: Eine andere Welt ist pflanzbar
Kassel Am Lutherplatz hat ein Aktionskünstler einen „Nicht-Tun-Garten“ angelegt
Neben dem denkmalgeschützten Trafohäuschen an Kassels Lutherplatz wuchert der „Nicht-Tun-Garten“: Ölweiden, Erbsensträucher, Aronia- und Johannisbeeren, Kirschpflaume und Quitte. Vor zehn Jahren hat Karsten Winnemuth sie hier gepflanzt – als Mittelpunkt einer sozialen Skulptur, die aus über 75 Nutzpflanzenarten und den Besucher*innen entsteht.
Das Projekt mit dem mehrdeutigen Namen „planT“ war 2005 bei der Bewerbung Kassels zur Kulturhauptstadt Europas wohl eines der ersten Experimente zum Thema „Essbare Stadt“ in Deutschland. Inzwischen existieren im deutschsprachigen Raum etwa 70 Projekte. Karsten Winnemuth, der nach seiner Ausbildung zum Gemüsegärtner 1997 in England Permakultur studierte, mischt bei vielen Essbare-Stadt-Projekten konzeptionell mit und gräbt oft auch selbst in der Erde. Die Inspiration hat er vor 20 Jahren aus England mitgebracht von einem Fleck Erde, den sie in der Szene fast ehrfurchtsvoll „The Field“ nennen.
Auf diesem knapp zwölf Hektar großen Areal in Devon demonstriert die Initiative „Plants for a Future“, welch fruchtbare, üppige Vielfalt die Natur auch in widrigen Gefilden hervorbringen kann, wenn mensch sie darin behutsam fördert. Seit er dort war, ist Winnemuth überzeugt, dass Gärten das Potenzial haben, auch gesellschaftliche Bereiche zu befruchten: Eine andere Welt ist pflanzbar.
Die Menschen vom Projekt „StadtFruchtGeNuss“ haben 200 Obstbäume und -büsche in Kassel angepflanzt. Für sie gilt: „Pflücken erlaubt statt Anfassen verboten.“ Zum Stadtjubiläum erhielt der 80 Mitglieder zählende Verein „Essbare Stadt“, dessen Vorsitzender Winnemuth ist, eine Ehrenplakette, im Herbst veranstaltet das kommunale Zukunftsbüro eine Fachtagung unter dem Motto: „Wirsing, Walnuss, Weckewerk – wie is(s)t die Stadt der Zukunft.“
Trotz Lob und Anerkennung muss Winnemuth seinen Lebensunterhalt als Baumpfleger verdienen. Der 49-Jährige gibt zu: „So ein festes Salär für meine Projektarbeit wäre schon fein, viel wichtiger aber ist, dass die Projekte zum Laufen kommen.“
Einer seiner liebsten Orte ist der ForstFeldGarten. Auf einer Fläche von 7.000 Quadratmetern hat sein Verein zusammen mit einem Stadtteiltreff, einer Wohnungsbaugesellschaft, einer Stiftung und zahlreichen Engagierten ein buntes Paradies geschaffen: Neben einem Permakultur-Wald mit 40 verschiedenen Obstgehölzen, darunter Uräpfel, gibt es auch einen multikulturellen Gemeinschaftsgarten, in dem Menschen zusammen ackern, kochen und Erntedank feiern. Der danebenliegende Schau- und Lerngarten verharrt noch im Keimformstadium. Stephanie Ristig-Bresser
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