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Wikileaks-Dokumente zur NSA-SpionageAuch Ministerien betroffen

Der Enthüllungsplattform zufolge sollen neben der Kanzlerin auch andere Teile der Regierung abgehört worden sein. Gabriel sieht das gelassen – teilweise.

Na, wer war noch darunter? Foto: dpa

München afp/dpa | Der US-Geheimdienst NSA hat nach Informationen der Enthüllungsplattform Wikileaks nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern auch weite Teile der Bundesregierung ausgespäht. Wikileaks teilte am Mittwoch mit, dass die NSA 69 Telefonnummern der Bundesregierung ausgespäht habe. Die Spionage sei teilweise gemeinsam mit Großbritannien erfolgt, bestimmte Ergebnisse seien an die „Five Eyes“ weitergeleitet worden, zu denen auch Australien, Kanada und Neuseeland zählen.

Unter den Spionagezielen waren laut Wikileaks die Bundesministerien für Wirtschaft, Finanzen und Landwirtschaft. Bei einem aufgezeichneten Telefonat Merkels ging es um die Einführung der Finanztransaktionssteuer und die Ansicht der Kanzlerin, in dieser Sache müsse Druck auf die Regierungen in Washington und London ausgeübt werden. In einem anderen Telefonat habe die Kanzlerin ihre Ansichten über eine Überwindung der griechischen Finanzkrise und ihre Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dargelegt.

Die Enthüllungen lagen vorab der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR sowie französischen Medien wie der Libération vor. Sowohl der Berliner Telefonanschluss des Bundeswirtschaftsministers als auch der Anschluss seines Büroleiters stünden auf einer NSA-Überwachungsliste, heißt es in dem SZ-Bericht vom Donnerstag über die jüngsten Enthüllungen. Die Liste stamme offenbar aus der Zeit von 2010 bis 2012.

Die NSA habe sich vor allem für die deutsche Währungs- und Handelspolitik interessiert. Auch die aktuellen Nummern mehrerer Staatssekretäre des Bundesfinanzministeriums fänden sich auf der Liste, hieß es in dem Bericht. Aufgeführt sei zudem die Europäische Zentralbank (EZB).

Wikileaks-Sprecher Julian Assange erklärte zu den jüngsten Enthüllungen, sie zeigten, dass sich die US-Wirtschaftsspionage auf Deutschland und auf führende europäische Institutionen wie die EZB sowie auf die Griechenland-Krise erstrecke. Zugleich werde belegt, wie Großbritannien den USA „behilflich“ sei, zentrale Bereiche der europäischen Politik auszuspähen.

Neue NSA-Quelle

In der vergangenen Woche hatte Wikileaks Unterlagen über NSA-Lauschangriffe auf drei französische Staatspräsidenten veröffentlicht. Diese Dokumente stammten, wie auch die Deutschland betreffenden Unterlagen, offenkundig nicht von dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, sondern von einer anderen, bislang nicht identifizierten NSA-Quelle, heißt es in dem „SZ“-Bericht.

Die Bundesregierung erklärte laut SZ auf Anfrage hinsichtlich der jüngsten Wikileaks-Informationen, der Sachverhalt sei ihr nicht bekannt. Ein Regierungssprecher fügte hinzu: „Ohne nähere Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhalts ist der Bundesregierung eine Bewertung derzeit nicht möglich.“

Eingestelle Ermittlungen zum Kanzlerinnen-Handy

Die Pariser Zeitung Libération wies darauf hin, dass die Bundesanwaltschaft im Juni die Ermittlungen wegen eines mutmaßlichen US-Lauschangriffs auf das Mobiltelefon der Kanzlerin eingestellt habe, weil sich dieser nicht gerichtsfest beweisen lasse. „Die Karten müssen nun neu gemischt werden“, setzte die Libération hinzu.

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz erklärte, die Wikileaks-Enthüllungen entblößten „einen rechtsstaatlich komplett aus dem Ruder gelaufenen Apparat“ in den USA, der ein „uferloses System der Überwachung“ aufgebaut habe. Auf deutscher Seite zeige sich, dass die Fach- und Rechtsaufsicht „absolut unzureichend und schlampig“ gewesen sei.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich zu neuen Wikileaks-Informationen gelassen geäußert. „Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu“, sagte der SPD-Chef am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin“. „Wir machen nichts in Ministerien per Telefon, was man abhören müsste.“ Viel gefährlicher finde er die Frage, ob die NSA auch die deutsche Wirtschaft ausgespäht habe. „Mein Ministerium ist mit zuständig dafür, Unternehmen zu schützen vor Wirtschaftsspionage, und das finde ich das problematischere Thema.“

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10 Kommentare

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  • man müsste sich mal Gedanken machen, inwieweit unsere Politiker von den Abhöre wissen und nutzen, ich glaube kaum, dass unsere Regierung usw ahnungslos sind, sondern ebenfalls für sie intressante Infos bekommen, wetten!

