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Sonnenblume und Distelstrunk

Helden sind auch nur Privatleute: Eva-Maria Hagen erzählt in „Eva und der Wolf“ von einer großen Liebe, die „ewig dauert bis auf weiteres“. Berichtet wird reichlich Intimes, aber wenig Märchenhaftes über DDR, Dissidenz und den jungen Wolf Biermann  ■ Von Anke Westphal

Für die Nachwelt waren diese Briefe wohl nicht bestimmt. „Allerliebste Schweinebohne“, „Honigarschmaul“, „Knubbel-fußschweinchen“ und „mein einziger Schnurpel Purpel Knurpel“ nennt Wolf Biermann seine Eva-Maria. Vor dem „Altar deines Hinterns“ möchte er niederknien. Ach, er leidet unter der Abwesenheit der Geliebten, vor allem körperlich. Wer verstünde das nicht. Wolf Biermann und Eva-Maria Hagen, die Sängerin, Schauspielerin und Mutter von „Farbfilm“-Nina, waren ein großes Liebespaar, viele Jahre lang. Fast täglich haben sie sich Briefe geschrieben, nicht selten auch zwei am Tag, ganz gleich, ob sie sich in derselben Stadt aufhielten oder nicht. Seitenweise zarte Turteleien, aber auch Neuigkeiten über den Stand aller Dinge.

Im Mai 1965 lernen sich Eva- Maria Hagen und Wolf Biermann kennen. Wenig später, mit dem 11. Plenum der SED Ende 1965 und dem Beginn der Eiszeit in der Kulturpolitik, ist der zornige junge Mann in der DDR nicht mehr wohlgelitten. Wohinein sie da geraten würde, hat Eva-Maria Hagen zu Beginn der Liaison nicht ahnen können. Hagen und Wolf Biermann verstanden sich als „Kommunisten“, allerdings keine wie jedermann, sondern als „Wahrheitssucher“. Tatsächlich wirkt ihre „Wahrheitssuche“ auf den Leser anfangs weniger oppositionell denn naturhaft, verwundert und kindlich unschuldig wie ihre Liebe, die so unversehens zum Politikum wird. Plötzlich muß Eva-Maria Hagen Verleumdungen und Mißgunst begegnen, inner- und außerhalb der eigenen Reihen. Den Eifersüchteleien unter den „Staatsfeinden“ Havemann, Biermann, Heym gebührte hier ein eigenes Kapitel. Eva-Maria Hagen macht sich einmal darüber lustig.

Auf eine gemeinsame Wohnung verzichtet das Paar. „Kommunismus“, „Freiheit der Wahl“ soll diese Liebe vor allen anderen auszeichnen. Da die Beziehung sich – mit Biermanns Segen in Form eines Vorworts – nun exponiert, muß sie sich auch Neugier gefallen lassen. Man weiß ja, daß der Mensch ein komplizierter Affe ist und Utopien vornehmlich auf dem Papier funktionieren. So zeigt sich auch der „große Revolutionär, Dichter und Denker“ von „kleinlicher Eifersucht geplagt und Reue- Anfällen heimgesucht“. Eva-Maria Hagen muß sich einigermaßen gefordert gefühlt haben: Sie will und soll Biermanns Geliebte und Kollegin sein, ihn ermutigen, zwischen ihm und der Welt vermitteln. Sie füttert ihn durch, da er in der DDR nichts mehr veröffentlichen darf, kümmert sich um seine Krankenversicherung etc. Das gehört zum leichteren Part dieser Liebesarbeit, denn Hagen steht aufrecht zu Biermann, auch als man sie bearbeitet, dem „Staatsfeind“ abzuschwören. Wer ihre Liebe „mit Dreck bewirft“, fliegt raus. Mut und Mutwille lassen sich beim Verteidigen des Wüterichs nicht immer unterscheiden. Aus dem „Bearbeiten“ werden Erpressungsversuche und verdeckte Anschläge. Autos drängen Hagen von der Fahrbahn ab, wenn sie von Provinztheater zu Provinztheater tingelt. Anonyme, auch obszöne Anrufe oder solche, die fälschlich Biermanns Tod melden, häufen sich. Harte Proben, doch nicht ein Wort der Klage von Eva. Die sogenannten Frauenprobleme, den unbewältigten Kinderwunsch, die Fehlgeburt und Operationen, die Drohungen des Ex-Manns Hans Oliva-Hagen, der Nina lieber im Kinderheim als beim „Staatsfeind“ sieht – das alles muß Eva-Maria Hagen mehr oder weniger mit sich allein abmachen. Biermann erwartet von seiner Geliebten „schöne Gelassenheit“ und „zuverlässige Freundlichkeit“. „Die Frau in unserer Gesellschaft ist von Staats wegen eine Frohnatur...“, schreibt Hagen schon 1965 ironisch. Binnen- und Außendruck nehmen Ende der sechziger Jahre sichtlich zu. Das Ventil – Hagens eigene Karriere – funktioniert infolge ihres Bekenntnisses zu Biermann nicht mehr. Hagen bricht zusammen; Suizidversuche folgen.

Helden sind leider nur Privatleute. Biermann wedelt, wie zur eigenen Entlastung, mit Freuds Studie über weibliche Hysterie und bestraft Eva mit Kontaktentzug, wenn sie sich ihm gegenüber nicht „ordentlich“ benimmt. Robert Havemann – ein höchsteigener Fall, was Eigennutz und den Umgang mit Frauen angeht – mokierte sich immer über die „Frauengarderobe“ in Biermanns Wohnung und rät dem Wolf jetzt, 1968, Eva als mögliches „Produktivitätshemmnis“ fallenzulassen: Wolf brauche eine „gesunde Frau, die ... Mut macht in der harten Zeit, die heiter ist, nicht kränklich...“ Alles wollen die „Wahrheitssucher“ anders machen, menschlicher, doch die Frau bleibt eine Funktion. Die „große Liebe, die ewig dauert bis auf weiteres“, hält dennoch, mal besser mal schlechter. Hagen akzeptiert es so.

Eva-Maria Hagens Briefe sind sehnsüchtig und blumig – Biermanns sind überaus sehnsüchtig, selbstgefällig und pädagogisch. „Unabhängige Abhängigkeit“: Der Sex ist offenbar großartig und die Liebe groß – der Druck von außen auch. Privilegiert und populär als Künstlerin, bewahrt sich Eva-Maria Hagen einen wenig illusorischen Blick für die „Rangordnung in der klassenlosen Gesellschaft“. Während Biermann manisch die ideologischen Verdikte gegen sich sammelt, als seien es Auszeichnungen, sucht sie tapfer das zunehmend Selbstgerechte in seinem Zorn zu besänftigen: „Sei bißchen wie andere Leute auch“, rät sie. „Jedenfalls wünscht ich mir, daß Du Dein Leben nicht als Märtyrer fristest, Ausstellungsstück wirst, Messias der Feiglinge... Ein sich im Sprung selbst zerfleischender Wolf.“ Wäre dieser Wunsch doch nur erfüllt worden! Wolf Biermanns Berufung als Protestdichter und seine gesellschaftliche Isolation in der DDR schaukeln sich auf unselige Weise gegenseitig hoch. „Gott“ will er sein, „Adam und Joseph, der Trottel“.

Beim Versuch, ihren Landsleuten das Phänomen Biermann zu erklären, hat ihn die amerikanische Publizistin Jane Kramer als „folksinger“ beschrieben. Der Briefwechsel zwischen Hagen und Biermann gibt Kramers unbekümmerter Definition eine Unterlage. Natürlich ist zwischen 1966 und 1970 von APO, Rudi Dutschke, dem Prager Frühling und wohl auch Pete Seeger die Rede, sogar in hübschem Englisch. Die dreizehnjährige Nina hängt 1968 ein Poster von Joan Baez in der Wohnung auf. Biermann hört Dylan. Das sind so Teilzusammenhänge.

„Eva und der Wolf“ ist ein gerechtes Buch, das seine Wahrhaftigkeit aus jeglichem Verzicht auf Kommentare bezieht. Die Geschichte des Paars aus „Sonnenblume und Distelstrunk“, die auch eine der DDR zwischen 1965 und 1978 ist, erzählt sich aus sich selbst – in unzähligen Briefen, ein paar Tagebuchaufzeichnungen der Hagen, in Auszügen aus Stasi-Akten, wenigen Amtsbriefen und Zeitungsausschnitten. Daß die Staatssicherheit immer mitlas und als Adressat indirekt einbezogen werden mußte, tut der Echtheit dieses Dialogs der Selbstäußerungen und -darstellungen keinen Abbruch. „Der Stoffwechsel mit der Gesellschaft“, so Biermann im April 1970, „wie sollte er in den lettres lebendiger erscheinen, als er in der Wirklichkeit ist, in der offiziellen Wirklichkeit...“

Dies hier ist Eva-Maria Hagens große Bilanz. Was die Anpassung an DDR-Verhältnisse scheitern ließ, kennzeichnete auch ihre Beziehung zu Biermann: Hagen war weder Erziehungsobjekt noch eine Frau, die sich im Mann vergrößern mußte und dann Wunden ausstellte. Sie war und ist keine Märtyrerin, sondern ein freier starker Geist. Die Stasi-Akten führen Hagen mürrisch als „grundehrliche Person“; einmal wird sie von Kollegen „sozialistische Hexe“ genannt. Wichtig ist, daß ihr Leben einen so bemerkenswerten Unterschied machte.

Eva-Maria Hagen: „Eva und der Wolf“. Econ Verlag, 544 Seiten, 44DM

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