Abwehr

Im Umgang mit Flüchtlingen gilt immer mehr die Devise: Entweder sie gar nicht reinlassen oder schnell wieder loswerden

Viktor Orbán lässt auch in Kroatien grüßen

Krise Angesichts Zehntausender Flüchtlinge spielt die Opposition HDZ drei Wochen vor den Wahlen die nationalistische Karte. Sie würde am liebsten sofort Militär für den Grenzschutz einsetzen

Kleine Ruhepause. Flüchtlinge im slowenischen Rigonce kurz nach dem Grenzübertritt Foto: A. Bronic/reuters

AUS VUKOVAR Erich Rathfelder

In einer Kleinstadt wie Vukovar mit nur einem annehmbaren Hotel fällt die Gruppe von hohen Armeeoffizieren aus Kroatien, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina auf. Vor allem, wenn dieses Treffen in einem Zusammenhang mit Maßnahmen der slowenischen Regierung steht. Denn Slowenien hat sich am Dienstag entschlossen, Militär an die Grenze zu Kroatien zu senden, um diese gegen Flüchtlinge abzuschotten. Werden in Kroatien und den anderen Ländern nun ähnliche Schritte erwogen?

Bisher stellen internationale Journalisten und humanitäre Helfer der sozialdemokratisch geführten kroatischen Regierung ein gutes Zeugnis aus, was den Umgang mit den Flüchtlingen angeht. Im Gegensatz zu Serbien werden die Flüchtlinge in Kroatien professionell behandelt, die Registrierung und die Versorgung mit sauberen Schlafplätze verläuft reibungslos, es gibt Essen, Duschen, medizinische Versorgung und eine organisierte Weiterfahrt in Bussen an die slowenische Grenze. Denn niemand der Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan will in Kroatien bleiben. Ihr Ziel ist Deutschland.

„Die gute Organisation“, witzelt Igor, ein kroatischer freiwilliger Helfer, „hat damit zu tun, dass man die Flüchtlinge so schnell wir möglich aus dem Land haben will.“ Die Strategie der kroatischen Regierung sei, den Flüchtlingen ein positives Bild von Europa zu vermitteln, also im Gegensatz zu Ungarn den Anforderungen der Europäischen Union gerecht zu werden, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Weitertransport reibungslos verläuft. Soll sich das jetzt ändern?

Die Stimmung im kroatischen Oppositionsbündnis, das von der konservativ-nationalistischen Partei HDZ ( Kroatische demokratische Gemeinschaft) angeführt wird, ist bereits aufgeheizt. „Man kann sogar von einer Orbanisierung der Opposition sprechen“, sagt der bekannte Exverleger und Publizist Nenad Popović.

Die aus der HDZ stammende Präsidentin des Landes, Kolinda Grabar-Kitarović, würde nach Ansicht auch anderer Beobachter der kroatischen Innenpolitik am liebsten schon jetzt Militär an die Grenzen schicken. Die HDZ warte nur auf die Gelegenheit, vor den Parlamentswahlen am 8. November mit nationalistischen Tönen in rechtspopulistischer Manier Stimmung zu machen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere europäische Staats- und Regierungschefs kommen angesichts der Flüchtlingskrise am Sonntag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen. Im Zentrum der Diskussionen stehe die "sich verschärfende Notlage" in den Ländern entlang der Balkanroute, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Neben Merkel wollen ihre Amtskollegen aus Österreich, Ungarn, Griechenland, Kroatien, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Serbien und Mazedonien nach Brüssel reisen. Eingeladen ist auch der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. (epd)

„Wir sind in einer Wirtschaftskrise, beide Parteiblöcke haben keine Ideen, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes anzukurbeln, man hofft nur auf eine generelle Besserung in Europa insgesamt“, sagt Nenad Popović. Die humanitären Helfer wie der Student der Volkswirtschaft Igor und kroatische Journalisten vieler Medien, die sich derzeit in Vukovar aufhalten, stimmen dieser Analyse im Prinzip zu. „Beide Parteienblöcke versprechen ihrer Klientel mehr Mittel aus dem Staatsbudget, ohne zu erklären, woher das Geld kommen soll“, sagt Igor.

Schon seit Jahren wird in Kroatien die fehlende Innovation für die Entwicklung neuer Industrien beklagt. Die vor allem nach dem Krieg ab 1995 systematisch betriebene Deindustrialisierung unter dem damaligen Tudjman-Regime – große Teile der Volkswirtschaft wurden an Günstlinge des Regimes verteilt – wurde später auch von anderen Regierungen nicht grundsätzlich korrigiert. „Das Potenzial war da“, sagt Stjepan, junger Ingenieur aus Vukovar, „man hätte es für die Entwicklung moderner Industrien nutzen müssen.“ Er hat die Nase voll. „Wir jungen Leute haben angesichts der Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent keine Hoffnung mehr.“ Er hat sich schon bei einer Firma in Baden-Württemberg beworben. Wählen gehen will er nicht. Er vertraut keiner Seite mehr. Alle sind sich aber einig darin, dass Kroatien gar nicht in der Lage sei, angesichts der eigenen sozialen Probleme Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.

Einer der Offiziere sagt bei einer Raucherpause vor dem Hotel immerhin: „5.000 Flüchtlinge wäre für uns Kroaten die Obergrenze.“