Kommentar Xavier Naidoo: Eine Bankrotterklärung

Die Ausladung Xavier Naidoos ist noch dümmer als seine Nominierung. Die Begründung des NDR ist Futter für die Lügenpresse-Schreihälse.

Xavier Naidoo singt auf einer Bühne, im Hintergrund ist sein Schatten zu sehen.

Die Posse um Xavier Naidoo wirft kein gutes Licht auf den NDR. Foto: ap

Man kann es sich natürlich ganz leicht machen. Auf den minderen kulturellen Wert des Eurovision Song Contest verweisen und in dem guten Bewusstsein, etwas Besseres zu sein, abwinken und es für völlig gleichgültig erklären, welche Pappnase da nun hinfährt.

Diese Haltung ist allerdings nicht nur arrogant, sondern auch dumm. Denn natürlich ist der ESC das größte popkulturelle TV-Ereignis des Kontinents, und so lange wir ernsthaft Fußball Nachrichtenwert zugestehen, solange werden wir wohl auch den ESC in Maßen ernst nehmen müssen. Auch wenn mir persönlich beides von der Sache her furchtbar egal ist: Es handelt sich eben doch um gesellschaftlich bedeutsame Veranstaltungen.

Nun also hatte der NDR einsam entschieden, Xavier Naidoo zum Singe-Wettbewerb zu schicken. Das war, vorsichtig gesagt, sehr ungeschickt. Denn völlig unabhängig von Naidoos künstlerischen Qualitäten hätte man sich schon vorher denken können, dass jemand, der auch solche Songtexte singt, die ohne viel Mühe als antisemitisch und homophob gedeutet werden können, und der auf Veranstaltungen irgendwelcher anti-amerikanischer Verschwörungstheoretiker vom rechten Rand Reden hält, vielleicht nicht der ganz ideale Vertreter ist, um quasi im offiziellen Auftrag als Vertreter dieses Landes losgeschickt zu werden.

Außer natürlich, man hätte der Welt unbedingt demonstrieren wollen, dass antisemitische, anti-amerikanische, homophobe und einfach grundlegend paranoide Positionen in Deutschland jederzeit vollkommen salonfähig sind. Dafür allerdings hätte man sich nicht die Mühe machen müssen, die Mannheimer Heulboje nach Schweden zu schicken – dafür reichte ja ein Blick in die Zeitung bzw. nach Dresden.

Das spezielle Problem bei dem ganzen Vorgang war nicht so sehr, dass Naidoo überhaupt fahren sollte. Hätte er sich, wie in den Vorjahren, in einem Wettbewerb durchgesetzt, wären seine Äußerungen zwar keinen Deut weniger idiotisch – aber zumindest hätte man sich dann tatsächlich auf die Position zurückziehen können, hier habe eben nur die Musik gezählt und die Leute hätten es halt so gewollt, trotz oder gerade wegen seiner politischen Ausfälle. Dass der NDR ihn aber aktiv ausgesucht hat und damit eben als sozusagen von höchster Stelle gewollten Repräsentanten entsenden wollte, war eine beachtliche Fehlleistung.

Ahnungslosigkeit trifft Realitätsverlust

Die Absage nun ist allerdings noch viel schlimmer. Erstens leistet Thomas Schreiber, offenbar der zuständige Mann im Sender, schlicht einen intellektuellen Offenbarungseid, wenn er nun verkündet: „Die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht.“ Ahnungslosigkeit trifft Realitätsverlust – anders ist diese Überraschung nicht zu erklären. Dann aber auch noch genau diese „Wucht der Reaktionen“ als Grund anzugeben, Naidoo wieder auszuladen, ist eine Bankrotterklärung auf allen Ebenen.

Der NDR knickt also ein vor dem Zorn einer Teilöffentlichkeit (dass ich zu ihr gehöre, macht es nicht besser). Wird das Programm dann zukünftig auch geändert, sobald eine hinreichende Menge an Leuten Unwillen dagegen äußert? Hat man sich über diese Frage wirklich so wenig Gedanken im Vorfeld gemacht (was bei einer zig Millionen teuren Veranstaltung bereits der nächste Skandal wäre), dass man nun plötzlich so lapidar sagen kann: Huch, sorry, da haben wir wohl nicht aufgepasst, dann halt nicht? Offenkundig war es so.

In den Worten von Schreiber: „Wir haben das falsch eingeschätzt. (…) Die laufenden Diskussionen könnten dem ESC ernsthaft schaden. Aus diesem Grund wird Xavier Naidoo nicht für Deutschland starten.“

Den Partner demontiert und den Nachrücker gleich mit

Aber nicht die laufenden Diskussionen hätten dem ESC schaden können, der NDR höchstselbst hat ihn zumindest für die deutsche Seite in Trümmer gehauen. Er hat seinen zum Partner auserkorenen Sänger Naidoo brüskiert und demontiert, damit vermutlich für lange Zeit garantiert, dass sich kein Künstler von Rang mehr freiwillig für diesen Auftrag bereit erklären wird. Und er hat jedem, der nun anstelle von Naidoo für Stockholm kommen könnte, von vornherein erledigt. Denn wie im letzten Jahr wird der oder die Nachrückende nun ganz offiziell künstlerisch nur zweite Wahl sein und zudem mit dem Hass der Pro-Naidoo-Fraktion leben müssen.

Noch fataler aber sind die gesellschaftlichen Folgen. Denn genau diese Reaktion jetzt ist ein Wasserfall auf die Mühlen der Pegida- und AfD-Typen, die überall Tugendterrorismus, die Diktatur des politisch Korrekten und ganz allgemein „Gutmenschentotalitarismus“ (so allen Ernstes Joachim Huber im Tagesspiegel zur Kritik an der Naidoo-Nominierung) wittern.

Der NDR kann also stolz von sich behaupten, der Wutbürgermeute und den Zwangsgebühren- und Lügenpresse-Schreihälsen genau das Futter gegeben zu haben, das diese sich am sehnlichsten wünschen – nämlich die Bestätigung all ihrer Ressentiments, dass man in diesem Land ja nichts mehr sagen dürfe, ohne von denen da oben gleich mundtot gemacht zu werden. Was für ein Desaster.

Ab in die Wüste

Im Grunde kann es jetzt nur eine vernünftige Lösung geben: Der NDR gibt die Betreuung des ESC vollständig ab und schickt alle dafür Verantwortlichen in die Wüste. 2016 verzichtet Deutschland einfach auf jede Teilnahme. Und die dadurch eingesparten Millionen werden der Flüchtlingshilfe zugesprochen.

Abschließend darf man natürlich gespannt sein, wann Xavier Naidoo uns erläutern wird, dass die Absage auf Geheiß der amerikanischen Besatzer bzw. der jüdischen Weltregierung erfolgte. Ach, wenn es doch nur so wäre! Aber dafür brauchen wir keine geheimen Mächte, dafür brauchen wir nur die Vollprofis vom NDR.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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