: Diepgen spart sich eigenständiges Justizressort
■ In der neu aufgelegten Großen Koalition in Berlin soll der Regierende Eberhard Diepgen künftig auch das Justizressort übernehmen. Richterbund und Anwaltverein protestieren
Freiburg (taz) – Die Berliner wussten, was sie taten. Wer ein eigenständiges Justizressort abschafft, muss nicht lange auf den Protest der Justizverbände warten. Kaum war bekannt geworden, dass künftig der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) auch das Justizressort übernehmen soll, warnte der Deutsche Richterbund vor dieser „Geringschätzung der Dritten Staatsgewalt“. Der Deutsche Anwaltverein sprach von einem „grundsätzlich verfehlten Organisationsansatz“.
Solche Warnungen sind kein blutleeres Ritual, sondern hatten in anderen Bundesländern bereits Erfolg. So wollte ursprünglich auch Peter Müller (CDU) als neu gewählter saarländischer Ministerpräsident das Justizressort mitübernehmen. Doch nach massivem Protest der Justizverbände gab er den Plan auf.
In Nordrhein-Westfalen waren die Auseinandersetzungen noch härter. Dort sollte Justizminister Fritz Behrens auch das Innenministerium übernehmen. Nach einigen Monaten erbitterter Auseinandersetzungen wurde diese Maßnahme vom nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof untersagt. Ein derartiger Schritt hätte nur per Gesetz vollzogen werden können, hieß es zur Begründung. Das Urteil kam nicht überraschend, die meisten Verfassungsrichter hatten bereits zuvor gegen die Pläne von Ministerpräsident Clement (SPD) protestiert und waren sozusagen Richter in eigener Sache.
Die Argumentation der Gegner ist immer dieselbe: Die Eigenständigkeit des Justizressorts entspreche einer deutschen „Verfassungstradition“ und betone die Unabhängigkeit der Justiz. Wenn die Gerichte einem fachfremden Minister unterstellt würden, erwecke dies „zumindest den Anschein, dass es hier zu verstärkter politischer Einflussnahme kommt“, heißt es in der gestrigen Stellungnahme des Richterbundes. Konkrete Beispiele für eine derartige Einflussnahme sind aber weder dem Richterbund noch dem Anwaltverein bekannt. Kein Wunder, die Justiz ist so oder so unabhängig – egal in welchem Ministerium sie angesiedelt ist.
Auch in den beiden Bundesländern, in denen es tatsächlich kein eigenständiges Justizressort mehr gibt – Bremen und Mecklenburg-Vorpommern –, sind bisher keine bergriffe benennbar. Henning Scherf (SPD) war in Bremen bereits vier Jahre Justizsenator, als er 1995 Regierender Bürgermeister wurde. Noch heute bekleidet er beide Ämter in Personalunion. Bremen war auch das Modell für die SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Ministerpräsident Ringstorff übernahm das Justizressort gleich mit. Dass der SPD-Mann kein Jurist ist, findet man im Osten gar nicht schlimm. Juristen waren im Osten meist besonders staatstreu und daher eher verdächtig. Man hätte also schon einen Minister aus dem Westen importieren müssen, was aber der allgemeinen Linie der Meck-Pomm-SPD widersprochen hätte.
In Bremen und Mecklenburg-Vorpommern sind die Justizressorts weiterhin eigenständige Häuser, die zum Beispiel über eigene Pressestellen verfügen. Am Kabinettstisch spricht für das Ressort allerdings der jeweilige Regierungschef. „Das muss aber nicht unbedingt ein Nachteil sein“, findet Justizsprecher Frank Müller aus Schwerin, „wenn es zum Beispiel um Stellen und Haushaltsmittel geht, hat die Justiz nun ein ziemlich starkes Gewicht.“
Der Richterbund kritisiert dagegen, dass gerade in Ostdeutschland leicht der Eindruck entstehen könnte, die Justiz stehe noch immer im Dienst des Staates. Justizfunktionäre argumentieren immer wieder mit einem „bösen Schein“, den sie allerdings vor allem selbst beschwören. Dabei sind die Verwaltungsgerichte in aller Regel schon seit Jahrzehnten bei den Innenministerien angesiedelt, ohne dass sie deshalb als besonders staatsnah gelten. Umgekehrt wurden Ermittlungen gegen Berliner Polizeibeamte auch bisher meist eingestellt, trotz eigenständigem Justizsenator. Proteste des Richterbundes gegen diese Praxis sind nicht bekannt. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen