: Mustermann und die Brandstifter
Deutschland Am Bahnhof jubeln die Bürger, im Land brennen die Lager. Zwei Flüchtlingsunterkünfte stehen in der Nacht zu Montag in Flammen. In Thüringen geht die Polizei von einem politisch motivierten Anschlag aus
Von Erik Peter
In Ebeleben in Thüringen gerieten nach Angaben der Polizei drei Dachstühle in Brand. Ein technischer Defekt könne ausgeschlossen werden, sagte eine Sprecherin, stattdessen gehe man von einem politisch motivierten Anschlag aus. Schon in der Nacht sei mit einem Hubschrauber und Fährtenhunden nach mutmaßlichen Tätern gesucht worden – bislang jedoch erfolglos. Der Landkreis hatte geplant, in den Gebäuden bis zu 100 Asylbewerber unterzubringen. Ein entsprechender Beschluss sollte noch in dieser Woche gefasst werden. Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand. Der Sachschaden wird derzeit auf 300.000 Euro geschätzt.
Ministerpräsident Bodo Ramelow
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), der Samstagnacht noch persönlich Flüchtlinge am Bahnhof in Saalfeld in Empfang genommen hatte, zeigte sich am Montag nach einem Besuch des Brandorts erschüttert. Wer glaube, Häuser anstecken zu müssen, unterscheide sich nicht von Terroristen in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kämen, sagte Ramelow. „Thüringen wird davor nicht in die Knie gehen.“
Bei einem Brand in einem Containerlager in Rottenburg im Landkreis Tübingen wurden insgesamt sechs Asylbewerber verletzt. Nach Angaben der Polizei erhielten drei Bewohner Rauchvergiftungen, zwei Frauen zogen sich bei Sprüngen aus Fenstern im ersten Obergeschoss Knochenbrüche zu. Eine sechste Person meldete sich am Montag mit Schmerzen und wurde ebenfalls in ein Krankenhaus eingeliefert. Ob das Feuer auf einen Anschlag zurückzuführen ist, ist derzeit noch unklar. Einen Wachschutz habe es in der Unterkunft nicht gegeben, so die Polizei. Aussagen eines Mitarbeiters vom Tübinger Landratsamt, dass der Brand mit großer Wahrscheinlichkeit im Inneren der Container entstanden sei, wollte Polizeisprecher Josef Hönes gegenüber der taz nicht bestätigen.
Etwa die Hälfte der insgesamt 56 Einzelcontainer brannte vollständig aus, auch die restlichen sind derzeit unbewohnbar. 80 Flüchtlinge wurden mit Bussen in die Rottenburger Festhalle gebracht und dort vom Deutschen Roten Kreuz betreut. Die Kriminalpolizei hat eine 25-köpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet. Zu ihr gehören Kriminaltechniker, Brandsachverständiger, aber auch Dolmetscher, um die Flüchtlinge zu befragen. Nach einer Zählung der Amadeu Antonio Stiftung kam es bis Ende August bereits zu 225 Angriffen gegen Unterkünfte von Asylbewerbern.
7. 9. Rottenburg/BaWü(bewohnt): Ermittlungen laufen
7. 9. Ebeleben/Thüringen(in Planung): Brandanschlag
6. 9. Dortmund/NRW(in Planung): Brandanschlag
4. 9. Heppenheim/Hessen(bewohnt): Ermittlungen laufen
3. 9. Witten/NRW(in Planung): Brandanschlag
28. 8. Aue/Sachsen(bewohnt): Ermittlungen laufen
28. 8. Salzhemmendorf/Nieders. (bewohnt): Brandanschlag
27. 8. Oschersleben/S.-Anhalt(bewohnt): Ermittlungen laufen
26. 8. Berlin-Reinickendorf (bewohnt) von Bewohnern verursacht
26. 8. Leipzig/Sachsen(in Planung): Brandanschlag
25. 8. Döbeln/Sachsen(bewohnt): Brandanschlag
25. 8. Nauen/Brandenburg(in Planung): Brandanschlag
24. 8. Weissach im Tal/NRW(in Planung): Brandanschlag
23. 8. Espelkamp/NRW(in Planung): Brandanschlag
21. 8. Neustadt/Bayern(bewohnt): Brandanschlag
21. 8. Berlin-Marzahn(bewohnt): Brandanschlag
20. 8. Niederstedem/R.-Pfalz(bewohnt): Brandanschlag
Um den Bau neuer Asylbewerberunterkünfte zu beschleunigen, plant die Bundesregierung, Bauvorschriften zu lockern. Übergangsregelungen soll es etwa bei Geländerhöhen und Emissionsschutz, aber auch beim Brandschutz geben. Darauf einigte sich der Koalitionsgipfel am Sonntagabend (siehe Seite 3). Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Deutsche Gründlichkeit ist super, aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gebraucht.“
Ihre Ablehnung gegen Flüchtlinge trugen Neonazis am Wochenende unter anderem im mecklenburgischen Wismar und in Dortmund offen zur Schau. Unter Parolen wie „Wismar bleibt deutsch“ zogen etwa 300 Demonstranten durch Wismar. Im Anschluss an den Aufzug griffen vier Rechtsextreme zwei Flüchtlinge aus Eritrea an und versuchten diese mit einer Flasche zu verletzen, was jedoch misslang.
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