Rechtsextremismus in Griechenland: Vielleicht gibt es kein Morgen
Seit die Rechten im Parlament sitzen und die Krise Griechenland lähmt, steigt die rechte Gewalt. Karim N. hat sie erlebt – die Narbe spürt er noch.
ATHEN taz | Bett, Tisch, Regal – mehr gibt es nicht im Zimmer von Karim N. Er kam vor acht Jahren aus Bangladesch nach Athen. Jetzt hat er Angst. Er sitzt auf der Kante seines Bettes, erzählt, verstummt, erzählt, verstummt. Mitten im Stadtzentrum wurde er von zwei Neofaschisten angegriffen. „Plötzlich zogen sie Messer und stachen auf mich ein.“ Wieder versagt ihm die Stimme.
Der Überfall war vor zwei Jahren – doch er holt Karim immer wieder ein. Auch jetzt, wenn er davon erzählt, in seiner Zweizimmerwohnung im Stadtteil Metaxourgeio im Zentrum Athens. Fünf weitere Bangladescher wohnen in den zwei Zimmern. Sein griechischer Freund Panos V., der seinen Namen nicht nennen möchte, um Karim zu schützen, hat die Wohnung angemietet. Ausländer haben derzeit kaum eine Chance, eine gute Unterkunft zu finden.
Aus den Boxen auf dem Regal schallt Bollywoodmusik. „Kal ho n ho“ – vielleicht gibt es kein Morgen. Er sei Fan von Bollywoodmusik, sagt Karim und zeigt seine CD-Sammlung. Leicht wippend geht er zum Regal, nimmt eine CD, wechselt den Tonträger. „Kuch kuch hot hai“ – „Etwas, etwas wird geschehen“ heißt das Lied.
Die rechte Gewalt in Griechenland steigt. Und mit ihr die Sympathiewerte für die rechtsextreme griechische Partei Chrysi Avgi – Goldene Morgendämmerung. Ihre Umfragewerte liegen derzeit bei 11 Prozent – damit wären sie drittstärkste Partei im Lande. Im Juni 2012, als die Neofaschisten ins Parlament einzogen, waren es noch 6,9 Prozent der Stimmen.
„An jenem Sonntag vor zwei Jahren arbeitete ich nicht“, erzählt Karim N. „Ein Kumpel hat mich zu sich nach Hause eingeladen.“ Er holt tief Luft. „Wir haben Karten gespielt, gekocht. Es wurde spät. Mitternacht. Ich hatte überlegt, bei meinem Kumpel zu bleiben.“ Doch Karim will einen anderen Freund nach Hause begleiten.
„Auf der Straße sah ich zwei Männer und eine Frau in einem Hauseingang stehen. Plötzlich kamen die beiden Männer auf uns zu, beide schwarz gekleidet, mit kahl rasierten Schädeln. Einer sagte in harschem Ton, ich solle ihm eine Zigarette geben.“ Karim antwortet, dass er nicht rauche. Da packt ihn einer der beiden und wirft ihn zu Boden, schlägt zu, sticht ihm mehrmals mit einem Messer in den Rücken. Auch sein Kumpel wird angegriffen. Der ist kräftiger und kann sich mit einem Schlag wehren. Der Angriff dauert keine Minute – und die zwei Männer verschwinden.
Eine zwölfzentimenter lange Narbe
Die Tat geschah auf offener Straße. Leute standen auf den Balkonen und haben den Vorfall beobachtet, Geschäfte waren geöffnet – niemand half. Irgendjemand hat dann doch die Polizei gerufen und den Krankenwagen; eine Viertelstunde später trafen sie ein. Karim hatte innere Blutungen, er hätte es fast nicht geschafft, im Krankenhaus operierte ihn ein Arzt, der nicht genannt werden will – das sei in diesen Zeiten zu gefährlich.
„Mein Leben hat sich seit dem Angriff verändert“, berichtet Karim N., der früher sehr ausgehfreudig war. „Ich kann nicht mehr allein auf die Straße gehen.“ Seine Narbe am unteren Rücken ist fast zwölf Zentimeter lang.
Amnesty International weist darauf hin, dass die Angriffe auf Migranten stark angestiegen sind, seitdem die Chrysi Avgi ins griechische Parlament einzog. Doch viele Opfer melden sich nicht. Sie haben Angst vor einer Abschiebung. Vor allem, wenn sie illegal im Land sind. Doch auch für legale Migranten wie Karim N. ist es schwer, ihr Recht durchzusetzen.
„Ich habe Anzeige erstattet“, sagt Karim N. Die Polizei sagte, es gäbe keine Beweise. Man habe wohl nie versucht, die Täter zu finden, meint Panos V., der nicht nur die Wohnung angemietet hat, sondern Karim auch sonst unterstützt. Panos spricht von einem Parallelstaat im Staat: Anzeigen gegen Faschisten – egal wie offensichtlich eine Tat sei, könnten kaum durchgesetzt werden.
Die Parteizentrale der Neofaschisten liegt zwei Metrostationen von Karims Wohnung entfernt. Ein Türsteher mit hellen Augen, kahl rasiertem Schädel und schwarzer Bekleidung bewacht den Eingang des Parteibüros. Zweimal pro Woche können bedürftige Griechinnen und Griechen zur Armenspeisung in die Zentrale kommen. „Wir planen viele Aktionen zur Unterstützung des griechischen Volkes“, erklärt Theodoros Koudounas, Mitglied des Zentralkomitees der Partei.
