Arbeitsmarktexperte über Jobwunder: „Österreichs Wirtschaft ist flexibel“
Garantierte Lehrstellen für Jugendliche, Schulungen für Arbeitslose und Lohnanpassungen sind die Gründe für die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU, sagt Helmut Hofer.
taz: Herr Hofer, Österreich hat die niedrigste Arbeitslosigkeit der EU. Was machen Sie besser?
Helmut Hofer: Der österreichische Arbeitsmarkterfolg ist ein Sammelsurium von verschiedenen Komponenten. Es hat nie einen starken Schock gegeben, der die Arbeitslosigkeit hochgetrieben hätte. Dann läuft die österreichische Wirtschaft vergleichsweise gut: Man hat die Ostöffnung gut wahrgenommen in den 1990er und 2000er Jahren und man hat vom Aufschwung in Deutschland profitiert. Außerdem waren die österreichische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt sehr flexibel. Es gibt einen dynamischen Prozess, der dazu führt, dass die Leute immer neue Jobs gefunden haben.
Gibt es eine aktivere Arbeitsmarktpolitik?
Österreich hat eine relativ aktive Arbeitsmarktpolitik, gemessen an der Höhe der Arbeitslosigkeit. Das Lehrlingssystem mit garantierter Lehrstelle hat dazu geführt, dass es nie zu einer hohen Jugendarbeitslosigkeit gekommen ist. Und die Lohnsetzung war immer recht flexibel. Das kann man natürlich auch negativ sehen. Ich sehe es positiv. Die Löhne sind kaum jemals über die Produktivität gestiegen. Denn die Sozialpartner haben immer sehr aktiv bei der Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik mitgewirkt.
Es werden doch viele Arbeitslose in Schulungen versteckt.
Das ist aber nicht anders, als in anderen erfolgreichen Ländern mit aktiver Arbeitsmarktpolitik, Holland zum Beispiel. Diese Schulungen haben auch Erfolge. Es werden die Fähigkeit der Arbeitslosen gehoben und sie motivieren Arbeitslose, sich einzusetzen und Jobs zu suchen.
Der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky ist mit dem Spruch in die Geschichte eingegangen, dass ihm eine Milliarde Schilling Schulden weniger Schlaflosigkeit verursache, als 100.00 Arbeitslose. Wird der soziale Friede noch mit Schulden erkauft?
In letzter Zeit eher wenig. Die starke Defizitpolitik hat sich nicht fortgesetzt. Seit Österreich in der Währungsunion ist, bemüht man sich, das Defizit einzuhalten. Das gibt es länger nicht mehr, dass man große Konjunkturprogramme fährt. Außer während der Krise 2009. Aber da gab es auch intelligentere Programme wie Arbeitszeitverkürzung.
Können sich die Spanier oder Franzosen in Österreich etwas abschauen?
Die Flexibilität am Arbeitsmarkt. Was in Spanien nicht funktioniert hat, war die Teilung des Arbeitsmarkts mit einem kleinen Teil von stark geschützten Arbeitsverhältnissen, wo einem überhaupt nicht gekündigt werden konnte, und einem sehr großen Teil von völlig flexiblen Jobs. Man muss das ganze System flexibel gestalten. Spanien versucht das ja bereits. Man muss warten, bis sich die Makrosituation verbessert. In Deutschland hat man am Anfang auch gesagt, dass die Hartz-Reformen nicht funktionieren werden. Es hat gedauert, bis der Wirtschaftsaufschwung gekommen ist, und dann hat es funktioniert.
Leser*innenkommentare
tommy7733
Gast
Mein Gott, wer schreibt solche Zeilen ??
Ich lebe nun seit 10 Jahren in Österreich, es ist ein schönes Land o.k. aber was den Arbeitsmarkt anbelangt, ist alles eine einzige Lüge: 4,5% Arbeitslose, alles Lüge, in Wahrheit mindestens doppelt so hoch !! Die jugendlichen bekommen oft keine Lehrstellen !! Wenn man krank ist, ich wurde operiert, mußte ich 6 Monate später mehrfach telefonieren um das mindeste Krankengeld zu bekommen!!
Im Arbeitsamt wird gestrichen, was das Zeug hält!!
22000 Anträgen wurden 2012 das Geld gestrichen !!
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen !!
Bei Bewerbungen erhält man längst keine Antwort mehr !!
Ansonsten alles Korruption !! Besonders am Immobilienmarkt!!
Im Gastgewerbe jede Menge Schwarzarbeit, und viele Stunden oft ohne Entlohnung!!
Ich hoffe, ich bin niemanden auf die Füße gestiegen, aber Wahrheit muß sein!!
none
Gast
Die Predigt vom "flexiblen" Arbeitsmarkt. Zugunsten "der" Wirtschaft zu ungunsten der Menschen die arbeiten aber kaum von ihr profitieren. Auch kein widersprechen vom Taz Interviewer als Herr Hofer die Agenda lobt. Was ist mit diesem Blatt los?
LocksteinW
Gast
Zur Abrundung der Agenda 2010 müsste in Deutschland ein Mindestlohn kommen - der würde dann die vielen Arbeitnehmer erreichen, die nicht tarifgebunden arbeiten.
Auch in Deutschland werden Zeitarbeitnehmer aufgrund von Betriebsvereinbarungen (auch Gewerkschaften können noch etwas erreichen) in vielen Unternehmen nach dem Tarif der Stammbelegschaft bezahlt...
Celsus
Gast
Eine Besonderheit Österreichs will ich dann mal hervorheben:
Dort müssen über eine Zeitarbeitsfirma entsendete Mitarbeiter den gleichen Lohn wie die in der Stammfirma beschäftigten Mitarbeiter erhalten. Nachahmung lohnt sich, um die maßlos seit einer rot-grünen Bundesregierung ausufernden Beschäftigungsverhältnisse in Zeitarbeitsfirmen einzudämmen. Und der Antritt eines Beschäftigungsverhältnisses führt nur dann zu einer Sperrzeit, wenn die Tätigkeit angemessen entlohnt ist. Anders als es rot-grün in Deutschland bei Sperrzeiten wollte und seitdem zu Beschäftigungsverhältnisssen weit unter 8,50 € zwingt!
Und trotz sinkender Löhne in Deutschland, die damit ja auch beabsichtigt waren, gab es nicht mehr Stellen in Deutschland. Das Geheimnis ist doch ganz einfach: Die Zahl der Mitarbeiter reicht noch so und wenn die Aufgabe immer billiger erledigt wurde, warum dann weitere Mitarbeiter einstellen?
Was den Einbruch bei der viel geliebten Exportindustrie mit den doch wirtschaftlich nicht sinnvollen Exportüberschüssen betrifft, hier mal ein interessanter Aufsatz auf den Nachdenkseiten:
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=12981