Kampf der Kulturen: Dorf oder Stadt?

Viele Städter sehnen sich nach einem Leben auf dem Land. Weil sie glauben dort zu finden, was ihnen fehlt. Aber ist das Leben im Dorf schöner?

Die Provinz ist Idyll und Beklemmung. Dorffest in der Lausitz. Bild: dpa

Das Dorf stirbt. Die Menschen zieht es in die Städte, vor allem die jüngeren. Bis 2030 wird Deutschland vier Millionen Einwohner verlieren. Die meisten davon dort, wo jetzt schon wenige leben: in den Dörfern.

In den Städten wiederum, wo zwei Drittel der Menschen in Deutschland wohnen, findet sich häufig eine Sehnsucht nach der Natur, nach dem Leben auf dem Land. Es wollen mehr Menschen auf dem Land wohnen als es tatsächlich tun. Die Kioske sind voll mit Magazinen wie Landleben, Landidee, Landspiegel, Liebes Land, Mein Schönes Land. Während die Auflage der meisten gedruckten Medien sinkt, steigt die des Magazins Landlust immer weiter, inzwischen auf über 1.020.000 Exemplare.

Manchen Journalisten treibt das zur Verzweiflung.

„Das Dorf ist eine soziale Versuchsanordnung. Ein Vergrößerungsglas der zu ergründenden menschlichen Natur“, schreiben Werner Nell und Marc Weiland in ihrem Essay Dorfbilder: Tradition, Imagination, Lebenswelt. Was uns das Dorf über die menschliche Natur erzählt, das hat sonntaz Redakteurin Steffi Unsleber in ihrer Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 13./14 September aufgeschrieben. Sie hat eine Woche in dem Dorf Tringenstein in Hessen gelebt.

Regierung und Opposition debattieren über ein neues Prostitutionsgesetz. In der taz.am wochenende vom 6./7. September 2014 streiten ein Streetworker, ein Freier und eine Prostituierte. Außerdem: Unsere Autorin hat eine Woche in einem Dorf in Mittelhessen verbracht. Ein reales Theaterstück. Und: Wie der Fotograf Kieran Dodds den Stolz rothaariger Schotten entdeckte. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es gibt gute Gründe dafür, dass es die Jugend in die Städte zieht. Wenn einer sagt, er komme „vom Dorf“, meint er ja damit mehr als nur: Ich komme aus einer kleinen Ansammlung von Häusern auf dem Land. Vom Dorf kommen heißt auch: Ich komme woher, wo es eigentlich ein bisschen langweilig ist, ein bisschen piefig; aus einem Ort, von dem man eigentlich weg will. Denn auf dem Dorf kennt jeder jeden. Und jeder weiß, was jeder so macht. Da fällt es schwer, sich individuell zu entfalten. Das Dorf ist klein und konservativ, es regiert immer dieselbe Partei und wenn Fremde kommen, dann werden die erst mal kritisch beäugt.

Das Dorf ist beides - idyllisch und beklemmend. „Die engen Grenzen des Dorfes machen es zu einem Ort der Entartung, der Ausschließung des Fremden und der Zerstörung von Lebenssinn“, schreiben Nell und Weiland, es herrsche „Enge, Gruppendruck und Zurückgebliebenheit“. In Tringenstein achten die Menschen aufeinander, sie merken, wenn mit jemandem etwas nicht stimmt und retten so einen alten Mann mit Herzinfarkt. Zugleich wissen sie aber auch genau, vor wessen Häusern es am unordentlichsten ist. Vor denen der Zugezogenen.

Die Stadt macht depressiv

Die Stadt ist Gesellschaft, das Dorf ist Gemeinschaft. Das Leben in der Stadt scheint da freier, individualistischer. „Stadtluft macht frei“ hieß es schon im Mittelalter. Wer als Leibeigener floh und ein ganzes Jahr in der Stadt verbrachte, konnte von seinem Dienstherren nicht mehr zurückgefordert werden. In der Stadt gehört man nur sich selbst.

Aber das Stadtleben erscheint oft auch anstrengender, vielleicht ungesünder. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Städter sehr viel schlechter mit Stress umgehen, als Leute vom Land. Wer in der Stadt lebt, ist anfälliger für Depressionen und Angststörungen.

Dass ein paar gestresste Städter davon träumen, auf dem Land zu leben, dort wo es Gemeinschaft gibt, wo man aufeinander aufpasst, das hört sich wiederum sehr verständlich an. In der Stadt hat man tausende Menschen um sich herum, ohne irgendjemand wirklich gut zu kennen. Und vielleicht will man ja, dass die Kinder auch mal draußen spielen – so richtig draußen, nicht auf dem Spielplatz neben der Straße.

Die gute alte Zeit gab es nie

Dorf ist auch Heimat, Verwurzelung. Deswegen spricht, wer „vom Dorf“ kommt, auch gern von „meinem Dorf“. Weil das Dorf vielleicht langweilig und konservativ ist, die Verbundenheit zu diesem Ort aber tausendmal stärker, als zu irgendeiner Großstadt, in die man nur gezogen ist, um zu arbeiten, wo nie die Sonne scheint, es keine Bäume gibt und man entweder seinen Nachbarn nicht kennt – oder gar nicht kennen will.

Wahrscheinlich ist das Leben im Dorf heute besser und einfacher denn je. Die „gute alte Zeit“, als man noch auf dem Land lebte, eng mit der Natur verbunden, die gab es nie. Historisch gesehen hieß das Leben auf dem Dorf: Armut, Krankheit, Leibeigenschaft; harte Arbeit auf dem Acker und dauernd irgendwelche Bauernaufstände. Heute hat man im schlimmsten Fall nur keine Internetverbindung.

Glauben Sie das Leben auf dem Dorf ist schöner als das Leben in der Stadt? Gibt es mehr Gemeinschaft auf dem Dorf? Ist es für die Kinder besser? Oder sind Sie Städter durch und durch?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Hier sind wir im Paradies“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14 September.

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