Ein klassisch faschistisches Programm
Die Chrysi Avgi versteht sich als eine Art Bürgerwehr, als Wiederhersteller von Recht und Ordnung. „Es kommen einfach zu viele Migranten in unser Land, und viele von denen sind Kriminelle“, sagt Koudounas. Das Programm der Partei ist klassisch faschistisch: Blut, Boden, Patriotismus, Fremdenfeindlichkeit. Geworben wird mit der Parole „Griechenland den Griechen“. Die Neofaschisten kämpfen für eine „Säuberung“ ihres Landes, wie Parteichef Nikolaos Michaloliakos in seinen Reden betont. Die Message kommt bei vielen Bürgern gut an.
Für 5.000 Euro hatten Schleuser Karim N. und zehn weitere Männer im Jahr 2005 mit einem Auto über die Grenzen von Pakistan gebracht. Dann ging es weiter zu Fuß bis in die Berge. „Ich lief vier Tage fast ohne Pause. Es gab kaum Essen oder Wasser. Irgendwo wurden wir dann wieder eingesammelt und im Auto weiter bis nach Istanbul gebracht.“
Die Reise bis nach Griechenland war hart. Das Geld habe er sich von Verwandten und Freunden zusammengeliehen. „Ich dachte, hier sei alles besser.“ Hier könne er arbeiten, seiner Familie Geld schicken: vier Brüder, zwei Schwestern, Eltern, Großeltern.
Anfangs hatte er Glück
Nach seiner Ankunft in Griechenland wurde er von Mittelsmännern in der Hafenstadt Piräus versteckt. Heute gibt es sogenannte Auffanglager. Dort werden die Flüchtlinge und Einwanderer, nachdem sie die Grenze passiert haben, tage- oder auch wochenlang gefangen gehalten. Abgeschoben werden können sie nach EU-Richtlinien nicht, da sie keine Ausweise haben – niemand außer ihnen selbst weiß, aus welchem Land sie kommen.
Die Migranten können sich entscheiden, wieder in die Heimat zurückzugehen. Das Beschaffen von Ausweis und Papieren wird dann von EU-Geldern finanziert. Doch kaum jemand möchte zurück. Deshalb werden die Menschen – wenn alle Versuche, sie legal loszuwerden scheitern – ohne jegliche Versorgung oder Aussicht auf staatliche Unterstützung vor die Tore der Lager gesetzt. Ohne Geld, ohne Orientierung.
Als Karim N. kam, gab es die Lager noch nicht. Er hatte vergleichsweise Glück, ging damals zur Meldestelle, beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung und bekam sie. Sie wird ihm auch bis heute immer wieder verlängert. Damit wurde er einer der heute rund 600.000 legalen Migranten in Griechenland. Nach zwei Monaten fand er einen Job als Küchenhilfe in einem Athener Restaurant und wurde sogar durch seinen Arbeitgeber versichert – eine Voraussetzung für die Aufenthaltsgenehmigung. Er fühlte sich wohl in Griechenland, ging aus, lernte Freunde kennen.
Jetzt aber sei alles schwierig, sagt er und sackt ein wenig auf seiner Bettkante in sich zusammen. „Ich habe Angst, um halb sechs Uhr morgens zur Arbeit zu fahren. Da ist es noch dunkel, wenn ich an der Bushaltestelle stehe.“ Karim N. wurde nach der Attacke ein weiteres Mal von griechischen Neofaschisten bedroht. „Ich müsste eigentlich an der Haltestelle Omonia aussteigen. Jetzt fahre ich aber immer bis Metaxourgeio und rufe Panos an, der mich dort abholt und nach Hause begleitet.“
Aggressionen gegen Migranten nehmen zu
Die Aggression im Lande gegen nichtgriechische Bewohner steigt, das bestätigt auch Thanassis Kourkoulas. Er ist Sprecher und Aktivist der Organisation „Apelaste to Ratzismo“ – Rassismus abschieben. Der mittelgroße, drahtige Mann sitzt an seinem Schreibtisch im Büro der Organisation unweit der Parteizentrale der Chrysi Avgi. Überall Plakate und Flugblätter. „Exo i neonazi“ – raus mit den Nazis. Oder „Ithagenia geia ola ta pedia – „Staatsbürgerschaft für alle Kinder“, lauten die Forderungen.
Auch Thanassis Kourkoulas spricht von einem Staat im Staat, der sich dem Neofaschismus zuwende. Die EU-Finanzpolitik mit ihren Sparauflagen würde die Aggression gegen Migranten noch mehr schüren. „Das Sündenbockprinzip eben“, sagt er.
Am nächsten Nachmittag steht Karim N. wieder nach der Arbeit an der Metrohaltestelle Metaxourgeio und wartet auf Panos, der ihn abholt. Die beiden gehen noch einen Kaffee trinken – und zwar im linksalternativen Athener Stadtteil Exarchia. Dort fühlt er sich noch einigermaßen sicher.
Karim überlegt mittlerweile, wie viele andere Bangladescher auch, ob er nicht doch wieder in seine Heimat zurückkehren soll. „Zwar herrscht dort bittere Armut“, sagt er. „Aber man lässt mich am Leben.“
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