re:publica 2014, der 2. Tag: Der Magnet im Ringfinger

Welche Fragen das Cyborg-Zeitalter mit sich bringt, wo es den besten Kaffee gibt und warum wir das Internet ausdrucken müssen.

Hier waren wir gar nicht, aber wir können ja auch nicht überall sein. Bild: republica/Gregor Fischer, CC-BY-SA 2.0

Was am ersten Tag der re:publica gilt, gilt auch am zweiten Tag: Europas größte Internetkonferenz lässt sich einfach nicht generalisierend zusammenfassen. Aber was wir auf einigen der über 100 Veranstaltungen gelernt haben, das schon. Und was bei der Präsentation des neuen Google-Dienstes „Nest“ passiert ist, das steht hier.

1. Zeitungen verfolgen das Konzept von professionell gemachter Nichtenttäuschung. Das ist die These des Journalisten Constantin Seibt. „Wenn man keine Fehler macht und keinen Ärger, abonnieren die Leser einen bis zum Tod“, sagt Seibt. Denn Zeitung zu lesen und gut zu finden beruht vor allem auf Gewohnheit. Und das Internet wirbelt diese Gewohnheiten auf. Seine Lösungsvorschläge hier weiter aufzuschreiben, ist jedoch nicht nötig. Das hat er selbst schon in der Beschreibung des Vortrags getan.

2. Die ETH Zürich veranstaltet 2016 die erste Cyborg-Olympiade. Mit Disziplinen wie dem „Powered Exoskeleton Race“ oder einer „Powered Arm Prosthetics Competition“. Das erfahren wir im Panel „Cyborgs, sechste Sinne und selbst aufgerüstete Untote“, bei dem auch zwei Vertreter vom noch recht frischen Verein Cyborgs e.V. sprechen. „Sorry meine Stimme ist nicht so cool gerade, aber wir haben letzte Woche versucht, meine Stimmbänder an Google Translator anzuschließen. Hat nicht so gut geklappt“, entschuldigt sich Nadja Buttendorf. Und Stefan Greiner hat in der rechten Hand einen RFID-Chip und im linken Ringfinger einen Magneten implantiert.

Dadurch kann er elektromagnetische Wellen spüren, also konkret zum Beispiel: An einer Wand entlangfühlen, wo die elektrischen Leitungen sind und dann den Nagel richtig einschlagen. Am Flughafen hatte er keine Probleme, sagt Greiner. Cyborgs e.V. will auch Cochlea-Implantate hacken und erweitern, um Fledermäuse hören zu können, der Verein setzt sich mit den zahllosen technischen und vor allem gesellschaftlichen Fragen auseinander, die rund um Body Modification aufgeworfen werden.

Wie etwa diese aus dem Publikum: Wenn unser gesellschaftliches Zusammenleben darauf basiert, dass alle in etwa das Gleiche wahrnehmen – wie soll es dann noch funktionieren, wenn alle sich ihre Wahrnehmungsbereiche durch Biohacking individuell erweitern? Das und mehr kann übrigens auch beim Cyborgs-Barcamp am 21. Juni, ebenfalls in Berlin, besprochen werden. Und das mit den Stimmbändern war nur ein Witz – auch wenn das beim ersten Mal im Publikum nicht alle verstanden haben.

3. Den besten Kaffee der re:publica gibt es in der Jazz Bar gleich hinterm Eingang. Da gibt es auch am mittags vertretbar lange Kaffeeschlangen. Nur das mit dem Kassiersystem funktioniert nicht so richtig: Es ist ein iPad-Interface, das irgendwie mit der Analogkasse verbunden ist, die aber nicht von allein aufgeht. „Der ist einfach zu schnell für das Scheißding“, sagt eine chefartige Person. Kurz danach kommen 15 Bons auf einmal aus dem Drucker. Man entscheidet sich dann, den Kaffeekonsum mit einer Strichliste zu dokumentieren.

4. Es ist in Ordnung, dass Jugendliche lieber Youtube als Fernsehen gucken. Weil öffentlich-rechtliche Fernsehsender den Vlogger LeFloid zwar um seine 1,8 Millionen Abonnenten auf Youtube beneiden, aber, um ebenfalls die Zielgruppe der 14- bis 18-Jährigen zu erreichen, nicht die älteren 70 Prozent ihrer Zuschauer vergraulen werden. Auch auf die Gefahr hin, dass die Kids sich ungeliebt fühlen.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Youtube-Kanäle ist eben die Individualität der Macher. Die Protagonisten sind ihre eigenen Sender: sie interagieren, wählen aus, sind meinungsstark, schnell und unabhängig. Kein Moderator im Fernsehen würde auf einen Kommentar der Zuschauer reagieren – das macht die Youtuber so beliebt. Sie sind kaum älter als ihre Zielgruppe, informieren sich wie sie über Apps, Newssites, Twitter und Mediatheken durch Empfehlungen von Freunden. Guckt LeFloid Fernsehen? „Wenn es abgestellt würde – ich würd's frühestens nach ner Woche merken.“ Zeitung auf Papier? „Als Brennstoff“.

5. Analoge Daten sind vom Aussterben bedroht. Das beschreibt Viktor Mayer-Schönberger in seinem Vortrag über Big Data und Ethik. Im Jahr 2000 waren drei Viertel aller Daten auf der Welt noch analog. Nun sei der Anteil der analogen Daten auf unter einem Prozent der Gesamtweltdaten geschrumpft. Rettet die bedrohten Daten. Druckt das Internet aus!

6. Man kann alle Computer hacken, nicht nur die auf dem Schreibtisch. Das Internet der Dinge ist keine Zukunftsvision mehr, es ist da. Telefone, Kühlschranke, oder Autos sind zu Computern geworden. Und man muss kein Hacker sein, um diese zu verändern und zu verbessern.

Michael Zöller erklärt, wie jeder mit der Open-Source-Software „Magic Lantern“ mehr aus seiner Canon-Spiegelreflexkamera herausholen kann. Die Software schafft Funktionen, die eigentlich nicht vorgesehen sind, die die Kamera aber technisch beherrscht, etwa Zeitlupen-Aufnahmen. Oder Videos von schwierigen Lichtsituationen, wenn jemand beispielsweise vor dem Fenster steht und die Kamera einen zur Entscheidung zwingt, ob man die Person oder die Fenstersicht gut belichten will.

Dies klingt wie ein Werbetext? Vielleicht. Aber zumindest ausprobieren kann man es, denn das Programm ist kostenlos. Und die Originalsoftware des Fotoapparats lässt sich jederzeit wiederherstellen, da „Magic Lantern“ über die SD/CF-Karte läuft.

7. „Plüsch, Power + Plunder“ – das deutsche Teddybären-Rollenspiel – wurde in den 80er-Jahren in einer Auflage von mehreren Zigtausend Exemplaren verkauft. Es war eines von über 100 Rollenspielsystemen, die in der Blütezeit der Pen+Paper-Rollenspiele existierten, deren Evolution Konrad Lischka und Tom Hillenbrand in ihrem Vortrag „Drachenväter: Wie Offline-Rollenspiele die virtuelle Realität formten“ nachvollziehen.

Dafür zeigen sie alte Kriegssimulationsspiele, schon 1812 wurde für den Preußenkönig Wilhelm III. das „Strategische Kriegs Spiel“ entwickelt. Es sah bereits vor, dass – anders als beim Schach – die Landschaftsbeschaffenheit die Truppenbewegung beeinträchtigen konnte. Im 20. Jahrhundert folgten Spiele wie „Diplomacy“, um das sich erstmals eine internationale Spielercommunity bildete, die damals über Fanzines kommuniziert hat, in den 1950ern/60ern wurde diese Spielidee dann geremixt mit den Welten aus den – damals noch weitestgehend unbekannten – Fantasy-Romanen.

Und dann änderte sich 1968 alles, als Dave Arneson aus der Not die Idee gebar, dass man nicht mehr Truppenverbände spielt, sondern Einzelindividuen, die sich dafür kontinuierlich, also von Spiel zu Spiel weiterentwickeln können, indem sie Erfahrungspunkte sammeln und neue Level erreichen. Ein Suchtfaktor. Sechs Jahre später schuf Arneson zusammen mit Gary Gygax „Dungeons + Dragons“, von dem kurz darauf mehrere Millionen Spielboxen jedes Jahr verkauft wurden.

Das Versprechen, zu zeigen, welchen Einfluss die alten Papierrollenspiele auf die heutigen Online-Games haben, lösen Lischka und Hillenbrand dann aber nicht ein. Okay, bei Foursquare und Farmvielle gibt es auch Levels, die man als Spieler erreichen kann. Aber war das schon alles? Egal: Am Ende bekommen alle Zuhörer 5.000 Erfahrungspunkte und einen Weisheitsbonus von +2.

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