: Schrippen ohne Haftung
LEBENSMITTEL Pankow verbietet Foodsharing-Kühlschränke. Begründung: Die öffentlich zugänglichen „Fairteiler“ verstießen gegen geltende EU-Lebensmittelvorschriften
von Nina Apin
Ein paar Backwaren, wenig Obst und Gemüse. Viel war am Dienstag nicht drin im Umsonst-Kühlschrank an der Senefelder Straße. Doch für den Mann von der Lebensmittelaufsicht reichte es offenbar: Hygienisch und haftungsrechtlich unverantwortlich, beschied er und hängte ein dickes Vorhängeschloss vor die Kühlschranktür. Im Bezirk Pankow ist jetzt also Schluss mit der Praxis, übrig gebliebene Lebensmittel an Mitmenschen zu verschenken. Auch eine andere Abgabestelle in der Malmöer Straße ist geschlossen worden. Von 24 über die Stadt verteilten Kühlschränken sind nur noch 21 übrig. Und auch für die könnte es bald eng werden: Der für Lebensmittelhygiene zuständige Pankower Stadtrat Torsten Kühne (CDU) kündigte an, sich bei seinen Amtskollegen für ein bezirksübergreifendes Vorgehen gegen die Foodsharing-Kühlschränke einzusetzen.
Bundesweites Aktivistennetzwerk
Sina Maatsch, Foodsaverin
Die Verschwendung von genießbaren Lebensmitteln verhindern und Bedürftigen helfen, das ist das gesellschaftspolitische Anliegen hinter den Fairteilern. Ein Netzwerk von Ehrenamtlichen, das sich im Verein „Foodsharing e. V.“ organisiert, kümmert sich bundesweit um 250 öffentliche Kühlschränke und digitale Essenskörbe, in denen Privatpersonen Übriggebliebenes aus ihrem Haushalt oder nahe gelegenen Betrieben sammeln und zur kostenlosen Abholung anbieten. Allein in Berlin gibt es rund 2.000 Aktivisten, die sich der Rettung genießbarer Lebensmittel vor der Tonne verschrieben haben. Sie nennen sich Foodbotschafter oder Foodsaver. Eine von ihnen ist Sina Maatsch, Pressesprecherin des MachMit-Museums in der Senefelderstraße, auf dessen Gelände der kürzlich geschlossene Fairteiler steht. „Ich verstehe die rabiate Vorgehensweise des Bezirks nicht“, sagt sie. „Der Inhalt unseres Kühlschranks war doch einwandfrei.“ Der Standort sei sehr gut genutzt, Lebensmittel hätten nie lange gelagert. Mehrmals pro Woche reinigte Maatsch oder andere Aktivisten den Kühlschrank. Ein Schild wies auf die Hygieneregeln hin: Nur frische Ware, keine Speisen aus rohen Eiern oder rohem Fleisch. Dass der Bezirk trotzdem vor verdorbenen Lebensmittel warnt und Angst vor mutwillig platziertem vergiftetem Essen hat, versteht Maatsch nicht. Von konkreten Fällen habe sie bisher noch nichts gehört. Dass für die Kühlschränke niemand offiziell verantwortlich und damit haftbar ist, findet sie nicht schlimm. „Wir bewegen uns in einer Grauzone, da gibt es auch Ermessensspielraum.“ Davon, dass die Ämter „ausgerechnet in der Stadt der innovativen Ideen“ so wenig Wertschätzung für das ehrenamtliche Engagement der Essenretter aufbrächten, zeigt sich Maatsch enttäuscht.
„Die Grundidee hinter den Fairteilern finden wir grundsätzlich begrüßenswert“, versichert dagegen Stadtrat Kühne. Die Kühlschränke, die rund um die Uhr öffentlich zugänglich seien, verstießen gegen EU-Bestimmungen für die Lebensmittelsicherheit. Neben Grundstandards bei der Sauberkeit und Einhaltung der Kühlkette müsse es auch eine Kontrolle über das Einstellen und Entnehmen von Lebensmitteln geben. Schließlich verfolgten nicht alle Mitmenschen immer gute Absichten. Kühn verwies auf die vergifteten Weihnachtskekse, die in Spandau an Passanten verteilt wurden. „Die staatliche Aufsicht hat auch die Verantwortung für unkommerzielle Angebote.“ Am 7. Januar soll es ein Treffen zwischen Kühnes Lebensmittelaufsicht und den Essensrettern geben. Kühne hat schon eine Idee: „In Läden oder Cafés, wo jemand die Kühlschränke beaufsichtigt, kann ich mir das Angebot gut vorstellen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen