Protest do Brasil: Weg mit der Corrupção!

Während des zweiten Confed-Cup-Spiels der Seleção wird vor dem Stadion geknüppelt. Das Team sympathisiert mit dem Protest, die Fronten verhärten sich.

Ein brennendes Polizeifahrzeug in Fortaleza Bild: reuters

FORTALEZA taz | Aus dem Radio meldet sich eine aufgeregte Stimme, im Hintergrund sind schrille Schreie junger Frauen zu hören, die sich bis ins Mark bohren. Fünf erwachsene Männer lauschen in einem Taxi in den Straßen Fortalezas gebannt den aktuellen Krisenberichten, ändern entsprechend der Lage spontan die Fahrtwege. Die Anfahrt über Schleichwege zum Estádio Castelão gleicht einer Flucht vor einem unbekannten Verfolger mit hunderttausend Gesichtern.

In Brasília waren es beim Eröffnungsspiel eine Woche zuvor noch ein paar hundert Demonstranten, die gezielt gegen die milliardenteuren Stadien protestierten. Die meisten von ihnen waren nicht vermummt, sie wollten gesehen, wahrgenommen werden. Doch die Bewegung ist rasant gewachsen. Die gigantischen Ausgaben für Sportveranstaltungen sind nur ein Teil einer schier endlosen Liste der Kritik an den Zuständen im Lande.

Entzündet hatten sich Brasiliens Proteste an viel kleineren Summen, Erhöhungen der Preise im öffentlichen Nahverkehr von 20 Centavos – nicht einmal zehn Cent – in São Paulo. Brutale Reaktionen der Polizei und der Beginn des Confed Cups stachelten die Proteste erst richtig an. Die Fahrpreiserhöhungen wurden mittlerweile zurückgenommen – aber der Protest geht weiter.

In Fortaleza stießen am Mittwoch zehntausende Demonstranten auf die durch die Força Nacional verstärkten Sicherheitskräfte, die das Stadion weitreichend abriegeln. Erste Kontrollposten gab es bereits bis zu fünf Kilometer vor der Arena. Auf Steine werfende Jugendliche reagierte die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen. „Wir mussten etwas machen, um das Recht von 50.000 Leuten zu schützen, ein Fußballspiel zu sehen“, verteidigte der Gouverneur des Bundesstaates Ceará, Cid Gomes, die scharfe Reaktion der Polizei.

Eine kleine Gruppe der Demonstranten hat es bis zwischen zwei Kontrollpunkte geschafft und wird dort von der patrouillierenden Polizei geduldet. Es sind junge Menschen, einige Studenten, viele noch zu jung zum Studieren. Carolina will nicht verraten, was sie genau macht: „Ich bin einfach nur eine Brasilianerin, die auf die Straße geht und ihre Meinung äußern will.“ Sie zeigt auf die moderne Arena: „Wer braucht das hier? Schau dir die Gegend an.“

Wie ein gelandetes Ufo

Das Estádio Castelão liegt an der breiten Einfallstraße Alberto Craveiro. Auf der anderen Straßenseite verläuft eine kleine, baufällige Siedlung, hier leben mit die ärmsten Menschen in Fortaleza. Viele von ihnen sammeln sich direkt am Straßenrand und schauen dem aufgeregten Treiben gegenüber zu. Für sie muss das Stadion wie ein gelandetes Ufo anmuten. Doch sie sind es nicht, die lautstark auf den Straßen protestieren.

Während sich die Fronten vor dem Stadion verhärten, rückt die Seleção auffällig an ihre Landsleute heran. So bezogen etwa Angreifer Hulk und Superstar Neymar deutlich Stellung und sagten, dass sie die Proteste unterstützten. Neymar erklärte vor dem Spiel gegen Mexiko, in dem er ein Tor erzielte und das zweite vorbereitete, er werde inspiriert durch die Protestbewegung aufs Feld gehen. Auch Bayern Münchens Verteidiger Dante lobte die jungen Menschen: „Sie wollen doch das Land verbessern.“

Die Mannschaft wird vielleicht nicht mehr so vergöttert wie früher, dafür ist sie den Fans so nah wie lange nicht mehr. Beim Abschlusstraining ließ Trainer Luiz Felipe Scolari tausende Fans aufs Gelände, die ungeduldig vor den verschlossenen Toren standen. Und im Estádio Castelão schmetterten am Mittwoch Spieler wie Zuschauer die Nationalhymne gemeinsam derart inbrünstig, dass am Ende niemandem auffiel, dass die Begleitmusik zwischendurch aufhörte.

Menschenkette im Mittelkreis

Nach dem 2:0-Erfolg gegen Mexiko bildete die komplette Mannschaft eine Menschenkette im Mittelkreis und bedankte sich bei den Landsleuten. Ein Bild, das so vor einer Woche noch undenkbar war. Auch Carolina und ihre Mitstreiter singen die Nationalhymne vor dem Stadion – mit dem Rücken zum Stadion. „Unser Protest richtet sich nicht gegen die Seleção, sondern gegen die Corrupção“, betont sie.

Sie hatte auch gehofft, dass viele der Ticketbesitzer, die an ihrer Protestgruppe vorbeizogen, ihre Botschaft auch im Stadion verbreiten würden. Etwa ein Dutzend Plakate waren vor dem Anpfiff zu sehen. Doch nach einem furiosen Start der Seleção, die nach dem Kollektiverlebnis bei der Nationalhymne wie aufgedreht wirkte, waren die Plakate vorerst vergessen. Im Stadion hatte der Fußball noch einmal dominiert, hatten die Spiele das knappe Brot vergessen gemacht. Draußen vor der Arena flogen nach der Hymne wieder Steine und etliche Gummigeschosse.

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