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Keine unzulässige Abschreckung

Asyl Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige verstoßen wohl nicht gegen die Verfassung

KARLSRUHE taz | Ist es eindeutig verfassungswidrig, dass abgelehnte Asylbewerber nur noch minimale Sozialleistungen bekommen sollen? Davon gehen fast alle Kritiker aus – unter Verweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Wer sich unter Karlsruher Richtern umhört, zweifelt.

Am letzten Samstag tratdas Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in Kraft. Wichtiger Punkt: Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, die nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert sind, erhalten grundsätzlich nur noch Unterkunft, Ernährung und Körper- und Gesundheitspflege. Damit sind Leistungen des sozialen Existenzminimums (für Telefonate, Verkehr, Medien, Kultur) in der Regel ausgeschlossen. Pro Asyl hält die Regelung für „verfassungswidrig“, da sie gegen Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip verstößt. Die Grünen im Bundestag verwiesen auf „die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“.

Gemeint ist ein Urteil vom Juli 2012. Damals hatte das Verfassungsgericht die Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes für „evident unzureichend“ erklärt. Für die Neuregelung gaben die Richter vor, dass das Existenzminimum nicht nur die Sicherung der körperlichen Existenz, sondern auch die „Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ umfassen müsse.

Eine „kurze Aufenthaltsperspektive“ rechtfertige ebenso wenig eine Absenkung wie „migrationspolitische Erwägungen“. Eine Absenkung von Leistungen sei nur möglich, wenn für bestimmte Gruppen ein niedriger Bedarf nachgewiesen wird.

Dieses Urteil ist weniger eindeutig, als es scheint. Karlsruhe stellt für die Frage, ob ein niedrigerer Bedarf besteht, nicht auf die Begründung im Gesetzentwurf ab, sondern ob sich eine Absenkung der Leistungen überhaupt begründen lässt. Das heißt: Die Begründung könnte von der Regierung auch nach einer Klage nachgereicht werden.

Das Gesetz ist also nicht deshalb verfassungswidrig, weil es den niedrigeren Bedarf der vollziehbar Ausreisepflichtigen nicht transparent herleitete. Auch macht nicht jede migrationspolitische Erwägung das Gesetz verfassungswidrig.

So ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung davon die Re­de, man wolle „Fehlanreize“ für das Stellen von ­Asylanträgen reduzieren. Damit wird aber be­gründet, dass in Erstaufnah­me- und Gemeinschaftsunterkünften in der Regel wieder Sachleistungen statt Bargeld gewährt werden sollen. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht verboten. Es hat nur untersagt, die Höhe von Sozialleistungen unter das Existenzminimum abzusenken, um Flüchtlinge vor der Antragstellung in Deutschland abzuschrecken. Die Leistungsabsenkung für vollziehbar Ausreisepflichtige ist aber nicht geeignet, Flüchtlinge mit rechtlich relevanten Fluchtgründen von der Antragstellung in Deutschland abzuhalten. Denn die Leistungsabsenkung trifft nur diejenigen, deren Antrag abgelehnt ist und die auch sonst keinen Abschiebeschutz erhalten haben.

Es geht also nicht darum, Wanderungsbewegungen nach Deutschland zu vermeiden, sondern um die schnellere Ausreise derer, die kein Bleiberecht in Deutschland haben. Befragte Verfassungsrichter geben auch zu bedenken, dass das Recht auf Existenzsicherung durch den Staat nicht unbedingt durch die bloße Anwesenheit in Deutschland entstehe. Wer kein Aufenthaltsrecht (mehr) habe und gefahrlos ausreisen könne, habe möglicherweise gar keinen Anspruch auf Existenzsicherung in Deutschland. Christian Rath

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