Pascal Beucker über Gabriels Kanzlerkandidatur
: Ein Sigmar ist kein Jeremy

Sigmar Gabriel will also. Eine Sensation ist seine Ankündigung nicht: Als Parteivorsitzender ist er zum Kanzlerkandidaten prädisponiert. Ohne sich selbst innerparteilich zu demontieren, hätte Gabriel nicht noch einmal für einen anderen verzichten können. Überraschend ist allerdings der äußerst frühe Zeitpunkt seiner Selbstausrufung zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl. Mit Blick auf den SPD-Parteitag im Dezember eine kluge Entscheidung: Gabriel dürfte mit einem glänzenden Ergebnis im Vorsitz bestätigt werden.

Sechs Jahre steht Gabriel nun bereits der SPD vor. So lange wie kein Genosse mehr seit Willy Brandt. In seiner Antrittsrede 2009 erinnerte Gabriel an dessen Hoch-Zeit, die auch die Hoch-Zeit seiner Partei war: Damals seien die Antworten der SPD auf gesellschaftliche Fragen „emanzipatorisch, aufklärerisch und damit eben links“ gewesen. Und kämpferisch versprach Gabriel seinerzeit, die SPD werde „die Mehrheit unserer Gesellschaft wieder davon überzeugen, dass Veränderung möglich ist“. Es blieb ein leeres Versprechen.

Wie eingemauert verharrt die SPD im 25-Prozent-Keller. Das ist auch das „Verdienst“ Gabriels: Er ver­körpert das Elend der deutschen ­Sozialdemokratie. Es mangelt ihm an Substanz, an sozialdemokratischer Grundierung. Er ist ein Machtpolitiker ohne inneren politischen Kompass. Er kann nicht überzeugen, weil es ihm an Überzeugungen fehlt. Von der Verschärfung des Asylrechts über TTIP und Vorratsdatenspeicherung bis zur Rüstungsexportpolitik: Unter Gabriels Führung gibt die SPD den perfekter Juniorpartner der Union.

Deswegen ist seine Kanzlerkandidatur auch kein Aufbruchsignal. Sie zementiert vielmehr die politischen Verhältnisse. Das Glück für Gabriel ist das Dilemma all jener, die die Hoffnung auf eine gerechtere und sozialere Gesellschaft noch nicht aufgegeben haben: Die SPD hat zurzeit nichts Besseres im Angebot. Ihr fehlt ein Jeremy Corbyn. Inland