Flüchtlinge in Berlin: Es ist schlichtweg unerträglich

Ein schwerbehinderter Syrer strandet mit Frau und Kind obdachlos vor dem Lageso. Kann man da noch Journalist bleiben?

Zwei Frauen vor den Gittern am Berliner Lageso Foto: dpa

BERLIN taz | Nichts ist gut in Berlin. Zumindest nicht vor dem Lageso, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Dabei sollte dort jetzt alles besser sein. Am Montag hat die Caritas die Koordination der Hilfe für die vor dem Lageso darbenden Flüchtlinge übernommen. Die Anwohnerinitiative „Moabit hilft“ ist entlastet. Theoretisch. Aber die MoabithelferInnen stöhnen. Nichts als Chaos herrsche weiter auf dem Wiese vor dem Amt. Als Journalist müsste ich das jetzt gegenrecherchieren. Aber ich will, ich kann hier gerade kein Journalist mehr sein.

An der Zufahrt zum Amt stehen Montag gegen 21 Uhr noch rund 50 Flüchtlinge. Einige haben weiße Armbändchen. Sie dürfen hoffen, dass ein Bus sie in eine Notunterkunft karrt. „Die da haben kein Bändchen“, sagt eine der Helferinnen. Die da, das sind Vater, Mutter, Kind. Woher die kommen? „Sie sprechen arabisch.“ Ihre Perspektive: eine Nacht im Park. Dort sei es schon zu Überfällen und Vergewaltigungen gekommen, sagen die von „Moabit hilft“.

Stunden zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel verkündet, was sie für Flüchtlingspolitik hält. 1.: Mehr sichere Herkunftsländer definieren (damit weniger Menschen kommen dürfen). 2. EU-Standards für Rückführung definieren (also schneller abschieben). Und 3. menschenwürdigere Flüchtlingslager in Jordanien schaffen (damit keiner kommt). Mit anderen Worten: Bleibt, wo der Pfeffer wächst. Zur Lage der Flüchtlinge in Deutschland: kein Wort.

Wut, hat Diana Henniges, Gründerin von „Moabit hilft“, gerade gesagt, Wut sei inzwischen ihr eigentlicher Antrieb.

Die Gründerin der Anwohnerinitiative "Moabit hilft" war auch Gast in der August-Ausgabe des monatlichen Polittalks "Brinkmann & Asmuth" bei tv.berlin. Diana Henniges erzählt dort ausführlich von der Arbeit der HelferInnen vor Ort und schimpft über Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU).

Die Videos der beiden Teile Sendung finden sich auf youtube hier und hier.

Nach der Aufzeichnung der Sendung am vergangenen Donnerstag ging taz-Redakteur Gereon Asmuth zum Lageso, um den Flüchtlingen dort zu helfen. Später berichtete er darüber auf taz.de.

Asyl auf der Gästematratze

Wir packen die drei in ein Taxi und fahren zu mir. Die Gästematratze, das Sofa. Das geht. Am Küchentisch reden wir mit Händen und Füßen. Sie kommen aus Syrien. Aleppo. Sie haben die ganze Tour hinter sich. Türkei, griechische Inseln. Der Vater zeigt auf ein Foto mit Flüchtlingsbooten in der Zeitung und macht Schwimmbewegungen. Dann Mazedonien, Serbien, Wien, Berlin. Wenn ich es richtig verstanden habe, waren sie einen Monat unterwegs.

Er geht an Krücken. Ihm fehlt das halbe rechte Bein. Er macht eine Handbewegung. Hubschrauber. Und dann: bumm! Fassbomben. Er zeigt mir Handybilder aus Aleppo. Ein bewegender Abend. Auch weil sich die Syrerin sich köstlich über meine Zitronenpresse mit Merkelkopf amüsiert hat.

Es geht hier nicht um mich oder all die anderen Freiwilligen, die Nacht für Nacht die Obdachlosen vor dem Lageso auf ihren Sofas unterbringen. Auch nicht um das Versagen des völlig überforderten Landesamtes. Es geht darum, dass es unerträglich ist, wenn eine syrische Familie mit Kind und schwerbehindertem Vater in Berlin auf der Straße schlafen muss.

Die Verantwortung trägt Sozialsenator Mario Czaja (CDU), der weder für eine durchgreifende Besserung vor Ort sorgt, noch sich da blicken lässt. Zu recht wird am heutigen Mittwoch um fünf vor zwölf vor seinem Amtssitz an der Oranienstraße 106 demonstriert. Wenn ihm kein Machtwort gelingt, dann muss das sein Chef, der Regierende Bürgermeister, übernehmen. Aber hat irgendjemand einen Ton von Michael Müller gehört?

PS: Herr Müller, Herr Czaja, falls Sie sich bei den drei SyrerInnen entschuldigen wollen, ich stelle gern den Kontakt her.

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