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Berliner SPD spart sich Finanzsenatorin

Im Bund propagieren die Sozialdemokraten Sparen, Sparen, Sparen. Doch in Berlin opfern die Genossen ihre profilierteste Politikerin, die Sparkommissarin Annette Fugmann-Heesing  ■   Von Dorothee Winden

Berlin (taz) – Wer soll das noch verstehen? Die Berliner SPD hat in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU ihre profilierteste Politikerin geopfert. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, die der hoch verschuldeten Stadt einen strikten Sparkurs verordnet hatte, wird dem nächsten Senat nicht mehr angehören.

Das Finanzressort wollen die Sozialdemokraten künftig wieder der CDU überlassen, die die Stadt in den frühen 90er-Jahren in die Verschuldung geführt hatte. Dafür hatte sich der kleine Parteitag der SPD am Montagabend nach fünfstündiger Debatte mit deutlicher Mehrheit entschieden.

Die Entscheidung ist in erster Linie einer verfehlten SPD-Verhandlungsstrategie geschuldet. Bis zum Wochenende hatte die 22,4-Prozent-Partei vier der acht Senatorenposten für sich gefordert, andernfalls mit dem Scheitern der Verhandlungen gedroht. Doch die Union, die bei der Wahl am 10. Oktober mit 40,8 Prozent eine historische Bestmarke erreicht hatte, wollte dem Wahlverlierer SPD nur drei Posten zugestehen. Nach zehntägigen, zähen Verhandlungen hatten sich die Gespräche am Montag bei der Verteilung der Senatsressorts festgefahren. Als die CDU erklärte, die SPD könne entweder das Finanzressort oder das Megaressort Bauen/Verkehr/Stadtentwicklung und Umweltschutz übernehmen, gerieten die Sozialdemokraten in eine „missliche Lage“, so eine Genossin. Der kleine Parteitag entschied sich schließlich für das „Gestaltungsressort“ Bauen und Verkehr.

Der große Gewinner ist Parteichef Peter Strieder, der mit dem Mega-Ressort das gewichtigste SPD-Amt führen wird. Der 47-Jährige kann von dieser starken Ausgangsposition nun seine Ambitionen verfolgen, in fünf Jahren zum SPD-Spitzenkandidaten nominiert zu werden. Auch SPD-Fraktionschef Klaus Böger hat sein Ziel erreicht: Er wird voraussichtlich Senator für Schule und Jugend. Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler, die als Ostfrau die Doppelquote erfüllt, wird zusätzlich Soziales und Gesundheit übernehmen.

Die CDU wird wie bisher mit Eckart Werthebach den Innensenator stellen. Außerdem besetzt sie die Ressorts Wirtschaft/Technologie, Wissenschaft/Kultur und Finanzen. Das bislang SPD-geführte Justizressort wird künftig vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen verwaltet – eine umstrittene Entscheidung, die der Verkleinerung des Senats auf sieben Posten geschuldet ist (siehe Text unten).

Der 150-seitigen Koalitionsvereinbarung und der Ressortverteilung müssen am 6. Dezember noch die Parteitage von CDU und SPD zustimmen. Dann könnten die Senatoren bereits am 9. Dezember vom Abgeordnetenhaus gewählt werden.

Die Zustimmung des SPD-Parteitages galt gestern nicht als sicher. Nur mit einer knappen Mehrheit hatten sich die Delegierten vor einigen Wochen für die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen entschieden. Am Verhandlungsergebnis und der Verhandlungsführung wurde gestern erste Kritik laut. Das machtvolle Finanzressort aus der Hand zu geben sei ein Fehler, hieß es. Es gilt aber als fraglich, dass die Kritiker der Entscheidung die Stimmung auf dem Parteitag kippen können.

An der Parteibasis dürfte eine gewisse Erleichterung darüber herrschen, dass die SPD sich des quälenden Themas der Haushaltskonsolidierung nun entledigt hat. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, die 1996 aus Hessen nach Berlin geholt wurde, hat es in den letzten vier Jahren nicht vermocht, sich die Sympathien der Basis zu erwerben. Eine Hausmacht hat sie sich nicht aufbauen können.

Zu kühl und zu kompromisslos hat sie ihren harten Sparkurs vertreten. Der 44-jährigen Politikerin wird vor allem angekreidet, dass sie ihre finanzpolitische Linie zu wenig mit sozialdemokratischen Zielen verknüpft habe. „Sie ist eine gute Managerin, aber eine schlechte Politikerin“, urteilen Genossen. Taktik war ihre Stärke nicht, mit ihrer unnachgiebigen Haltung verscherzte sie es sich zeitweise auch mit den Gewerkschaften. Fugmann-Heesing gilt als harte Verhandlungsführerin, zuweilen jedoch als zu konfrontativ. Auch mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen war sie zuletzt über Kreuz.

Diepgen versuchte gestern Befürchtungen zu zerstreuen, dass es nun zu einem finanzpolitischen Kurswechsel komme. Doch ob die von Fugmann-Heesing im Koalitionsvertrag durchgesetzten Eckwerte der Haushaltspolitik von einem CDU-Finanzsenator eingehalten werden, ist zu bezweifeln.

Über Zukunftspläne äußerte sich Fugmann-Heesing gestern nicht. Dass die geradlinige Politikerin nun ihren Sitz im Parlament einnimmt, gilt aber als wenig wahrscheinlich. In den letzten Wochen war bereits über ihren möglichen Wechsel in die Wirtschaft spekuliert worden.

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