: Die verwelkte Orchidee
BEWUSSTSEIN Vor einigen Jahren war die Stadt Hamburg Vorreiter in der Gender- und Queer- Forschung – dann liefen die Bundesmittel aus und damit auch der Studiengang
Wissenschaftlerin Dagmar Filter
Männer besetzen die Chefetagen, Frauen scheitern an der „gläsernen Decke“. Mehr Frauen als Männer beginnen ein Studium, doch je höher es die wissenschaftliche Karriereleiter hinauf geht, desto weniger Frauen sind dort zu finden. Und noch immer arbeiten Frauen in Deutschland durchschnittlich 79 Tage umsonst. Bei gleicher Arbeit verdienten sie 2014 21,6 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.
Trotzdem echauffieren sich Männer, Frauen, Kolumnisten, Maskulisten. Medien schreiben von „Gender-Wahnsinn“, besorgte Eltern wettern gegen sexuelle Vielfalt im Unterricht, obwohl „schwul“ noch immer eins der häufigsten Schimpfwörter auf dem Schulhof ist.
Die Gender- und Queer-Studies untersuchen diese gesellschaftlichen Phänomene. Sie hinterfragen gesellschaftliche Normen und Hierarchien, üben Kritik an Kultur und Machtverhältnissen und betrachten Lebenswelten, die von einem männlichen, weißen Blick abweichen. Sie nehmen die Menschen in den Blick, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und diskriminiert werden. „Gender- und Queer-Studies sind viel mehr als Ampelmännchen und Gendergedöns“, sagt Dagmar Filter, Leiterin vom Zentrum GenderWissen, das Lehrangebote zu Gender- und Queer-Studies in Hamburg hochschulübergreifend koordiniert. „Es geht darum, ein Bewusstsein für gesellschaftliche Missstände zu schaffen und Kritik an Strukturen und Privilegien zu üben.“
Bei der Einführung von Gender- und Queer-Studies war Hamburg ganz vorne mit dabei. Die frühere grüne Wissenschaftssenatorin Krista Sager hatte im Rahmen eines bundesweiten Programms sieben Professuren an den Hamburger Hochschulen eingerichtet. Geschlechterfragen wurden unter anderem an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), der Technischen Universität Harburg und der Hochschule für Musik und Theater Hamburg diskutiert und erforscht.
An der Uni-Hamburg startete im Wintersemester 2002/2003 der Masterstudiengang „Gender und Arbeit“ an der damaligen HWP (Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik) und der Nebenfachstudiengang „Gender und Queer Studies“. Seit dem Winter 2005/2006 ist damit Schluss. Ein Zulassungsstopp wurde verhängt. Die Studiengänge liefen aus.
Dagmar Filter bedauert die Situation. „Es hat zu wenige Lehrkapazitäten gegeben“, meint sie. An der Uni-Hamburg sollte es eine Professur mit einem Schwerpunkt in „Queer Theory“ geben. Diese Theorie hinterfragt Geschlechter- und Machtverhältnisse und zeigt Normierungsprozesse und deren Folgen für Lebens- und Beziehungsformen auf. In Hamburg sollten die Schwerpunkte auf „Queer Theory und Technoscience“ gelegt werden. Ziel war zu untersuchen, inwiefern Naturwissenschaft und Technik von einem geschlechtlich und sexuell konnotierten Vorverständnis geprägt sind. Damit hätte sie über ein Alleinstellungsmerkmal in der Forschung verfügt.
Die Professur wurde jedoch nie besetzt. Eine vertane Chance? Filter meint, dass es noch zu früh gewesen sei, um den Themenschwerpunkt zu verstetigen. Den Gender- und Queer-Studies wird an der Universität kein hoher Stellenwert eingeräumt, so Filter. Als die finanziellen Mittel aus dem Hochschulsonderprogramm des Bundes ausliefen, stellte die Uni das Geld für die Grundlagenkurse im Studiengang nicht mehr bereit. Die Stellen der wissenschaftlichen Mitarbeiterin und der Studiengangsplanerin wurden nicht mehr finanziert. Das war das Ende des Studiengangs.
An anderen Universitäten im Norden sieht die Situation anders aus. In Oldenburg zum Beispiel können Studierende Gender-Studies im Rahmen eines Zwei-Fächer-Bachelors studieren. Für Masterstudierende wird das Fach „Kulturanalysen: Repräsentation, Performativität, Gender“ angeboten. In Göttingen gibt es sowohl einen Bachelor- als auch einen Masterstudiengang in „Geschlechterforschung“.
In Hamburg versucht das Zentrum Genderwissen ein Lehrangebot zu Geschlechterfragen aufrechtzuerhalten. Studierende können jeweils ein Zertifikat „Genderkompetenz“ und „Intersektionalität und Diversity“ ablegen. Dafür veröffentlicht das Zentrum jedes Semester ein Lehrtableau mit allen Veranstaltungen, die sich an Hamburger Hochschulen mit diesem Feld beschäftigen. 200 dieser Zertifikate hat Dagmar Filter bisher ausgestellt. „Die Studierenden beschäftigen sich mit Schönheitsnormen, Sexualität und Identitätsfragen, aber das Wichtigste ist, dass sie eigene Fragestellungen entwickeln.“
Die Studierenden arbeiten später in Organisationen, Unternehmen und Stiftungen oder in der Forschung. Filter: „Heute kommt kaum noch ein Unternehmen ohne Genderkompetenz aus. In Unternehmen bei der Personaleinstellung oder auch in der Pressearbeit sind Kenntnisse gefragt.“
Ganz aufgegeben habe man in Hamburg die Gender- und Queer-Studies noch nicht, sagt die Koordinatorin. Auch wenn viel Überzeugungsarbeit in Politik und Hochschulen nötig sei. „Momentan nehmen antifeministische Strömungen stark zu und Geschlechterdebatten werden ins Lächerliche gezogen“, berichtet Filter. „Wir versuchen, das Tor offen zu halten und weiterhin möglichst viele Lehrveranstaltungen anzubieten und Analysen und Fragestellungen zu fördern.“
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