Aus Langeweile zur Droge gegriffen: Alk als Ersatz-Beschäftigung

Ohne Freizi nix los: Eine Straßen-Studie gibt Hinweise, warum Jugendliche in Osterholz deutlich früher mit dem Trinken und Kiffen beginnen als anderswo.

Mülheimerstraße: Hier wurden viele der Antworten gegeben, die in die Studie einflossen Bild: Henning Bleyl

BREMEN taz| Die kleine Skateranlage an der Mülheimerstraße in Blockdiek liegt friedlich in der Sonne, ein bisschen öde ist es hier, aber keineswegs verwahrlost oder unangenehm. Abends sei das anders, sagen AnwohnerInnen. Dann würden sich immer mehr Jugendliche treffen, die immer mehr tränken und Drogen nähmen. Die Polizei bestätigt, dass an der Mülheimerstraße und 13 anderen Abhäng-Orten in Osterholz zunehmend „unerwünschte Aktivitäten“ zu beobachten seien. Was es damit auf sich hat, hat nun eine Studie untersucht.

Herausgekommen ist kein großes wissenschaftliches Werk – aber ein empirischer Einblick, wie man ihn weder bei Forsa noch in den einschlägigen Shell-Auftragswerken findet. Denn die BefragerInnen, die sich abends und wochenends an die Hotspots begaben, waren Menschen, denen viele der Jugendliche vertrauen, weil sie sie kennen: Straßensozialarbeiter. Jens Schaller und seine KollegInnen vom „Verein für akzeptierende Jugendarbeit“ (Vaja) konnten 101 von 160 angetroffenen Jugendlichen zum Ausfüllen der sehr umfangreichen Fragebögen bewegen, eine hervorragende Quote.

Eine Umfrage dieses Umfangs kann natürlich nur Tendenzen abbilden – aber die sind signifikant. Die befragten Osterholzer probieren zwei Jahre früher als im Bundesschnitt üblich Alkohol und Cannabis aus: schon mit 14 Jahren. „Das heißt aber nicht, dass sie mit 16 harte Alkoholiker sind“, betont Stefan Kunold vom Quartiersbildungszentrum Blockdiek. „Die Aussage ist“, sagt Stephanie Grafe von Vaja, „dass die Jugendlichen in Osterholz früher und leichter an die Sachen rankommen als anderswo.“

Überrascht hat die Interviewer, dass nur ein Jugendlicher chemische Drogen probiert hat. LSD, Ecstasy oder Crack sind offenbar auf bestimmte Szenen begrenzt, zu denen die eher finanzschwachen Osterholzer nicht gehören. „Wenn man bowlen wollte oder was anderes wie Kino“, erzählt eine 17-Jährige in einem der ebenfalls durchgeführten qualitativen Interviews, „brauchst du auf jeden Fall zehn bis 20 Euro. Und wenn du am Wochenende diese Kohle nicht hast, aber zwei Euro, dann holt man sich lieber was zu trinken und hat auch irgendwas zu tun.“ Das Geld würde zusammen geschmissen „und wir fragen irgendwelche Erwachsenen, ob die uns Alkohol kaufen. Und dann haben wir uns den Jelzin Vodka gekauft, haben eine JA-Eisteepackung gekauft, die Hälfte oder mehr ausgekippt, dass der Vodka reinpasst.“

In den Antworten wird deutlich, dass die Jugendlichen sehr genau über die für sie vorhandenen Angebote im Stadtteil Bescheid wissen – und nutzen. Sie identifizieren sich offenbar stark mit Osterholz. Es gibt Aussagen, dass einem „auf der Straße jederzeit geholfen“ würde, aber auch auffällig viele Äußerungen über negative Polizeierfahrungen.

Zum Zeitpunkt der Erhebung waren große Teile von Osterholz als „Gefahrengebiet“ definiert. Die Polizei machte von der Möglichkeit anlassloser Kontrollen offenbar reichlich und unsensibel Gebrauch. „Es konnte einem Jugendlichen passieren“, berichtet Kunold, „dass er auf dem Weg zum Einkaufen dreimal gefilzt wurde.“ Solche Kontrollen können auch den Zwang zum Ausziehen beinhalten.

Auffällig ist, wie positiv die befragten Jugendlichen, die in den Augen einiger Anwohner und der Polizei eine Negativauswahl darstellen, ihre Zukunftschancen einschätzen. „Ob berechtigt oder nicht – daran müssen wir anknüpfen“, sagt Schaller vom Vaja e. V. Wolfgang Haase, der Beiratssprecher von Osterholz, verweist allerdings auf Finanzierungsprobleme: Seit fünf Jahren sei der Etat für Jugendarbeit im Stadtteil gedeckelt, was de facto eine Kürzung darstellt. Doch bei Personalkapazitäten wie im Spielhaus Ute-Meyer-Weg, in dem mit einer halben Sozialarbeiter-Stelle ein Angebot aufrecht erhalten werden muss, gibt es nichts zu sparen. Dass die Freizis im Stadtteil an den Wochenenden überwiegend geschlossen sind, wird von den Jugendlichen einhellig als großes Problem beschrieben.

Für Quartiersmanager Aykut Tasan ergibt sich aus der Studie eine klare Folgerung: Statt neuer kurzlebiger Projekte etwa im Drogenbereich müssten die vorhandenen Strukturen gestärkt werden: „Die Jugendlichen vertrauen Leuten, die sie über längere Zeit kennenlernen können.“

Die systematische Befragung habe gezeigt, bestätigt Kunold, dass die vermehrt beobachteten Open-Air-Trinker keineswegs desintegrierte, unansprechbare Jugendliche seien – sondern schlichtweg welche, die während der zahlreichen Schließzeiten der öffentlichen Einrichtungen nicht wüssten, wohin mit sich.

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