Deutschland und der Krieg in Syrien: Die Mitschuld des Westens

Die Mehrheit der Deutschen glaubt nicht an eine militärische Lösung. Auch der Zentralrat der Muslime ist gegen den Bundeswehreinsatz in Syrien.

Fregatte „Augsburg“ läuft aus Wilhelmshaven aus

Auf dem Weg in Richtung Mittelmeer: die Bundeswehr-Fregatte „Augsburg“. Foto: dpa

LONDON/BERLIN/BRÜSSEL afp/rtr/dpa/epd | Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat das Ziel der Bundeswehrbeteiligung am Krieg in Syrien präzisiert. Es gehe darum, den Vormarsch der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu stoppen – zumindest bis bei den Wiener Verhandlungen eine politische Lösung für den Konflikt gefunden worden sei, sagte der Vizekanzler der Zeitung Bild am Sonntag.

Nach einem Friedensschluss sollen Gabriel zufolge die syrische Regierungsarmee, nicht-islamistische Rebellen und Kurden gegen den IS „gemeinsam“ kämpfen.“ Eine Entsendung deutscher Bodentruppen nach Syrien schloss Gabriel aus. Dafür bedürfe es eines „viel klareren UN-Mandates“, sagte er.

Gleichzeitig gab Gabriel dem Westen eine Mitschuld an der Entstehung der Dschihadistengruppe. Der völkerrechtswidrige Krieg im Irak habe das Land „zur Brutstätte der Terroristen gemacht“. Hinzu komme eine falsche Bündnispolitik für die gesamte Region. Die deutsche Strategie im arabischen Raum sei oft gewesen: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“.

Frühere Regierungen hätten „an jedwede Diktatur Waffen geliefert. An Mubarak in Ägypten, Ben Ali in Tunesien, alle Golf-Staaten. Jetzt klopfen die dunklen Seiten dieser Politik an unsere Haustür“, fügte Gabriel vor dem am Donnerstag beginnenden SPD-Bundesparteitag hinzu.

Keine Zusammenarbeit mit syrischer Armee

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) hat im Kampf gegen den IS eine Zusammenarbeit mit der syrischen Armee ausgeschlossen. „Für Deutschland und für die Europäische Union ist klar, das wir weder mit Assad noch mit der syrischen Armee zusammenarbeiten“, sagte der Amtschef von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Magazin Der Spiegel. „Die syrische Armee und Assad mit seinen Fassbomben haben wesentlich dazu beigetragen, dass Hunderttausende von Menschen in den Norden von Syrien und von dort weiter in die Türkei und nach Europa geflohen sind.“

Bisher hatte die Bundesregierung eine Zusammenarbeit mit Assad persönlich zwar ausgeschlossen. Mit Blick auf die Regierungsarmee hieß es aber vom Verteidigungsministerium lediglich, dass es „keine Zusammenarbeit mit Truppen unter Assad“ geben werde - eine Kooperation mit Einheiten, die nicht seinem Kommando unterstehen, wurde damit also nicht ausgeschlossen.

Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte gesagt: „Es gibt Teile der Truppen in Syrien, die man sehr wohl – wie in dem Beispiel Irak, wo ja erfolgreich die Ausbildung der lokalen Truppen stattgefunden hat - hier auch nehmen kann.“ Auch der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold zeigte sich dafür offen: „Es ist richtig, für den Neuaufbau des Landes und für den nachhaltigen Kampf gegen den IS auch mit Assads Truppen zusammenzuarbeiten.“

Der Iran hält derweil an seinem Rückhalt für Syriens Präsident fest. Über das Schicksal des Bürgerkriegslands habe allein die syrischen Bevölkerung zu entscheiden, sagte am Sonntag Ali Akbar Welajati, der außenpolitische Berater des politischen und religiösen Führers des Iran, Ajatollah Ali Chamenei. Assad sei „die rote Linie“ des Iran, „weil er vom syrischen Volk zum Präsidenten gewählt wurde“.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Russland aufgefordert, eine konstruktivere Rolle im Kampf gegen den IS zu spielen. „Russland muss seine Luftangriffe auf den IS konzentrieren“, sagte Stoltenberg der Welt am Sonntag und den anderen in der „Leading European Newspaper Alliance“ (Lena) zusammengeschlossenen Zeitungen. „Bisher hat Moskau andere Gruppen angegriffen und sich darauf konzentriert, das Regime von Assad zu unterstützen“,

Mehr Soldaten gefordert

Die Bundeswehrfregatte „Augsburg“ ist in der Nacht zu Sonntag dem Kommando der Franzosen unterstellt worden. Das Schiff mit rund 220 Soldaten an Bord traf im südöstlichen Mittelmeer ein, wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam mitteilte. Die „Augsburg“ soll gemeinsam mit weiteren Schiffen aus Belgien, Frankreich und Großbritannien den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ schützen. Der Verband soll in den nächsten Tagen in sein geplantes Einsatzgebiet im Persischen Golf verlegt werden.

Der Bundeswehrverband fordert angesichts der deutschen Beteiligung am Kampf den IS eine personelle Aufstockung und eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr. „Die Anforderungen sind enorm. Die Personalobergrenze muss erhöht und das Material der Truppe verbessert werden“, sagte Verbandschef André Wüstner der Passauer Neuen Presse. Derzeit fehlen der Truppe nach seiner Einschätzung 5.000 bis 10.000 Soldaten.

Die Politik habe bei der Bundeswehr-Reform 2011 und der damit verbundenen Reduzierung der Truppenstärke weder Aufgaben wie den Einsatz in Syrien noch die Krise in der Ukraine vor Augen gehabt, sagte Wüstner weiter. Nun habe sich die Lage „grundlegend verändert“.

Das falsche Rezept

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, hat den geplanten Syrien-Einsatz der Bundeswehr als unverständlich und denkbar falsches Rezept im Kampf gegen den Terror kritisiert. „Wir erleben zum Teil erneut, dass die Rezeptur ‚War on Terror‘ angewandt wird“, sagte der der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Damals hat diese Rezeptur versagt, und heute wissen wir umso mehr, dass Krieg gegen Terror nur noch mehr Terror hervorbringt, das heißt, aus al-Qaida wurde IS, und was kommt als Nächstes?“

Die beste und stärkste Waffe gegen den Terror sei ein Stopp von Waffenlieferungen, sagte Mazyek. Die Regionalmächte müssten an den Verhandlungstisch gezwungen werden, um durch ein starkes Versöhnungs- und Friedenskonzept so etwas wie eine Perspektive des Lebens und nicht des Elends und des Krieges herbeizuführen. „Damit trocknen wir Terror und Diktatur weltweit am besten aus.“

Der Vorsitzende des Zentralrates bezeichnete das Entstehen der Terrormilizen IS und al-Qaida als „Ergebnis einer völlig falsch gelaufenen Kriegspolitik“. Sie sei einer der Gründe dafür, dass es heute „solche absolut perversen und extremistischen Ausformungen von mutmaßlichen Muslimen“ gebe, sagte er mit Hinweis auf den Krieg gegen den Irak. „Wir haben Krieg gesät, und es sind Flüchtlinge und Terror gekommen.“

Derweil glaubt die Mehrheit der Deutschen (58 Prozent) nicht an einen militärischen Sieg über die Dschihadistenmiliz. Eine Umfrage des Emnid-Instituts für die Bild am Sonntag ergab, dass nur 37 Prozent der Befragten der Meinung sind, die Allianz aus den USA, Russland und anderen Staaten könne den IS militärisch besiegen. Gefragt danach, ob sie glaubten, dass der Terrorismus insgesamt mit militärischen Mitteln besiegt werden könne, antworteten nur 28 Prozent mit Ja. 67 Prozent gaben dagegen an, nicht an eine militärische Lösung zu glauben.

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