Kommunalwahl in der Türkei: Homos gegen Erdogan

Erstmals kandidieren homo- und transsexuelle Aktivisten in der Türkei. Ein Erfolg der Gezi-Proteste. Doch die CHP versteckt ihre schwul-lesbischen Kandidaten.

„Wir kämpfen um die Anerkennung, die man uns geraubt hat“: Gay Pride in Istanbul, Juni 2013. Bild: dpa

BERLIN taz | Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan braucht keine Belehrungen. „Ich bin der größte Umweltschützer, den Umweltschutz werden wir nicht von euch lernen“, rief er im Frühjahr vorigen Jahres den Demonstranten vom Gezi-Park zu. Im selben Brudtton hat er sich schon zu allen möglichen Dingen geäußert.

Mal erklärte er sich zum größten Patrioten, ein andermal zum größten Aleviten. „Jetzt warten wir darauf, dass Erdoğan erklärt: Ich bin der größte Schwule, das Schwulsein werden wir nicht von euch lernen“, twitterte Levent Pişkin nach einer dieser Äußerungen. Erdoğan reagierte mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung. Pişkin erstattete daraufhin Anzeige gegen Erdogan – ebenfalls wegen Beleidigung. In der vergangenen Woche sollte der Prozess gegen Pişkin beginnen, aber der zuständige Staatsanwalt wurde im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal strafversetzt, die Verhandlung ist verschoben.

Levent Pişkin ist Jurist und Mitglied der Demokratiepartei der Völker (HDP), einer Art Dachorganisation, die sich im Herbst 2013 gründete. Neben einer Reihe kleinerer linker Gruppen gehört ihr die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) an. Pişkin ist Kovorsitzender im Bezirk Beyoğlu, zu dem die Gegend rund um den Taksimplatz gehört, aber auch das Kleineleuteviertel Kasımpaşa, aus dem der Ministerpräsident stammt.

Bei der Kommunalwahl am Sonntag kandiert Pişkin allerdings nicht. Mit seinen 24 Jahren ist er zu jung, das Mindestalter liegt bei 25. Dafür finden sich auf den Listen der HDP vier Queer-Aktivisten für Bezirksparlamente in Istanbul, alle auf vorderen Plätzen. Asya Elmas zum Beispiel auf Platz zwei in Kadıköy, dem urbanen Zentrum des anatolischen Teils der Stadt. Sie ist 32 Jahre alt, stammt aus der kurdischen Provinz Mardin und arbeitet als Prostituierte. „Für Transsexuelle ist es fast unmöglich, eine andere Arbeit zu finden“, sagt sie. Politisch engagiert sich Elmas erst seit den Gezi-Protesten. „Die HDP hätte auch ohne Gezi homo- oder transsexuelle Kandidaten aufgestellt“, meint sie. „Aber das wäre nicht ich geworden.“

Im Wahlkampf merke sie, wie Gezi die Anerkennung von Schwulen, Lesben und Transsexuellen verändert habe: „Damit, dass ich mich als Transfrau um ein Mandat bewerbe, haben die Leute weniger Probleme als damit, dass ich für die HDP kandiere“, erzählt Elmas. Kadıköy gilt als kemalistische Hochburg.

Enttäuschende Plätze bei der CHP

Drei Queer-Aktivisten finden sich auch auf den Listen der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP. Nach dem Gezi-Aufstand hatten Homo-Aktivisten Kontakt mit dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu aufgenommen. Es gab ein Gespräch, der Parteichef zeigte sich aufgeschlossen, am Ende aber – in der Türkei werden alle Kandidatenlisten von den Parteizentralen bestimmt – hatte man nur hintere Plätze übrig. In Beyoğlu landete ein schwuler Aktivist auf dem zwölften Platz, im säkularen Bezirk Beşiktaş kandiert die bisexuelle Aktivistin Sedef Çakmak auf dem recht aussichtslosen 27. Platz.

War das nicht enttäuschend? „Natürlich“, antwortet die 31-jährige Soziologin und Cafébetreiberin, die aus einer kemalistischen Familie stammt, bislang aber, wie sie erzählt, noch nie die CHP gewählt hat. „In einem Land, in dem die meisten Homosexualität für eine Krankheit halten, ist schon das ein großer Schritt, den die CHP ohne Gezi sicher nicht gemacht hätte.“ Çakmak glaubt allerdings nicht, dass sich die Vergabe der schlechten Listenplätze speziell gegen Queer-Aktivisten richtet. „Die CHP versucht bei dieser Wahl, Stimmen von rechts zu gewinnen. Da passen wir nicht so recht in die Strategie. In meinem Bezirk“ Doch so, wie die Platzierungen sie enttäuscht haben, hat es sie überrascht, dass viele Leute in der Partei Kritik daran geübt hätten, erzählt sie.

Die meiste Kritik bezog sich auf den 29-jährigen Werbetexter Boysan Yakar, für den die CHP nur einen Nachrückerplatz in Şişli übrig hatte, jenem Bezirk, dessen bisheriger Bürgermeister Mustafa Sarıgül sich nun um das Amt des Oberbürgermeister bewirbt.

Bei dem Gay Pride, der kurz nach der Räumung des Gezi-Parks stattfand und an dem sich mehrere zehntausend Menschen beteiligten, war Yakar Stimmungsmacher und Hauptredner, wer ihn auf einer Kundgebung reden hört, glaubt leicht, dass ein Bezirksparlament für ihn eine zu kleine denn zu große Bühne wäre. Doch trotz des aussichtslosen Listenplatzes ist er nicht resigniert. „Es geht um Repräsentation“, sagt er. „Wir kämpfen um die Anerkennung, die man uns geraubt hat. Dieser Kampf hat nicht mit Gezi begonnen und wird mit der Kommunalwahl nicht enden.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.