  • Dass sich die Bundesregierung nicht dafür interessiert, dass global Milliarden von Menschen automatisiert überwacht werden, liegt nicht an einer unterstellten Unterwürfigkeit gegenüber den USA. Es liegt daran, dass sie selbst mit drin stecken, die globale Überwachung ist auch von der deutschen Regierung gewollt. Ein wichtiger Teil des Überwachssystems ist der deutsche Geheimdienst BND.

     

    Proteste gegen die Überwachung gibt es bundesweit im Rahmen der „Freiheit statt Angst“-Demo Tour 2015 https://freiheitstattangst.de/, jeden Samstag in Griesheim https://nsassb.de/ und jeden Samstag in Berlin an der neuen BND-Zentrale https://bnd-an-die-kette.de/.

  • Ich weiß gar nicht, wieso sich alle so aufregen über die Wikileaks-Enthüllungen!?

     

    Wenn Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt werden muss, dann muss natürlich auch die Sicherheit der USA im Kanzleramt verteidigt werden. Und nicht nur da. Sogar im Schlafzimmer der Kanzlerin, wenn die Gefahr besteht, dass die da etwas anderes thematisiert als nur das Kamasutra und die letzte Folge von „In aller Freundschaft“. DIE Wirtschaft (von A wie Automobilbau über F wie Finanzdienstleister bis W wie Wasserwerke) ist schließlich das A und O in einem Staat wie unserem. Wenn die nicht völlig sicher ist, dass niemand etwas plant, worauf sie sich nicht vorbereiten kann mit mindestens ner mittleren Intrige, dann kann das den totalen Untergang bedeutet. Ein Weltkriegsende ist ein Dreck, verglichen mit ner Kapitalmarktregulierung!

     

    In sofern kann ich Sigmar Gabriel sehr gut verstehen in seiner Ironie und dem „Verhältnis“, das er hat. Verstehen kann ich bloß nicht, dass der Mann noch immer Wirtschaftsminister ist. Die Ironie ist schließlich in der Kunst viel besser aufgehoben als im 'nem Wirtschaftsministerium. Wie schade, dass die Kunst so oft so brotlos ist! Vermutlich ist das Ganze wie im echten Leben. Seine Geliebte muss man auch nicht heiraten, wenn dadurch das Vermögen in Gefahr gerät.

     

    Und was die Bundesanwaltschaft angeht, die hat das Siegen offenbar genau so von den drei bekannten Affen beigebracht bekommen, wie die Regierung selbst. Es trifft sich jedenfalls, dass „ohne nähere Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhalts […] der Bundesregierung eine Bewertung derzeit nicht möglich [ist]“ und die Bundesanwaltschaft „die Ermittlungen [...] eingestellt habe[n]“ soll, weil sich die Spionage „nicht gerichtsfest beweisen“ lässt. Was so ganz ohne jede Ermittlungen kein großes Wunder ist. Wer von nichts weiß, der braucht nicht zu reagieren. Am Hindukusch war man nicht ganz so zimperlich.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Ihrer Darstellung stimme ich im Kern gerne zu, auch wenn ich mir konkrete Vorstellungen vom Kamasutra im Schlafzimmer der Kanzlerin lieber erspart hätte. Ausnahme: Frau Merkel als Domina in flagranti delicto mit Roland Pofalla.

  • Unbegreiflich das sämtliche Gewaltenteilung den gesamten Inhalte tatenlos zusehen.

    Es ist scheinbar gewollt, die USA installiert und unterstützt die Diktatur Light.

    Denn auf der anderen Seite ist die $PD und CDU sehr hektisch bezüglich der Umsetzung bestimmter antidemokratischer Inhalt.

    Z.B. Innerdeutsche Militäreinsätze, THW und andere Hilfsorganisationen sind dem Militär unterstellt, Polizei, Reservisten.

    Es gibt eindeutige Parallelen in die Vergangenheit.

    Dort fing der Umbau/Gleichschaltung aller staatlicher Gewalt genau so geräuschlos mit dem Himmler und co an.

  • Ich muss mal ein paar Worte zu Wikileaks loswerden, denn diese Organisation verliert für mich immer mehr an Glanz!

     

    Als Wikileaks die ersten Snowden-Dokumente veröffentlichte, hatte ich, wie sicher viele Andere auch, gehofft, jetzt kommt ALLES auf den Tisch und dann kann das „große Aufräumen“ beginnen.

    Aber entgegen dem eigenen Anspruch von WikiLeaks, „Informationsfreiheit ÜBERALL auf der Welt“ zu schaffen, kommen seitdem die Dokumente nicht insgesamt, sondern nur tröpfchenweise und im Abstand von Wochen und Monaten auf den Tisch. Immer wenn sich der vorangegangene Trubel etwas gelegt hat, kommt, wie Kai aus der Kiste, Wikileaks mit dem nächsten Dokument heraus.

     

    Offenbar verfolgt Wikileaks inzwischen ein anderes Prinzip, nämlich sich selbst über Jahre und Jahrzehnte im Gespräch zu halten. Und wenn diverse Massenmedien dabei mithelfen, umso besser auch für deren Auflage. Eine typische Win-Win-Situation!

    Dass die Dokumente inzwischen hoffnungslos veraltet sind („2010 bis 2012“ steht im Beitrag), wen kümmert’s. Aufregung kann man damit auch in 5 oder 10 Jahren noch verbreiten.

     

    Hatte Edward Snowden sich das so vorgestellt?

    • @Pfanni:

      Wenig Wissen zum Thema, aber eine feste Überzeugung dazu.

       

      Erstens hat Snowden nichts mit Wikileaks zu tun. Vielleicht verwechselst du ihn mit Julian Assange. Zweitens verstehst du wohl nicht, was es für Dokumente sind und um welche Mengen es geht. Es sind tatsächlich Millionen Dokumente (oft mit Inhalten, die ein Außenstehender überhaupt nicht versteht), die müssen gesichtet und sinnvoll aufbereitet werden. Es bringt nichts, alle Rohdaten blind zu veröffentlichen, das kann sogar kontraproduktiv sein, der Sache der Aufklärung schaden und dem Gegner Argumente für die Verleumdung von Snowden als angeblichen Verräter liefern.

       

      Und die Dokumente hier sind auch keineswege "hoffnungslos veraltet", die sind sogar aktueller als die Snowden-Dokumente. Aber was rede ich eigentlich, du hast ja nicht einmal erkannt, dass es sich hier um eine neue NSA-Quelle handelt.

       

      Mein Tipp: Anstatt etwas "loszuwerden", wäre es hilfreicher sich vorher zu informieren.

    • @Pfanni:

      Ich fürchte ja. Edward Snowden ist nicht dumm. Er weiß, wie steil Erregungskurven verlaufen in der westlichen Welt. Hätte er sein gesamtes Wissen an einem Tag ins Netz gekotzt, wäre er inzwischen längst vergessen - und der "Skandal" mit ihm. So steckt der Stachel immer noch im Fleisch und suppt.

       

      Das "große Aufräumen" hätte im Übrigen schon längst beginnen müssen. Vor 30 oder 40 Jahren noch hätte ein Bruchteil der Informationen, die heute nur noch Schulterzucken auslösen, genügt, eine Regierung spurlos von der Bildfläche zu exen. Nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Frankreich oder anderswo. Inzwischen sind Skandale im ganzen Dutzend deutlich billiger zu haben.

       

      Danke, liebe Medien, dass ihr euch so sehr um die Demokratie sorgt, dass ihr selbst Bobby-Cars zum Anlass nehmt, die Muskeln spielen zu lassen. Wer nie so ganz den Durchblick hatte, der weiß nun gar nicht mehr, wo oben und wo unten ist, wo vorne und wo hinten.

    • @Pfanni:

      Das Problem an deiner Aussage ist, daß Wikileaks nie Snowden-Dokumente veröffentlicht hat.

       

      Was die Art der Veröffentlichungen angeht, sollte selbst der rigoroseste Freiheitsaktivist mittlerweile verstanden haben, daß z.B. Geheimdienstdaten sehr sensible Dinge sein können und eine Veröffentlichung mancher Teile ausserordentlich kontraproduktiv.

  • Hmm

    Fassen wir den aktuellen Diskursstand mal kurz zusammen:

     

    - VDS-Siggi hat ein ironisches Verhältnis zur Überwachung. Prima - da lachen Schwangerschaftsberatungsstellen, Priester, Rechtsanwälte, Menschenrechtler in Katar und Journalisten gerne mit.

     

    - 'Raute' Merkel hat schon 2011 die Hoffnung für Griechenland aufgegeben, weil - Achtung, kein Quatsch - die SCHULDEN ZU GROSS sind! Nein! Doch! Oh!

     

    - Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren gegen die USA eingestellt weil - ja echt wahr, kein Scherz - es KEINE BEWEISE für NSA-Spionage gibt!

     

    - Moment - kurz beim rollenden Lachen vor dem Computerdisplay anhalten, den habe ich noch: Gestern wurde der NSA-Selektoren-Listen-Begutachter von SPD, CSU und CDU benannt. Er soll verhindern, dass Kenntnisse über diese Liste nicht an die Öffentlichkeit geraten!

     

    Okay - und wenn ihr mit dem Lachen fertig seid und wiedser einigermaßen Luft geholt habt - zwei Fragen:

    - Welche Deppen haben diese Regierung gewählt?

    - Welche Idioten sind nicht zur Wahl gegangen und haben so nicht die Opposition gestärkt?

     

    "Es reicht nicht aus, eine korrupte und unfähige Regierung zu haben - es muss auch eine Bürgergesellschaft geben, die diese Bananenrepublik mitträgt"

    http://merkel-ruecktritt.jetzt/