piwik no script img

Merkels neuer Coup

EU Die Kanzlerin übernimmt nun auch in der Türkei-Politik die Führung – dabei ist der Kurs in der EU weiter umstritten. Auch über Syrien gibt es Streit. Einig sind sich die Europäer nur darin, Russland zu verurteilen

Flüchtlinge auf Lesbos. Täglich kommen hier 50 Boote aus der Türkei an Foto: Arturas Morozovas/Est&Ost

Aus Brüssel Eric Bonse

Die Meldung platzte mitten in die Beratungen der EU-Außenminister in Luxemburg: Bundeskanzlerin Angela Merkel reist am Freitag in die Türkei, um sich mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu beraten. Die deutsche Kanzlerin wolle mit dem türkischen Staatschef über den Syrienkrieg, die Flüchtlingskrise und den Kampf gegen den Terror sprechen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Den Kampf gegen den Terror? Nach dem Anschlag auf eine Friedensdemo in Ankara und den türkischen Luftangriffen auf die kurdische PKK klingt dies bizarr. Und es passt auch nicht recht zur offiziellen Linie der EU, die Erdoğan zur Zurückhaltung im „Krieg gegen den Terror“ aufgefordert hatte. Merkels Reise ist ein Alleingang, und das kurz vor der Parlamentswahl in der Türkei, die Brüssel in Ruhe abwarten wollte.

Schließlich war Erdoğan erst vor einer Woche mit allen Ehren in der EU-Hauptstadt empfangen worden. Bei seinem Auftritt vor der Presse hatte er nicht den Eindruck gemacht, den Europäern entgegenkommen zu wollen – sondern vor allem Bedingungen gestellt. Nach seinem Besuch ließ die türkische Regierung sogar Berichte aus Brüssel dementieren, man habe sich auf einen Aktionsplan zur Flüchtlingskrise geeinigt.

Nun prescht Merkel vor – und lässt die Außenminister alt aussehen. Die schaffen es seit Monaten nicht, eine klare Haltung zur Flüchtlingskrise und ihren Ursachen zu finden. Auch beim Treffen am Montag in Luxemburg waren keine wegweisenden neuen Beschlüsse geplant. Die EU-Chefdiplomaten sind sich zwar einig, dass der Türkei eine Schlüsselrolle zukommt. Doch ob man Erdoğan entgegenkommen soll, bleibt umstritten.

Für zusätzliche Verwirrung sorgte die EU-Kommission, die die Türkei am Montag erneut als „sicheres Herkunftsland“ bezeichnete. Trotz des Bombenterrors auf Regierungsgegner und der Militäreinsätze gegen Kurden erfülle das Land weiter die „Kopenhagen-Kriterien“ zu Demokratie und Menschenrechten, erklärte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsländer“ können schneller abgeschoben werden.

Die Kommission hält auch an ihren umstrittenen Plänen fest, neue Flüchtlingslager in der Türkei zu bauen. Der Chef des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, António Guterres, hält davon nichts: Die Mehrheit der rund zwei Millionen Flüchtlinge in der Türkei lebe nicht in Lagern, sondern suche Arbeit, sagte Guterres in Athen. Die EU solle sich lieber für bessere Arbeitsmöglichkeiten einsetzen, als neue Lager zu bauen.

Merkels Reise in die Türkei ist ein Alleingang – und das kurz vor der Parlamentswahl, die Brüssel in Ruhe abwarten wollte

Auch bei den Fluchtursachen kommt die EU nicht voran. Die Außenminister verurteilten am Montag zwar die russischen Luftangriffe auf Oppositionelle in Syrien. Angriffe, die sich nicht gegen die Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat (IS) oder andere von der UNO als Terroristen eingestufte Gruppen richteten, müssten „sofort beendet werden“. Russland müsse zudem „Verletzungen der Souveränität des Luftraums von Nachbarstaaten“ Syriens sofort einstellen.

Doch eine Strategie zur Beendigung des Kriegs hat auch die EU nicht. Selbst die Haltung zu Machthaber Baschar al-Assad ist umstritten. „Wir können flexibel sein, was die Art seines Abgangs angeht, und wir können flexibel sein, wenn es um den Zeitplan für seinen Abgang geht“, sagte der britische Außenminister Philip Hammond.

Demgegenüber weigert sich Frankreich, auf Assad zuzugehen, wie dies auch deutsche Politiker erwägen. Staatssekretär Harlem Désir sagte, auch ein möglicher Friedensprozess müsse ohne Assad über die Bühne gehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen