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Kommentar ZwangsbehandlungRisiken und Nebenwirkungen

Der Bundestag hat ein Gesetz zur Zwangsbehandlung psychisch Kranker gebilligt. Es soll den Trend zu Neuroleptika nicht verstärken.

Wahnkranke bekommen trotz ihrer schweren Erkrankung oft nur wenig menschlich-therapeutische Zuwendung Bild: reuters

P sychisch Kranke dürfen, wenn sie zwangsweise in einer Klinik untergebracht sind, unter bestimmten Umständen auch gegen ihren Willen behandelt werden. Der Bundestag billigte am Donnerstagabend mit großer Mehrheit ein entsprechendes Gesetz; der Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen protestierte erwartungsgemäß.

Der Streit ruft alte Bilder auf, die den Blick auf die wirklichen Probleme in der Psychiatrie verstellen können. Laut Klischee stehen auf der einen Seite die Psychiater im weißen Kittel, die Menschen in Ausnahmezuständen gegen ihren Willen festhalten lassen und niederspritzen.

Auf der anderen Seite findet man Patienten, die durch Zwangsbehandlungen gefühlloser Psychiater traumatisiert wurden, so das Schwarz-Weiß-Bild. Das Gesetz sieht jetzt hohe Hürden für Eingriffe gegen den Willen der Patienten vor. Eine Zwangsbehandlung darf nur noch angeordnet werden, wenn der ansonsten drohende gesundheitliche Schaden „erheblich“ ist.

Jutta Henglein-Bildau
Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz.

Der „zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme“ muss die möglichen „Beeinträchtigungen“ also deutlich überwiegen, so das Gesetz. Nach dieser Regelung ist es nicht mehr ohne weiteres möglich, einem psychotischen Menschen gegen seinen Willen in der Klinik starke Medikamente spritzen zu lassen, nur weil er Wahngedanken hat.

Kosten und Menschlichkeit

Zumal besonders Neuroleptika erhebliche Nebenwirkungen haben. Liegt eine Patientenverfügung vor, die eine Behandlung mit bestimmten Medikamenten ausschließt, ist diese für die Klinik bindend. Das Gesetz sollte aber nicht den Trend verstärken, gerade bei schwer psychisch Kranken nur noch über chemische Keulen zu sprechen und nicht mehr über alternative oder ergänzende Behandlungsverfahren.

Dabei geht es auch um die Kosten: Eine Behandlung von Psychotikern ohne Neuroleptika dauert länger und kann aufwendiger werden als die Verabreichung pharmazeutischer Präparate. Wahnkranke bekommen trotz ihrer schweren Erkrankung oft weniger menschlich-therapeutische Zuwendung als Leute mit leichteren psychischen Störungen. Dieses Ungleichgewicht darf nicht hingenommen werden.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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14 Kommentare

 / 
  • H
    Heidrun

    @ lowandorder:

     

    Schön, Sie hier wieder zu sehen!

     

    Das: 'Denn " Genehmigung" bedeutet rechtstechnisch

    - anders als "Einwilligung" - rechtliche Absegnung im Nachhinein.'

     

    hatte ich geargwöhnt, aber mir fehlt die juristische Expertise. Mein Eidruck ist, dass der Richter als explizit Nicht-Mediziner hier die Funktion zugewiesen bekommt, abzunicken und damit zu legitimieren. Das wäre dann freilich eine Verstärkung psychiatrischer Macht und nicht etwa eine Einschränkung.

     

    Stimmt das in etwa?

  • L
    lowandorder

    1906 Abs 3 lit. a BGB soll nach Bt-drucks 1711513 lauten:

     

    "Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnah- me bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. "

     

    Das bedeitet, der Betreuungsrichter kommt erst

    zum Zuge, wenn alle Eulen verflogen sind.

    Denn " Genehmigung" bedeutet rechtstechnisch

    - anders als "Einwilligung" - rechtliche Absegnung im

    Nachhinein.

     

    Sieht man von den hier gar nicht erfaßten Eilfällen ab,

    ist ein rechtfertigender Grund für - lediglich - eine Genehmigung,

    statt einer - vorrangehenden - Einwilligung durch den Betreuungsrichter

    nicht erkennbar.

    Im Gegenteil dürfte diese Rechtskonstruktion im Entwurf gerade

    nicht der Intension des BGH entsprechen.

    Danach sollen Psychater und Richter auf Augenhöhe über

    das " ob " entscheiden.

    Das genau war es, was der Herr Bundesvorsitzende Prof Falkai

    ja so fürchtete wie der Teufel das Weihwasser.

    (& sein Notruf:" ich bin der Richter, Sie sind der Arzt", um keine Laus im Pelz zu haben!!)

    Mit einer - nachträglichen - Genehmigung wischen sich die Herrschaften

    …!

     

    Art 1 des Grundgesetzes und dem BGH ist nur Genüge getan,

    wenn der Betreuungsrichter bereits über das " ob"

    gleichberechtigt und letzter Hand entscheidet.

    Der im Gesetzentwurf vorgesehene Genehmigungsvorbehalt

    unterfällt der unabweislichen Gefahr der Normativität des Faktischen,

    genügt diesen Anforderungen nicht und ist somit verfassungswidrig.

  • AS
    Andrzej Skulski

    In einer Stellungnahme haben sich hierzu mehrere Betroffenen- und Menschenrechtsorganisationen geäußert (...und ich hoffe, dass die Journalisten "mehr Eier zeigen" und endlich anfangen über das wahre Gesicht der Zwangspsychiatrie zu berichten). Hier ein Zitat daraus(Gesamttext auf www.die-bpe.de):

     

    „Nun offensichtlich: Psychiatrie ist nackte Gewalt! Das Bundesverfassungsgericht hatte 2011 mit zwei Beschlüssen Rechtssicherheit geschaffen, mit denen es festgestellt hat, dass psychiatrische Zwangsbehandlung zwar überall praktiziert wurde, es aber in den 63 Jahren seit Bestehen dieser Republik noch nie ein grundgesetzkonformes Gesetz gab, das sie hätte legalisieren können. In der Reaktion darauf, dass alle diese Gesetze immer grund- und menschenrechtlich illegal waren, hat die Psychiatrie nun offen sichtbar gemacht, dass sie tatsächlich nur ein Vergewaltigungssystem ist, das sich zur Täuschung der Öffentlichkeit in einem Helfermäntelchen versteckt hatte und sich angeblich immer gerade wieder reformiert habe. Diese falsche Fassade des "Helfens" und eines "reformerischen Fortschritts" konnte sie nun nicht mehr aufrecht erhalten, sondern musste ihr wahres Gesicht zeigen: ihre verbrecherische Gewaltfratze. Wäre Helfen ihr inneres Ziel, wäre diese Gewaltausübung in der Profession als eine gesellschaftlich ihr aufgetragene Bürde empfunden worden und sie hätte diese Befreiung von der Gewaltausübung per höchstrichterlichem Beschluss freudig begrüßt. So aber musste sie ihren tatsächlichen Charakter offenbaren, sich decouvrieren, also alles Tarnen und Täuschen aufgeben und die sofortige Restaurierung der praktizierten Gewalttätigkeit als angebliche "Notwendigkeit" fordern..." /.../

  • JB
    JG Bischoff

    Das sind keine Klischees, das ist die Realität.

    Warum glauben sie denn dass Psychiater in der Hierarchie der Ärtze ganz unten stehen.

    Die Psychiatrien in Deutschland die keine Folteranstalten sind kann man an 2 Händen abzählen.

  • JB
    JG Bischoff

    Hier die Reaktionen der Patientenorganisiatonen

     

    Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.

    http://www.qualitaet-in-der-psychiatrie.de/daten/PresseBPE1906.pdf

     

    Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener

    http://www.die-bpe.de/

     

    Johannes Georg Bischoff

    Diplom-Psychologe

    Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des Bundesverbandes Psychiatrie Erfahrener (BPE)

  • P
    Psychiater

    Natürlich erhält zumindest in einer psychiatrischen Klinik jede Patientin und jeder Patient ein psychotherapeutisches Angebot. Leider lassen sich aber nicht alle psychischen Erkrankungen immer und ausschließlich mit Psychotherapie behandeln. Das gilt insbesondere auch für Psychosen. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass Patientinnen und Patienten in der Regel zu einer (medikamentösen) Therapie gezwungen würden - schon gar nicht aus Kostengründen. Allerdings stimmt es, dass Krankenkassen eine Krankenhausbehandlung nur bezahlen wenn auch eine Behandlung (psychotherapeutisch und/oder medikamentös) erfolgt. Eine Zwangsbehandlung kam in psychiatrischen Kliniken äußerst selten vor - und wurde im übrigen auch bei den betroffenen Patientinnen und Patienten nur wenige Male angewendet. Daran wird das neue Gesetz auch nichts ändern. Es geht allein um die Regelung von sehr seltenen Ausnahmesituationen (nämlich wenn eine erhebliche Gefährdung für die eigene Gesundheit vorliegt, z.B. wenn aufgrund eines Vergiftungswahns keine Nahrung mehr eingenommen wird).

  • A
    aka

    Der Artikel geht faelschlicherweise davon aus, dass nur tatsaechlich Kranken eine Zwangsbehandlung angedroht wird. Er stellt die Problemlage dar als ein Dilemma, in das der verantwortungsvolle Arzt geworfen wird, wenn Wohl des Patienten und erklaerter Willen des Patienten einander zu widersprechen scheinen. Was aber, wenn es weder um den erklaerten Willen, noch das Wohl, noch um einen "Patienten" im Sinne eines Kranken geht? Noch um einen verantwortungsvollen Arzt, der in einem Gewissenskonflikt gefangen ist? Psychiatrie ist in wohl vielen Faellen nicht mehr als ein exzellentes Instrument der gesellschaftlichen Normierung und Disziplinierung - jenseits aller demokratischer Rechte.

  • K
    karl

    hierr trieft es ja fast nur von moralisierenden äußerungen, die offenbar keine ahnung vom alltag in der psychiatrie haben. ich möchte mal das augenmerk auf die unter betreuung stehenden schwerst kranken lenken, die krankheitsbedingt unter umständen in eine lebensbedrohliche lage geraten, ihre situation nicht mehr einschätzen können und nur durch unterbringung und dann zwangsmedikation gerettet werden können. das ist jetzt nun endlich wieder möglich!

  • C
    carla

    Wer so etwas verabschiedet, ist nicht wählbar!

  • L
    lasso

    Hat hier auch die EU die Gesetzesvorlage gegeben??!

    Was sind wir doch für ein erbärmliches

    Volk geworden!

  • F
    friedbert

    Praktisch unterliegt es also immer doch

    der subjektiven Einschätzung der behandelten

    ÄrztInnen, ob eine Zwangsbehandlung angezeigt

    ist oder nicht. Und selbst wenn mehrere Ärzte

    einer Zwangsbehandlung zustimmen würden, wäre eine Parteizugehörigkeit

    oder Klassenzugehörigkeit gegenüber

    potentiellen Delinquenten patientengefährdend.

    Eine sehr gute Methode ist dies, um

    Andersdenkende und politisch Ungehorsame

    wegzusperren und deren Seele kaltzustellen.

    Eine gute Methode ist dies, um potentiellen

    EU-Kritikern beizukommen.

    Kranke zu heilen kostet immer, aber die

    Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen, nur

    weil die Krankenhäuser nicht Willens sind die

    Patienten von der Richtigkeit der Behandlung

    zu überzeugen, ist einfach nur vordemokratisch

    unredlich. Das Mißbrauchspotential dieses

    Gesetzes sollte nicht unterschätzt werden!

    Da nutzen auch Frau Dribbuschs Beschwichtigungen

    nichts!

  • W
    wauz

    Zwangsbehandlungen gab es sowieso

     

    In einem akuten Notfall, wenn z.B. ein Patient gegenüber anderen Patienten oder Pflegepersonal gewalttätig wird, kann und muss sowieso eingegriffen werden. In vielen anderen Fällen wird die Einwilligung des Patienten durch die Einwilligung eines gesetzlichen Betreuers ersetzt. Dieser Fall ist viel problematischer, als die neue Regelung, die immerhin so etwas wie ein Vier-Augen-Prinzip vorschreibt. Eine Betreuung wird schnell verfügt, und seitens der Richter wird viel zu wenig recherchiert und hinterfragt. Ist eine Betreuung erst einmal verfügt, kann in der Praxis der Betreuer meist völlig willkürlich handeln. Das wird dann kaum noch kontrolliert.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Die Würde des Menschen ist unantastbar,dies sollten ach Psychisch Erkrankte im Alltag erleben und erfahren.Das verabschiedete Gesetzsollte einem Normenkontrollverfahren unter zogen werden,notfalls sollte vor dem Internationalen gerichtshof gegen das verabschiedete Gesetz geklagt werden.

  • A
    anke

    Das Wort "erheblich" macht die Sache nicht besser, Frau Dribbusch. Der gesundheitliche Schaden, der laut Gesetz drohen muss für eine Zwangsbehandlung, wird nämlich von den Ärzten definiert, nicht von den Patienten. Und Ärzte, scheint mir, haben mitunter ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, was so alles passieren kann, wenn sie nicht umgehend mit aller Kraft tätig werden. Der Fantasie ist an der Stelle wohl kaum irgend eine Grenze gesetzt. Wie auch? Die Gedanken sind ja frei. Der Rest ist Interpretation. Eine Kunst, die viele Ärzte dank Elternhaus, Abitur, Endlos-Studium und permanenter Fortbildung bzw. Veröffentlichung weit besser beherrschen als viele psychisch Kranke.

     

    Sehen Sie es doch mal so, Frau Dribbusch: Das Problem besteht darin, dass im Gesetz "zu erwarten" steht. Welcher praktizierende Psychiater (und welcher Profi überhaupt) erwartet schon ernsthaft, dass sein Handeln einen Schaden anrichten wird? Und dann auch noch einen, der den Nutzen übersteigt? Doch höchstens der, der vorsätzlich handelt. Was also wäre, wenn sich Arzt und Patient nicht einigen können in puncto Schaden-Nutzen-Relation?

     

    Die "möglichen Beeinträchtigungen" auf Seiten des Arztes bestehen in der Regel im Verdienstausfall. Der Patient kann die seinen von der Packungsbeilage ablesen. Aber wird sich der Mediziner von einenicht stärker beeinträchtigt fühlen, als vom körperlichen oder seelischen Unbehagen seines Patienten? Zum Beispiel dann, wenn er sich im Einzelfall finanziell übernommen oder große Ambitionen hat? Wenn so ein Mediziner dann entscheiden soll, weiß ich schon jetzt, wie die Sache ausgeht. Und zwar ganz ohne den Patienten auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Die konkrete Realität spielt nämlich nur eine sehr untergeordnete Rolle für unsere Erwartungen - und für die daraus resultierenden Handlungen auch.

     

    Letztendlich gilt: Wenn ein Patient unter den (Neben-)Wirkungen einer Behandlung so sehr leidet, dass er lieber stirbt als ihnen weiter ausgesetzt zu sein, kann der Arzt leicht behaupten, der Mensch sei nicht ärztlicher "Kunst" erlegen, sondern einer Krankheit. Und was kann der Patient tun?