Kämpfe und Waffenabzug in der Ukraine: Möglicher Angriff auf Mariupol

In der Ukraine haben beide Seiten mit dem Abzug schwerer Waffen begonnen. Der US-Geheimdienst vermutet dennoch einen Angriff der Separatisten im Frühjahr.

Während die Feuerpause sich zu stabilisieren scheint, zwingt die mangelnde Gasversorgung Menschen in Debaltseve zum Kochen mit Feuer. Bild: ap

WASHINGTON/MOSKAU/KIEW afp/dpa/ap | Prorussische Separatisten haben schwere Waffen wie im Abkommen von Minsk vereinbart von der Frontlinie abgezogen. Reporter der Nachrichtenagentur Associated Press folgten am Freitag vier Lastwagen, die Raketenwerfer aus der Rebellenhochburg Donezk in eine 70 Kilometer entfernte Zementfabrik im Dorf Nowoamwrosiiwske nahe der Grenze zu Russland brachten. Damit konnte zum ersten Mal der Abzug schwerer Waffen bestätigt werden.

Die prorussischen Rebellen hatten nach eigener Darstellung am Dienstag mit dem Rückzug ihrer Geschütze begonnen. Das bezweifelte die Ukraine allerdings. Am Donnerstag begann Kiew dann, ebenfalls seine schweren Waffen abzuziehen. Da die Zahl der Angriffe von Seiten der prorussischen Separatisten erheblich zurückgegangen sei, werde der Abzug von 100-Millimeter-Kanonen entlang der Frontlinie fortgeführt, sagte Armeesprecher Anatoli Stelmach am Freitag.

Tatsächlich war nach Start der Feuerpause weiter gekämpft worden, allerdings in den vergangenen Tagen immer weniger. Ziel ist die Einrichtung einer Pufferzone zwischen den Regierungstruppen und den prorussischen Rebellen.

US-Geheimdienstdirektor James Clapper rechnet trotz der Waffenruhe mit einer Offensive der prorussischen Separatisten auf die ostukrainische Stadt Mariupol im Frühjahr. Ein Vordringen in die Hafenstadt stehe zwar nicht kurz bevor, sei dann aber zu erwarten, sagte Clapper am Donnerstag bei einer Anhörung im US-Senat in Washington. Die Separatisten würden sich derzeit neu formieren.

Es geht nur um die Ostukraine

„Ich glaube, sie werden bis zum Frühjahr warten, bevor sie angreifen.“ Die US-Geheimdienste gehen laut Clapper davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sich die Kontrolle über Teile der Ostukraine samt eines Landzugangs zur Krim sichern wolle.

Moskau hatte die ukrainische Halbinsel im vergangenen Frühjahr nach einem umstrittenen Referendum annektiert. Es gebe aber keine Erkenntnisse, dass Russland es auf das gesamte Land abgesehen habe, sagte der Geheimdienstchef vor dem Streitkräfteausschuss des Senats.

Clapper sprach sich für Waffenlieferungen des Westens an das ukrainische Militär aus. Dies sei seine „persönliche Meinung“, die nicht notwendigerweise die Position der US-Geheimdienste widerspiegele. So gebe es in den Geheimdiensten Befürchtungen, dass westliche Waffen für Kiew eine „negative Reaktion“ in Moskau auslösen und zur Lieferung von noch ausgefeilteren Waffensystemen an die Separatisten führen könnten. Gerade das sieht Clapper auch als Chance – dadurch würde noch mal deutlicher werden, dass die Russen entgegen ihrer Aussage tatsächlich in dem Konflikt involviert seien.

Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats

Der Leiter des US-Militärgeheimdienstes DIA, General Vincent Stewart, zeigte sich bei der Anhörung in dieser Frage skeptisch. Die DIA sei zu dem Schluss gekommen, dass Waffenlieferungen an den militärischen Machtverhältnissen in der Ostukraine nichts ändern würden.

Am Freitag befasst sich der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung mit dem Konflikt in der Ukraine. Wie Diplomaten in der Nacht mitteilten, wurde das Treffen auf Bitten Deutschlands und Frankreichs anberaumt. Das Gremium will sich demnach mit der Umsetzung des Minsker Friedensabkommen befassen. Zunächst wollen zwei Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das UN-Gremium über die Lage vor Ort informieren, danach sind Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geplant.

In dem Streit um Gaslieferungen Russlands an die Ukraine scheint diese einen möglichen Lieferstopp im letzten Moment abgewendet zu haben. Die staatliche Nachrichtenagentur Interfax berichtete am Freitag unter Berufung auf die Gasfirma Naftogaz, diese habe umgerechnet 13 Millionen Euro bezahlt und damit die russischen Lieferungen für den Monat März gesichert. Der Betrag decke jedoch lediglich die Kosten für einen weiteren Tag, sagte Sergej Kuprijanow vom Energiemonopolisten Gazprom am Freitag in Moskau.

Ukraine zahlt vorab für Gas

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Mittwoch gewarnt, das bisher überwiesene Geld aus der Ukraine reiche nur noch für drei bis vier Tage. Eine konkrete Frist für einen Lieferstopp setzte der Präsident aber nicht. Zugleich warnte Putin, dass eine Lieferunterbrechung auch den Transit von Gas durch die Ukraine in andere europäische Länder stören könnte.

Die Ukraine und Russland hatten schon im vergangenen Jahr monatelang über Gaslieferungen und die Begleichung alter Schulden gestritten. Schließlich schlossen sie im Oktober eine Vereinbarung, nach der die Ukraine vorab Zahlungen für künftige Lieferungen überweist.

In der vergangenen Woche warf Russland Kiew vor, Gaslieferungen an die Rebellengebiete im Osten des Landes unterbrochen zu haben. Russland begann daraufhin direkte Lieferungen ins Rebellengebiet, machte aber geltend, dass dies auf das ukrainische Gesamtkontingent angerechnet werden solle. Die Ukraine erkennt dies nicht an und argumentiert, sie habe keine Kontrolle über die Verteilung des Gases im Rebellengebiet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.