: Schutz für schwerbehinderte Opfer
Die Vergewaltigung „widerstandsunfähiger Personen“ wird geringer bestraft als andere Vergewaltigungen. Dieses Relikt im Strafrecht wollen die Grünen jetzt abschaffen ■ Von Barbara Debus
Berlin (taz) – Der Jubel war groß, als im Mai 1997 eine der letzten frauenfeindlichen Bastionen im Strafrecht fiel. Eine Vergewaltigung in der Ehe wurde genauso unter Strafe gestellt wie andere Vergewaltigungen auch. Wer damals nicht mitjubelte, waren die Behindertenverbände. Sie erinnerten daran, daß das Sexualstrafrecht weiterhin Unterschiede macht: Gilt ein Opfer laut Paragraph 174 als „widerstandsunfähig“, so drohen dem Vergewaltiger geringere Strafen.
Als „widerstandsunfähig“ gelten Personen, die im Koma liegen, unter Drogen- oder Alkoholeinfluß stehen, schwer geistig oder körperlich behindert sind. Dieses Messen mit zweierlei Maß bezeichnet die hessische Frauenministerin Barbara Stolterfoht (SPD) als „zynisch“. In keinem anderen Rechtsbereich gebe es hierzu eine Parallele. Im Gegenteil, bei schwerem Diebstahl beispielsweise bewirke das Ausnutzen der Hilflosigkeit des Opfers eine Strafverschärfung. Die grüne Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Geringk betont, daß behinderte Frauen und Mädchen nach sozialwissenschaftlichen Schätzungen viermal häufiger sexuell ausgebeutet würden als nichtbehinderte.
Die Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen will Ende September einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, der das Sonderstrafmaß bei „widerstandsunfähigen“ Opfern beseitigen soll. Auch der Bundesrat war in bezug auf den Paragraphen 179 aktiv geworden und hatte am 6. Juni die Bundesregierung gebeten, das Strafmaß bei „widerstandsunfähigen“ Opfern anzupassen.
Renate Augstein, zuständige Referentin im Bundesfrauenministerium, erklärte dazu gegenüber der taz, das Strafmaß müsse ihrer Ansicht nach noch in diesem Herbst angeglichen werden. Die Gelegenheit sei günstig, denn bei der anstehenden Strafrahmenharmonisierung gehe es darum, unangemessene Strafmaße zu verändern. Allerdings gab sie zu bedenken, daß auch der im Mai neuformulierte Vergewaltigungsparagraph 177 den Fall vorsehe, daß ein „Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert“ sein könne.
Dies sei ihrer Ansicht nach identisch mit dem Fall der „Widerstandsunfähigkeit“. Der Sonderparagraph 179 zu den „widerstandsunfähigen“ Opfern sei nur beibehalten worden, um eventuelle Strafrechtslücken abzudecken. Man müsse beobachten, ob die Gerichte ihn überhaupt noch anwenden. Schewe-Geringk von den Grünen geht davon aus. Denn in der Begründung des Paragraphen 177 sei in Zusammenhang mit der „hilflosen Lage“ von schwerbehinderten Frauen nirgendwo die Rede: „Deshalb kann jeder Richter den Sonderparagraphen 179 anwenden, wenn eine schwerbehinderte Frau vergewaltigt wurde“.
Horst Eylmann (CDU), der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, erklärte gegenüber der taz: „Ich betrachte das Problem als drittrangig, denn nach meiner Einschätzung läuft der Paragraph 179 in der Praxis völlig leer.“ Er sei er dafür, den Paragraphen in den nächsten drei Jahren unverändert beizubehalten und zu schauen, ob er noch benötigt werde. Danach könne man immer noch das Strafmaß anpassen. Den Gesetzesvorstoß der Grünen wertet der CDU-Mann als „rein symbolische Änderung“: „Dafür ist das Strafrecht nicht da.“
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