Kommentar Asyl in der Schweiz: SchweizerInnen künftig unter sich
Steter Tropfen höhlt den Stein: Nach der Volksabstimmung von Sonntag wird die Schweiz die flüchtlingsfeindlichsten Asylsgesetze in Europa haben.
N ach einer schon seit Ende des Kalten Krieges andauernden ausländerfeindlichen Hetzkampagne der rassistischen rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) haben die Eidgenossen bei einer Volksabstimmung am Sonntag mit fast 80-prozentiger Mehrheit eine drastische Verschärfung des Asylrechts abgesegnet. Die Schweiz hat nun eines der flüchtlingsfeindlichsten Asylgesetze in Europa.
Da die Alpenrepublik von EU-Ländern umschlossen ist und die Dublin-Abkommen sowie andere EU-Bestimmungen zur Flüchtlingsabwehr übernommen hat, werden nach der nun vollzogenen Abschaffung der Möglichkeit, Asyl auf Schweizer Auslandsbotschaften zu beantragen, künftig deutlich weniger Flüchtlinge auf Schweizer Boden gelangen.
Bislang hatte die Schweiz im Verhältnis zur eigenen Bevölkerungsgröße nach Malta, Luxemburg und Schweden die viertgrößte Zahl von Asylbewerbern zu „verkraften“. Mit dieser Zahl betrieben die Befürworter der Gesetzesverschärfung erfolgreich Angstpropaganda. Unterschlagen wurde, dass im Durchschnitt der letzten zehn Jahre lediglich zwölf Prozent aller Asylgesuche auch erfolgreich waren.
ist UNO-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf.
Die erschreckend große Mehrheit für die Asylrechtsverschärfung kam nur zustande, weil ein erheblicher Teil der Mitglieder und WählerInnen der Grünen und Sozialdemokraten entgegen der Empfehlung ihrer Parteien für das - von einer sozialdemokratischen Justizministerin vorgelegte - neue Gesetz stimmten. Nur so ist erklärbar, dass erstmals auch in Genf und in anderen Westschweizer Kantonen, in denen alle Vorstöße für ausländerfeindliche Gesetzesverschärfungen in den letzten 20 Jahren abgelehnt wurden, diesmal eine Mehrheit mit „Ja“ votierte.
Im Unterschied zu früheren Abstimmungen haben die von der SVP jahrelang mit Erfolg bei den "kleinen Leuten" geschürten irrationalen Überfremdungsängste inzwischen den Mittelstand und die Oberschicht erreicht. Die nach dem Inkrafttreten des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU gestartete Kampagne der SVP gegen deutsche ÄrztInnen, LehrerInnen oder PastorInnen, die den Eidgenossen angeblich die Arbeitsplätze wegnehmen, die Wohnungsmieten in die Höhe treiben und die Busse und S-Bahnen in Zürich überfüllen, war erfolgreich. Hinzu kommt, dass seit einigen Monaten die „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht mehr nur aus Eritrea oder anderen afrikanischen Hungerländern in die Schweiz kommen, sondern auch aus den Krisenländern in Südeuropa.
Das Ergebnis dieser Schweizer Volksabstimmung „bedeutet eine Schwächung unserer humanitären Tradition und zeigt einen Mangel an Solidarität gegenüber den Menschen in krisengeplagten Ländern“.
Diesem Urteil der christdemokratischen Abgeordneten Anne Seydoux-Christie, der einzigen Abweichlerin in den Fraktionen der vier Befürworterparteien im Berner Bundesparlament, ist nichts hinzuzufügen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen