„Siebenstein“ feiert Jubiläum: Vorsicht beim Entstauben

Seit 25 Jahren erleben Rabe Rudi, Frau Siebenstein und der Koffer Abenteuer. Sie sind ein fester Teil im Fernsehgedächtnis der jungen Eltern-Generation.

Wie eine Familie: Koffer, Rabe Rudi und Frau Siebenstein (Henriette Heinze). Bild: dpa

Könnte man Fernsehen nicht nur sehen, sondern auch riechen, „Siebenstein“ röche seit einem Vierteljahrhundert nach Räucherstäbchen. Die Kinderfernsehserie mit dem Raben Rudi, Frau Siebenstein und dem Koffer wird in diesem Herbst 25 Jahre alt. Und obwohl schon seit gut zehn Jahren nicht mehr in dem alten Ladenlokal in Berlin-Schöneberg gedreht wird: Siebensteins Trödelladen ist 2013 immer noch die gleiche, charmant-vollgerümpelte Hippie-Butze – Traumfänger hier, Windspiel da, viel Klimbim –, die man irgendwann als Kind mal verlassen hat.

Das ZDF feiert seinen mittlerweile in den gemeinsam mit den ARD-Kollegen betriebenen Kinderkanal (Kika) outgesourcten Klassiker ab diesem Sonntag bis zum 24. November mit drei neu produzierten und vier alten Jubiläumsfolgen. Und es ist schon einigermaßen erstaunlich, dass mit den neuen Folgen die Zeitreise in die eigene, nostalgisch gefärbte Fernsehkindheit so reibungslos funktioniert.

Denn tatsächlich hat sich bei „Siebenstein“ so einiges verändert: der Umzug aus dem Schöneberger Ladenlokal in eine Studiokulisse 2003, der Wechsel von Adelheid Arndt zu Henriette Heinze als Darstellerin der Frau Siebenstein im selben Jahr. Die Klappmaulpuppe Koffer, die mittlerweile Klimperaugen bekommen hat, wo vorher bloß schnöde Schnallen klapperten.

Das Eingangslied hat sich vom leisen Instrumentalstück zum weichgespülten Kinder-Popsong gewandelt. Anstelle des Zeichentrick-Rudis, der in den 90ern durch das Intro wackelte, fliegt zum Auftakt jeder Folge inzwischen ein Flugzeug mit Frau Siebenstein, Koffer und Rudi an Bord in den Laden ein.

Biene, Maus und Rabe

Noch viel erstaunlicher ist es, dass sich in all den Jahren keiner so richtig über all das Neue beschwert hat. Dabei gehört „Siebenstein“ doch zu den heiligen Kühen im deutschen Kinderfernsehen, zusammen mit der „Biene Maja“ etwa, der „Sesamstraße“ oder der „Sendung mit der Maus“ natürlich. Mit denen sind die heutigen Eltern groß geworden. Und weil früher, im Rückblick wenigstens, doch irgendwie alles ganz nett war, sollen sich die eigenen Kinder, bitte schön, später genauso nett erinnern.

Es empfiehlt sich also, ganz vorsichtig mit dem Staubwedel durch das Fernsehgedächtnis mindestens einer ganzen Generation zu gehen. Die Macher der neuen „Biene Maja“ mussten genau das erst kürzlich lernen, als sie die animierte Biene im Frühjahr verschlankt auf einer 3-D-Blumenwiese herumfliegen ließen. Der mediale Aufschrei ob der Biene mit Modelmaßen war entsprechend groß.

Nun kamen die Veränderungen bei „Siebenstein“ schrittweise und nicht als plötzlicher Relaunch wie etwa bei der „Maja“. Doch vielleicht fiel der elterliche Protest bei „Siebenstein“ auch deshalb – und trotz tatsächlich größerer Einschnitte wie der Wechsel von Arndt zu Heinze – bisher immer aus, weil der Charme der Geschichten und der Tonfall, mit dem sie erzählt werden, erhalten geblieben sind. Diese Geborgenheit, die erzählt wird.

Ein Geschenk für den armen Koffer

In der ersten Jubiläumsfolge („Ein Tag für den Koffer“) sitzt Rudi vor seinem nagelneuen roten Spielzeugauto, flüstert: „Eigentlich mag ich dich ja ganz gerne, du“ – und schenkt dem Koffer, der furchtbar traurig ist, weil er schon wieder nicht Geburtstag hat, seinen Schatz. „’Siebenstein‘ hat diese emotionale Verlässlichkeit“, sagt die Produzentin Milena Maitz. „Da ist diese Dreierkonstellation, quasi eine Familie. In jeder Folge reiben sie sich, doch in Konfliktsituationen sind sie sofort füreinander da.“

Da ist dieses magische Moment: ein verstaubter Teppich, dessen unscheinbares Muster in der Fantasie des Koffers („Der fliegende Koffer“, am 3. November) plötzlich ganz unglaubliche Geschichten erzählt. Die kindliche Fantasie, sie funktioniert so. „Siebenstein“ hat das verstanden, immer.

Und da ist schließlich die Erzählweise, die vor allem eines ist: langsam. Ästhetisch mag man vielleicht schneller geworden sein, durch die sechsminütige Innengeschichte in jeder Folge etwa, meist eine Zeichentrickgeschichte, die von Frau Siebenstein oder dem Koffer erzählt wird. Die Bildergeschichten, eine Aneinanderreihung von stehenden Bildern, die früher die Rahmenhandlung unterbrachen, „das würde heute nicht mehr funktionieren“, glaubt die zuständige ZDF-Redakteurin Katrin Pilz.

Doch die behäbige Erzählstruktur der Folgen ist stets gleich geblieben. Nach der kurzen Innengeschichte im ersten Drittel der 25 Minuten langen Folgen darf die Rudi-Siebenstein-Koffer-Geschichte im Laden in aller Ruhe ihrem stets harmonischen Ende entgegensteuern. Die „Sesamstraße“ mit den vielen kurzen Puppen-Clips wirkt geradezu rasant dagegen.

„Die Kinder wollen den Raben sehen“

Den Ladengeschichten wird auch deshalb so viel Raum gegeben, weil es vor allem die Figur des Rudi ist, der die Sendung trägt. „Die Kinder wollen den Raben sehen“, sagt Pilz. „Siebenstein ist diejenige, die alles zusammenhält, das Herz. Koffer ist der Besserwisser, der Ladenhüter.“ Für Produzentin Maitz hat Koffer „etwas Großväterliches“. Ein Mutter-Opa-Kind-Märchen.

Thomas Rohloff spielt und spricht seit 25 Jahren den Koffer. Werner Knoedgen ist ebenso lange der Rudi. Die leicht lispelnde Stimme des Raben, der, wie das bei Kleinkindern eben so ist, noch seine Probleme mit den Steigerungsformen („höchstvermutlich“) und merkwürdigen Erwachsenenwörtern hat („Ist Komplikation eine schwere Krankheit?“). Zwei Jahre, habe er anfangs gedacht, „dann ist so eine Handpuppe doch auserzählt“.

Doch Rudi war nie „fertig“, sagt Knoedgen. „Zum einen ist die bildnerische Vorgabe gut. Gerade weil sie etwas abstrahiert ist, wie eine gute Theatermaske, ist sie offen für viele Emotionen und Facetten.“ Lediglich Augen und Schnabel lassen sich bei der schwarz gefiederten Puppe bewegen. Die Herausforderung, sagt Knoedgen, sei übrigens immer, gerade nicht mit den Augen zu klappern: „Eine unangenehme Puppenspieler-Krankheit: Wenn man nicht weiter weiß, zwinkert man ein bisschen.“

Intelligent und naiv

Die technischen Spielmöglichkeiten sind das eine. „Vom Charakter her ist Rudi ein fünfjähriges Kind und im besten Sinne naiv“, sagt der 65-Jährige. „Das heißt, intelligent und gleichzeitig vollkommen unbelastet durch Erfahrung. Und wenn ich es schaffe, das im Spiel durchzuhalten, dann fallen mir immer noch tausend Dinge für Rudi ein.“ Beim Casting hatte Knoedgen damals zwei Handpuppen zur Auswahl. „Ein hellblaues Monster, das noch nicht mal witzig aussah, und eben den Rudi.“ Er habe gesagt: „Den Schwarzen oder keinen.“ Er beschützt Rudi. „Ich bin sein Tierpfleger.

Manchmal legen die Drehbuchautoren Rudi Sätze in den Mund, die er nie sagen würde: Erwachsenen-Kalauer oder so merkwürdigen Jugendjargon. Das mache ich ihm dann schnabelgerecht.“ Und was sagt das ZDF dazu? „Man lässt mich machen“, sagt Knoedgen und lächelt fein. „Sie sehen ja auch, dass die Quote stimmt. Und sind mittlerweile wohl auch ganz froh, dass da jemand ist, der den Charakter zusammenhält.“

Es ist eben ein Balanceakt, einen Klassiker immer wieder neu zu produzieren. Auch wenn Milena Maitz findet, dass das zu angestrengt klingt. Aber natürlich dürfe man nicht das Gefühl für den emotionalen Kern, der „Siebenstein“ ausmache, verlieren: die Charaktere, dieses magisch-heimelige der Geschichten. Also macht man höchstens ein paar Kratzer in die Oberfläche, schraubt ein bisschen am Intro, wechselt mal die Hauptdarstellerin aus – „Da waren wir selbst ein wenig erstaunt, dass von den Eltern kaum Protest kam“ (Redakteurin Pilz) – und weiß ansonsten: „Es wäre auch nicht klug, an einem erfolgreichen Konzept allzu viel verändern zu wollen“, sagt Maitz.

Dieses Krankenschwesterhafte

Henriette Heinze, die neue und inzwischen auch schon wieder alte Siebenstein, würde dagegen mittlerweile gerne etwas verändern und legt die Stirn so verstimmt in Falten, wie Frau Siebenstein es nie dürfte. „Siebenstein hat dieses Krankenschwesterhafte, sie eilt immer allen zu Hilfe.“ Differenzierter würde sie den Charakter gerne begriffen sehen, weniger mütterlich. „Zauberhafter vielleicht“, sagt die 40-Jährige.

Dieses magische Moment, das sich auch in den Geschichten wiederfindet: „Siebenstein ist für mich eigentlich eine weiße Hexe, eine gute Fee.“ Schade sei es, „dass man da dann nicht über das hinausdenken mag, was zugegeben gut funktioniert“.

Allzu schnell wird sich Mama Siebenstein deshalb nicht verwandeln. Dafür sind die Einschaltquoten von „Siebenstein“ tatsächlich zu gut. 20 Prozent der 3- bis 13-Jährigen schauen sonntagvormittags im Kika zu, sagt Pilz: „’Frau Siebenstein, die ist immer so lieb‘, sagen uns die Kinder. Sie mögen sie.“

Im nächsten Jahr ist mal wieder ein Umzug geplant, noch mal ein neues Studio, wo genau, will noch niemand verraten. Man kann nur hoffen, dass es weiter nach Räucherstäbchen riecht.

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