: Die Ängste der anderen
Zusammenleben Tragen die Flüchtlinge Judenhass und Homophobie in die Gesellschaft? Die Jüdische Gemeinde ist besorgt, der Lesben- und Schwulenverband sieht das eher pragmatisch. Beide wollen nun Werte vermitteln
von Claudius Prößerund Uta Schleiermacher
Daniel Alter, Rabbiner und Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, kann Sorgen nachvollziehen, dass mit den Flüchtlingen vermehrt antisemitische Einstellungen nach Deutschland kommen. „Wir wissen, dass es in arabisch-islamischen Gesellschaften ein relevantes Problem mit Judenhass gibt“, sagt Alter im taz-Interview. Ähnliche Bedenken hatte bereits der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, geäußert.
Es sei deshalb wichtig, die Flüchtlinge möglichst schnell zu integrieren und ihnen demokratische Werte zu vermitteln, meint Alter. Auch die muslimischen Gemeinden könnten dazu einen Beitrag leisten. Neben nichtstaatlichen Initiativen müssten aber auch Bund und Länder aktiv werden. Und er drängt zu Eile: „Eigentlich sind wir schon vier Monate hintendran.“
Alter arbeitet selbst in Projekten, die antisemitische Einstellungen und Vorurteile bei Jugendlichen abbauen sollen. Mit einem Imam besucht er Schulklassen mit mehrheitlich muslimischen SchülerInnen. Mit diesen diskutieren sie über Toleranz und Respekt und zeigen Ähnlichkeiten zwischen Judentum und Islam auf. Zusätzlich zu diesen Besuchen laden sie die Klassen in eine Moschee und eine Synagoge ein. „Alle werden wir damit nicht erreichen“, sagt Alter, doch immer wieder erlebe er, wie einzelne SchülerInnen ihre Vorurteile anschließend überdenken.
Straftaten und Pöbeleien
2014 registrierte die Berliner Polizei knapp 200 antisemitische Straftaten. Darüber hinaus dokumentiert die Anfang 2015 im Auftrag des Senats gegründete Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) auch alltägliche Pöbeleien, Drohungen, Beleidigungen und Schmierereien.
Jörg Steinert, LSVD Berlin
Die Polizeistatistik listet auch von Ausländern verübte, politisch motivierte Delikte auf. Davon galten 2014 nur 16 Fälle als dezidiert antisemitisch. Daneben werden aber auch 115 Delikte aufgeführt, die im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt stehen – 21 davon gewalttätig. Auch dahinter könnten sich antisemitisch motivierte Taten verbergen.
Auch der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) betrachtet bestimmte Einstellungen von Flüchtlingen als Herausforderung, die pragmatisch angegangen werden müsse. „Es kommen viele Menschen mit anderen Ausgangsbedingungen und anderer Sozialisation. Wir versuchen, Flüchtlingen ein Wissen um unsere Grundwerte und ihre Grundrechte, auch auf sexuelle Selbstbestimmung, zu vermitteln“, so LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert. „Die Gesellschaft verändert sich. Jetzt geht es darum, wer die Veränderung lenkt.“
Am 17. November um 19 Uhr lädt das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin zur Podiumsdiskussion über „Sorgenvolle Solidarität: Die jüdischen Gemeinden und die Flüchtlinge“, Orangelab, Ernst-Reuter-Platz 2
Interview
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