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Wie groß ist die Putschgefahr?

Gerüchte über die Machtübernahme des Militärs dementiert Indonesiens Regierung. Doch Präsident Habibie hat die Generäle nicht im Griff  ■   Aus Jakarta Jutta Lietsch

Als Indonesiens Präsident B.J. Habibie plötzlich Mitte dieser Woche alle Reisen absagte, hielten die Bewohner in der Hauptstadt Jakarta den Atem an: Seit Tagen schon kursierten die Gerüchte: „Er tritt zurück!“ Oder: „Das Militär will putschen!“ Wie ernst die Indonesier diese Gerüchte nehmen, zeigte sich an der Fülle der Dementis. Viele Zeitungen zitierten gestern Verteidigungsminister und Armeechef Wirantos Worte auf ihren ersten Seiten: „Nein, das ist nicht wahr.“ Diese Gerüchte entbehrten „jeder Grundlage“.

Die Spekulationen hatten Anfang der Woche neue Nahrung erhalten, als Habibie und sein Kabinett nach heftigen Debatten dagegen stimmten, das Kriegsrecht über Osttimor zu verhängen. Das hatte General Wiranto zuvor öffentlich verlangt. Stunden später, nachdem der General den Präsidenten abends in seiner Residenz besucht hatte, schwenkte der um und unterzeichnete.

Habibie steht mit dem Rücken zur Wand. Seine Stellung war zuvor ohnehin von schweren Korruptionsskandalen geschwächt. Über sein Versprechen, Osttimor nach dem Referendum in die Unabhängigkeit zu entlassen, droht er nun zu stürzen. Denn der Osttimor-Konflikt fällt in die Zeit heftiger innenpolitischer Rivalitäten vor den Präsidentschaftswahlen im November. Für die wichtigsten Köpfe der Opposition, von der Präsidentschaftskandidatin Megawati Sukarnoputri bis zum schillernden Muslimführer Abdurrahman Wahid ist Osttimor nicht etwa Anlass, über die brutale Herrschaft des Militärs zu klagen und eine Bestrafung der Mörder in Osttimor zu fordern. Sondern der Konflikt ist mittlerweile zur innenpolitischen Waffe im Kampf um die Macht geworden. Je stärker die internationale Kritik an Indonesien in den letzen Tagen wuchs, desto gekränkter und nationalistischer klangen die Reaktionen in Jakarta. Einer UNO-Friedenstruppe zuzustimmen, gilt inzwischen für viele als Unterwerfung: „Indonesien gehört nicht zu den Ländern, die vor äußerem Druck kuschen“, sagte Präsidentenberaterin Dewi Fortuna Anwar gestern scharf. Nur eine kleine Gruppe von Bürgerrechtlern und Aufrechten kritisiert das Militär und ist bereit, Blauhelme zu akzeptieren.

Jetzt fragt sich, welchen Sinn das Kriegsrecht in Osttimor haben kann – da die Militärs offensichtlich in der Region schon vorher die Fäden zogen. Wenn der Armeechef es nicht schaffen sollte, die Situation unter Kontrolle zu bringen, fragt sich auch, wie stark der Griff der Zentrale über die Regionen noch ist.

Der Gouverneur in Dili, Abilio Soares, wird nicht müde zu wiederholen, er werde nicht zulassen, dass Osttimor unabhängig wird. Damit kündigte er offen an, dass er gar nicht daran denkt, sich um Weisungen aus der 2.000 Kilometer entfernten Haupstadt zu kümmern. Unter Habibies Vorgänger Suharto, dem Soares seinen Job verdankt, wäre eine so dreiste Reaktion nicht denkbar gewesen.

Wiranto hat angekündigt, er werde die Situation mit Hilfe des Kriegsrechts und zusätzlicher Truppen in ein paar Tagen „unter Kontrolle“ bringen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Denn es scheint, als hätte die organisierte Terrorkampagne ihr Ziel schon fast erreicht: hunderttausende Menschen zu vertreiben, den traditionellen Schutz durch die Kirche zu zerstören und die Führer der Unabängigkeitsbewegung Osttimors zu ermorden oder ins Exil zu zwingen.

Ironischerweise hat das Referendum sehr deutlich gemacht, dass die Milizen keineswegs ohne Führung sind: Denn an jenem 30. August waren die Mörderbanden ganz plötzlich und fast überall friedlich und dachten gar nicht daran, das Votum zu verhindern.

Vielleicht wird der ehrgeizige General den Trick jetzt wiederholen. Er würde damit zeigen, dass er die Krise in Osttimor mit Hilfe des Kriegsrechts bewältigen kann – ohne die Schande, ausländische Blauhelme zu akzeptieren.

Wenn er das schafft, wird ihn die indonesische Öffentlichkeit als Nationalhelden feiern. Für seine politische Karriere wäre das hervorragend. Seine Rolle als starker Mann neben einem schwachen Präsidenten wäre gefestigt, das angeschlagene Image der Armee im eigenen Land aufpoliert. Der Ruf nach der Rückkehr der Generäle in die Kasernen bekäme einen unpatriotischen Klang. Ein Putsch wäre nicht mehr nötig.

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