: Die Drei vom Buchladen
Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder. Pro qm, der wichtigste Buchladen in Sachen Stadt, Pop und Kunst, muss raus aus der Alten Schönhauser Straße und hat sich ein neues, tolles Domizil gesucht
VON UWE RADA
Man könnte diese Geschichte so erzählen. Drei engagierte Buchhändler, spezialisiert auf die Themen Stadt, Kunst und Pop, können nicht mehr mithalten mit dem, was sich an Stadt, Kunst und Pop um sie herum gesammelt hat. Der Eigentümer der Räume in der Alten Schönhauser Straße in Mitte wollte die Miete vervierfachen. Also mussten die Buchhändler raus. In vielen Büchern, die sie verkaufen, steht, was dazu zu sagen ist: Aufwertung, Verdrängung, Rausmodernisierung. Die Gentrification frisst ihre Kinder.
Man kann die Geschichte aber auch so erzählen: Drei engagierte Buchhändler setzten sich einem Experiment aus. Nahe an der Szene, die schon damals nicht nur aus Kreativität, sondern auch aus Kommerz bestand, mieteten sie ein paar Räume, stellten ihre Bücher rein und warteten ab, was passiert. Nun, acht Jahre später, wissen sie aus der Praxis, was sie aus der Theorie kennen. Und siehe da: Die Praxis ist manchmal spannender als die Theorie. Auch wenn sie bedeutet, dass wieder Bücher geschleppt, Regale angeschraubt und Kunden für den neuen Laden ein paar Straßen weiter geworben werden müssen.
Dass Katja Reichard, Alex John Wieder und Jesko Fezer vom Umzug ihres Buchladen Pro qm aus der Alten Schönhauser Straße 48 in die Almstadtstraße 48–50 in der zweiten Version erzählen, hat viel mit ihrer Geschichte zu tun. Als Architekten und Künstler sind sie mehr Teil des Wandels als sein Opfer. Die erste Geschichte hätte nicht zu ihnen gepasst. Vielleicht hätte sie manch einer auch mit Häme kommentiert und auf die teuren Kunst- und Architekturbände hingewiesen und die dazugehörige Kundschaft. Also sagt Axel John Wieder lieber: „Die Entwicklung, die wir mit angestoßen haben, hat uns gezwungen, uns neu umzusehen.“
Das Ergebnis dieser Umschau sind nicht nur die neuen Räume in der ruhigen Almstadtstraße, sondern auch ein interessanter Einblick in den Wandel eines Straßenzugs. Immerhin sind die Alte und Neue Schönhauser Straße für viele ein Synonym für das hippe Mitte-Leben. „Am Anfang waren die beiden Straßen recht unterschiedlich“, erzählt Katja Reichard. „Am Rosa-Luxemburg-Platz stand das Restaurant Cantamacchio auf verlorenem Posten, am Hackeschen Mark gab es ein paar Boutiquen, in denen verkauften die Modemacherinnen selbstgemachte Klamotten. Dazwischen gab es viele alte Geschäfte.“
Doch dann wurde die Straße, trotz ihrer Enge und der Straßenbahn, die die Fußgänger auf den schmalen Bürgersteig treibt, entdeckt. Und bald schon stand sie im Rampenlicht. Wie Monsieur Vuong. „Am Anfang war das ein normaler vietnamesischer Imbiss, doch plötzlich wurde er Kult“, staunt Reichard.
Die dritte Phase der Aufwertung reicht bis in die Gegenwart. Und es ist vielleicht die letzte. „Levis war der erste Markenladen“, erinnert sich Wieder. „Dann kamen Diesel, Lee, Adidas, sogar Hugo Boss hat inzwischen einen Flagstore in der Alten Schönhauser.“ Aus der Straße der Designer wurde eine Straße der Franchiser. Das blieb auch für die Designer nicht ohne Folgen. „Der neueste Schrei“, sagt Wieder, „sind Concept Stores, in denen die Ladeninhaber ihre Lieblings-CDs, ihren Lieblingskaffee und ihre Lieblingsblumen verkaufen.“
Reichards, Wieders und Fezers Beobachtungen handeln vom Zusammenwirken von Image, Design und Ökonomie. Mitunter ist das auch eine Selbstbeobachtung. „Als wir vor einiger Zeit über einen neuen Mietvertrag verhandelt haben, sah es so aus, als würden wir uns einigen können“, sagt Reichard. „Was jetzt in unsere Räume kommt?“ Sie hebt die Schultern. „Der letzte Stand war ein Turnschuhhersteller aus den USA.“
Die kapitalistische Entwicklung, die man in der Alten Schönhauser studieren kann, ist ein Totengräber ihrer selbst. Die Freude, die das den Pro-qm-InhaberInnen bereitet, ist in den neuen Räumen mit Händen zu greifen.
Dies umso mehr, als in der Almstadtstraße ein Schmuckstück auf sie wartete. Vor allem in Architektenkreisen dürfte sich schnell herumsprechen, dass das Gebäude ein Entwurf aus dem Büro von Hans Poelzig ist. Nolens volens wird Pro qm damit zum Teil eines städtebaulichen und architektonischen Gesamtkunstwerks, das der Architekt der klassischen Moderne in den 20er-Jahren rund um das heutige Kino Babylon errichtet hat. „Aber auch das war Teil eines kapitalistischen Wandels“, erinnert Reichard. „Poelzigs Bauten entstanden genau dort, wo zuvor das alte Scheunenviertel war.“
Ob die Drei vom Buchladen in der Almstadtstraße ihre Beobachtungen fortsetzen? „Bevor wir in die Alte Schönhauser zogen, war dort der Obdachlosenverein Unterdruck“, sagt Jesko Fezer. „Die sind dann in die Almstadtstraße gezogen und mussten raus, als unser neues Haus saniert wurde.“ Etwas unwohl ist Fezer schon bei dem Gedanken, dass er und seine Kompagnons nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner der Gentrification sind.
Neueröffnung am Sonntag, 4. 2., 18 Uhr: mit Bar und Wintergrill, Almstadtstr. 48–50; 21 Uhr: Party im M12 (Berlin Carré, neben McDonald’s) Karl-Liebknecht-Str. 13
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen