Bundesagentur und Leiharbeit: Selbst in Vollzeit reicht der Lohn nicht
Fast 350 Millionen Euro muss der Staat auf die Löhne von Zeitarbeitern draufpacken. Die BA soll solche Jobs bei der Vermittlung umsteuern, fordern die Grünen.
BERLIN taz | Überdurchschnittlich viele Leiharbeiter in Vollzeit beziehen zusätzlich Hartz IV. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen hervor, die der taz vorliegt.
Danach erhielten im Juni 2011 54.620 Haushalte, in denen mindestens ein Leiharbeiter lebte, noch Geld vom Jobcenter. Den Staat kostete diese Subventionierung rund 347 Millionen Euro.
Die Bundesregierung verweist allerdings darauf, dass bei der Frage, warum der Lohn nicht reiche, auch der „Arbeitsumfang“, eine Rolle spiele sowie die Zahl der zu versorgenden Haushaltsmitglieder. Insofern geben die Zahlen nur erste, aber interessante Hinweise. Aus ihnen geht hervor, dass in 86 Prozent der Haushalte, die aufstocken, mindestens ein Leiharbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt ist.
Vermittlungsvorschläge für Leiharbeit mehr als verdreifacht
Für die Grünen Grund genug darauf zu drängen, dass auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ihre Vermittlung in Leiharbeit kritisch überdenkt. Die Debatte darüber hatte Ende 2012 ein Mitarbeiter der BA ins Rollen gebracht. In einem Diskussionspapier kritisierte Eberhard Einsiedler, Vorsitzender des Hauptpersonalrats der Behörde, dass die Agentur Arbeitslose zu häufig in Leiharbeit vermittele. So habe sich die Zahl der vorgeschlagenen Leiharbeitsstellen zwischen 2007 und 2011 „mehr als verdreifacht“. Insgesamt hätten die Agenturen in dem Zeitraum den Arbeitslosen knapp 19 Millionen Stellen vorgeschlagen. Fast die Hälfte davon, rund 9 Millionen Stellen, seien auf Leiharbeit entfallen. Auch der BA-Vorsitzende Frank-Jürgen Weise sprach, konfrontiert mit den Zahlen, von „Fehlentwicklungen“.
Die Bundesregierung selbst kann nun aber, und das ist einigermaßen erstaunlich, nicht sagen, wie viele Vermittlungen in Leiharbeit es in den letzten Jahren gegeben hat. Doch sie liefert zumindest die Information, dass die BA-Zentrale ihre Zusammenarbeit mit Leiharbeitsfirmen kräftig ausbaute. Gab es 2007 noch 15 Kooperationsvereinbarungen, waren es 2012 bereits 95. Dazu kamen auf regionaler Ebene allein im Jahr 2007 über 1.500 neue Vereinbarungen.
Daran kann und will die Bundesregierung nicht rütteln: „Es wäre rechtlich unzulässig, Zeitarbeitsunternehmen bei der Suche nach Arbeitnehmern die Unterstützung zu verweigern.“ Die Grünen kritisieren dieses Vorgehen als wenig nachhaltig. Schließlich bedeute Leiharbeit für die Beschäftigten „Unsicherheit und Einbußen bei der Lebensplanung“, sagt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen