Wenn Bauern sich ums Tierwohl sorgen: Arme Schweine

Niedersachsens Landwirtschaftskammer wirbt für mehr Platz im Stall – dabei ist lange bekannt, dass naturnah gehaltene Tiere gesünder sind. Nur zahlen will dafür keiner.

Zwei Schweine stehen im Stall auf Stroh.

„Stroh ist der Schlüssel zum Erfolg“ - zufriedene Schweine fressen einander nicht Foto: Hans-Jürgen Wege/dpa

HANNOVER taz | Naturnah gehaltene Schweine neigen weniger zu Kannibalismus als ihre auf engstem Platz konventionell gehaltenen Artgenossen. Zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis ist die Landwirtschaftskammer Niedersachsen durch ein zweijähriges, vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördertes und damit letztlich vom Steuerzahler finanziertes Projekt gekommen. „Beschäftigungsmaterial, Besatzdichte und Lüftung“ seien entscheidenden Faktoren dafür, dass Mastschweine wenig Stress verspürten und sich nicht gegenseitig anfressen, sagt der Leiter des Fachbereichs Tierhaltung der Kammer, Ludwig Diekmann. Allerdings: Neu ist das alles mitnichten.

In Nordrhein-Westfalen hatte die damalige grüne Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn schon 2004 per Erlass festgelegt, dass die als hoch intelligent geltenden Schweine im Stall mindestens einen Quadratmeter Platz haben sollten. Außerdem wurde „Beschäftigungsmaterial“, also Spielzeug wie etwa Sisal-Seile, verbindlich vorgeschrieben. Verhindert werden sollte so, dass sich die Tiere wohl aus Langeweile gegenseitig die Ringelschwänze bis ins Rückenmark hinauf wegfressen – tödliche Infektionen sind oft die Folge.

Doch Höhns wegweisender Erlass wurde schon 2005 von ihrem CDU-Nachfolger Eckhard Uhlenberg kassiert. Zu bürokratisch, zu teuer seien Höhns Vorschriften, befand der Christdemokrat, der selbst konventioneller Landwirt ist – besonders die Regelung, dass jedes einzelne Tier 20 Sekunden persönliche Zuwendung am Tag verdient habe, wurde im Wahlkampf als „Kuschelerlass“ verspottet.

Seither hat die Ökonomisierung in der Schweinehaltung Vorfahrt. Um das Anfressen zu verhindern, werden die Ringelschwänze „kupiert“, also schlicht abgeschnitten. Und: Industriell gehaltene Schweine leben etwa in Niedersachsen – mit rund neun Millionen Tieren Deutschlands Mastland Nummer eins – auf 0,7 Quadratmetern pro „Einheit“ in drangvoller Enge.

Schweinemast ist vor allem eins: ein knallhartes Geschäft

Zwar müssen die Tiere „verformbares Material“ wie Holz oder Hartgummi oder „Wühlmaterial“ in ihrem Stall vorfinden. Fachleute allerdings halten diese „Oder“-Regelung für nicht tierfreundlich: „Stroh ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Ottmar Ilchmann. Zur artgerechten Schweinehaltung gehörten neben „Beschäftigungsmaterial“ und Stroh auch verschiedene „Klimazonen“, sagt der Landwirt: Der Schlafbereich sollte warm, ein Außenbereich kühl sein. „Das wichtigste aber bleibt Stroh“, meint auch der agrarpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorf. Der 62-Jährige betreibt selbst einen Bio-Bauernhof: „Ich habe meinen Schweinen noch nie die Schwänze abschneiden müssen.“

Trotzdem ist die Einstreu in der konventionellen Landwirtschaft nicht vorgesehen. Die Schweinehalter fürchten die Kosten des Ausmistens – stattdessen leben die Tiere auf Spaltenböden, durch die der Kot automatisch abfließt. Ostendorf sieht deshalb die großen Handelsketten in der Pflicht – für bessere Haltungsbedingungen müssten Landwirte pro Schwein mehr verdienen können.

Denn aktuell ist Schweinemast vor allem eins: ein knallhartes Geschäft. Insider schätzen, dass konventionell wirtschaftende Bauern an einem gemästeten Schwein oft gerade einmal fünf Euro verdienen. „Futter, Stall, der Transport – das verursacht alles Kosten“, sagt auch Ludwig Diekmann von der Landwirtschaftskammer dazu. „Verbraucher, die beim Discounter Fleisch kaufen, haben das Recht verwirkt, die Massentierhaltung zu kritisieren“, findet er. Nötig seien bessere Erlöse: Ob die nun über höhere Einzelhandelspreise oder staatliche Beihilfen zu Stande kämen, sei ihm „egal“, sagt Diekmann.

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Meyer versucht bereits, über eine „Ringelschwanzprämie“ gegenzusteuern: 16,50 Euro pro Tier erhält jeder Erzeuger, der auf das Abschneiden der Ringelschwänze verzichtet. Letztlich sei aber Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt gefordert – schließlich hat Europa das Abschneiden der Schwänze längst untersagt: Möglich wird es nur durch Ausnahmeregelungen aus Berlin. „Wir erwarten als Land“, sagte Meyer der taz, „dass der Bund endlich ein Datum für das Ende des Kupierens festlegt“.

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