand festmachen, verschwindet in der Schwerelosigkeit. Die Dinge schleichen sich ganz langsam und hinterhältig weg. Normalerweise findet man den Löffel im Luftfilter wieder. Einmal hatte ich ihn jedoch drei Wochen verloren. Mein Kollege Max hat ihn irgendwo gefunden und mir lachend vorbeigebracht. Peinlich war jedoch: Als wir uns zum Abendessen getroffen haben, musste ich ihm beichten, dass ich ihn schon wieder verloren hatte.

Sechs Monate auf so engem Raum – ist man sich da nicht ab und zu auch mal auf die Nerven gegangen?

Es gab keinen einzigen Streit. Das Schönste dort oben war ganz eindeutig die Freundschaft innerhalb der Mannschaft. Diese Freundschaft hat sich schon in den Jahren des Vorbereitungstrainings entwickelt. Mit meinem russischen und amerikanischen Kollegen mussten wir zum Beispiel einmal im sibirischen Winter ohne Schlafsack ein Überlebenstraining bei Minus 20 Grad absolvieren. Das schweißt zusammen, da kennt man sich hinterher ganz gut. Wir sind Freunde geworden, besuchen unsere Familien, unternehmen gemeinsame Ausflüge.

Sie waren ja nicht nur auf der Station – sondern auch draußen auf einem Weltraumspaziergang. Was wäre passiert, wenn die Verbindung zur Raumstation gerissen wäre?

Man würde, wie die Raumstation auch, in einem Orbit um die Erde kreisen. Überleben würde man dies jedoch nicht lange. Um das zu verhindern, werden wir mit zwei Sicherungsleinen befestigt. Zusätzlich befindet sich auf der Rückseite des Raumanzuges noch ein Raketensystem, mit dem wir im Notfall wieder zur Raumstation zurückfliegen könnten.

Wie fühlt sich so ein Spaziergang im Weltall an?

Ich habe noch ein paar Bilder in meinem Kopf, wo ich zwischen meinen Beinen, frei schwebend im Weltraum, Patagonien und Afrika unter mir vorbeiziehen sah. Das fand ich faszinierend, weil das Landschaften waren, die ich gut kannte. Das ist schon bizarr: Man blickt frei schwebend aus 400 Kilometer Höhe in einem Raumanzug durch ein zwei Millimeter dickes Visier auf die Erde hinab.

Wie riecht der Weltraum?

Der Weltraum ist eigentlich ein Vakuum und hat demzufolge keinen Geruch. Interessanterweise hatte jedoch alles, was wir durch eine Luke wieder aus dem All hineingeholt haben, einen ganz speziellen Geruch, zum Beispiel Raumanzüge oder Ausrüstungsgegenstände. Diesen Geruch gibt es nicht auf der Erde, weswegen ich ihn nur sehr schwer beschreiben kann.

Versuchen Sie es!

Er ist ein wenig herb, eine Mischung aus Walnuss, der Bremsscheibe eines Motorrads und gerade zerklopften Steinen.

Das nächste Ziel ist der Mars. Sie haben gesagt, dass Sie gern dorthin fliegen würden. Was reizt Sie daran?

Der Mars ist natürlich ein sehr wichtiges Ziel. Zunächst müssen wir jedoch mal wieder zum Mond.

Warum?

Wir wissen noch nichts über ihn. Der Mond ist aus der Erde entstanden, er ist unser achter Kontinent und ein Archiv der Erdgeschichte. Zudem bietet er uns wahrscheinlich auch viele Vorteile für unser eigenes Überleben. Mit einem Teleskop, das man auf der Rückseite des Mondes aufstellt, könnte man zum Beispiel Asteroiden oder Kometen lokalisieren, die direkt auf die Erde zufliegen. Erst vor kurzem ist solch ein Asteroid in 1,3 facher Mondentfernung – also sehr nahe – an der Erde vorbeigeflogen. Wir hatten ihn erst zwei Wochen vorher entdeckt. Dieser Asteroid war 500 Meter groß und hätte eine Großstadt auslöschen können. Vom Mond aus könnten wir solche Gefahren früher erkennen und im Notfall auch eliminieren.

Noch mal zum Mars: Hin-und Rückflug würden ungefähr 500 Tage dauern. Dann wären Sie vielleicht zwei Jahre unterwegs. Ist Ihnen das Leben auf der Erde zu langweilig?

Ich liebe das Leben hier unten, bin aber gleichzeitig auch unglaublich neugierig. Wir Menschen sind seit jeher Entdecker. Die Möglichkeit, den Mars zu sehen und auf ihm zu stehen, zu fühlen, wie er sich anfühlt und diese Erfahrungen zurück auf die Erde zu transportieren, wäre einfach nur großartig. Und stellen Sie sich vor, dass wir auf dem Mars ausgestorbenes oder noch existierendes Leben entdecken würden. Dies würde bedeuten, dass wir nicht allein im Universum sind, dass da draußen möglicherweise auch noch andere Zivilisationen existieren.

Glauben Sie, dass es außerirdische Zivilisationen gibt?

Ich weiß es nicht. Aber ich möchte es herausfinden. Falls wir Beweise für Lebewesen auf dem Mars finden würden, könnten Sie und ich in zwanzig oder dreißig Jahren hier sitzen und darüber reden, dass wahrscheinlich überall im Universum Leben existiert. Denn wenn gleich auf unserem nächsten Nachbarplaneten Leben unabhängig von uns entstanden ist, dann muss es da draußen, bei Milliarden von Milliarden Sternensystemen, die Planeten in einer lebensfähigen Zone haben, nur so vor Leben wimmeln.

Dann verabreden wir uns doch schon einmal für dieses Gespräch über außerirdische Lebewesen. Gleicher Ort, gleiche Stelle: Friedrichstraße 171, Hauptstadtbüro des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin, um 15 Uhr am 9. Januar 2046. Abgemacht?

Diesen Termin werde ich mit Vergnügen wahrnehmen.

Ich werde Sie daran erinnern.

Machen Sie das.

Der Artikel wurde am 18. Mai 2016 aus aktuellem Anlass aktualisiert.

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