: „Den Frauen zeigen, dass sie nicht allein sind“
Vor zwei Jahren wurde Hatun Sürücü von ihrem Bruder getötet. Die Tat provozierte eine Debatte um „Ehrenmorde“. Für gefährdete Frauen war die Diskussion hilfreich, sagt Luise Baghramian. Aber politisch ist sie folgenlos geblieben
taz: Frau Baghramian, der Mord an Hatun Sürücü vor zwei Jahren zog eine intensive Debatte über Gewalt in muslimischen Familien nach sich. Was hat sich dadurch bei Ihnen im Frauenhaus geändert?
Luise Baghramian: Viel. Auch in den türkischen Medien wurde ja breit berichtet. Viele Frauen, die bei uns Beratung oder Zuflucht gesucht haben, hatten nach dem Mord sehr viel mehr Angst. Plötzlich kam es bei Ihnen hoch: So etwas könnte meine Familie auch organisieren.
Haben sich seitdem mehr Frauen an Sie gewandt?
Ja, es kam eine ganze Welle. Aus ganz Deutschland riefen junge Frauen an. Auch die Frauen, die nicht direkt bedroht waren, aber Konflikte in ihrer Familie hatten, haben plötzlich gesehen: Es gibt Möglichkeiten, damit weiterzukommen. Dann haben wir viele Anrufe von Nachbarn, ArbeitskollegInnen oder LehrerInnen bekommen, die auf die Not dieser Frauen aufmerksam wurden. Junge Frauen, die Probleme haben, trauen sich jetzt eher, Unterstützung zu holen – das hat diese Debatte bewirkt.
Sie ziehen insgesamt eine positive Bilanz der Debatte?
Für die Betroffenen ist die Bilanz positiv. Sie kennen nun die Rechtslage und sie kennen die Hilfsangebote. Auch die Kommunen haben angefangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und bieten etwa Workshops an. Das ist gut. Was für ein Bild von den Migranten damit erzeugt wurde, ist allerdings eine ganz andere Frage.
Wie sah die Mehrheit der MigrantInnen die Debatte?
Erst haben alle gedacht: Nun wird wieder über die MigrantInnen hergezogen. Aber daneben gab es auch andere Töne: Das Problem sind nicht immer die anderen, die rassistisch sind. Auch bei uns selbst läuft etwas schief.
Was raten Sie solchen Frauen, die nicht gleich vor ihrer Familie fliehen wollen, aber Angst haben?
Erst muss man über die Angst reden und auch schauen, inwieweit sie real ist. Wir klären, welcher Person die Frau in ihrer Familie vertrauen kann, damit sie nicht ganz allein ist. Sie bekommt Telefonnummern von Beratungsstellen, vom Frauenhaus und von der Polizei. Wir zeigen auch, wie man diese Nummern verstecken kann. Denn wenn man unter Stress steht, hat man schnell alles wieder vergessen.
Versuchen Sie auch, mit den Brüdern oder Vätern zu reden?
Nein. Manche werden erst wirklich wütend, wenn sie mitbekommen, dass die Frau sich an uns gewandt hat. Dann wird sie erst recht eingesperrt. Aber es gibt auch Fälle, dass Brüder von sich aus bei uns Unterstützung suchen, etwa weil der Vater die Mutter oder die Schwester schlägt.
Haben sie konkrete Unterstützung aus der Politik erhalten? Mehr Geld, mehr Stellen?
Nein, leider nicht. Es wird an den Frauenprojekten gespart, jedes Jahr mehr. Aber immerhin können wir die Institutionen besser ansprechen. Wie soll sich eine Migrantin integrieren, die nur von Asylbewerberleistungen lebt? Der Sprachkurs bei der Volkshochschule kostete früher mal 30 Mark, jetzt sind es 200 Euro. Das kann keiner bezahlen. Damit konfrontieren wir die Behörden. Wenn alle immer nach Integration rufen, dann müssen sie auch etwas anbieten.
Ist es richtig, die Verbindung von Islam und Gewalt zu betonen, wie es Necla Kelek tut?
Natürlich gibt es auch in anderen Religionen Gewalt. Und es muss genauso darüber geredet werden, wenn ein Grieche oder ein Deutscher seine Frau verprügelt. Aber nun ist gerade mal die Gewalt unter Muslimen das Thema. Die wird ja nicht erfunden, sie ist da. Die Gefahr, dass auch rassistische Untertöne mitschwingen, müssen wir in Kauf nehmen.
Wie viele der Frauen, die zu Ihnen kommen, stammen denn aus streng religiösen Familien?
Das ist unterschiedlich. Ich würde nicht sagen, dass Frauen aus religiösen Familien öfter oder weniger oft kommen, denn: Wer traut sich diesen Schritt überhaupt zu? Meine Erfahrung aus dem Iran ist, dass den streng religiösen Frauen die Unterordnung oft so eingeprägt ist, dass sie gar keine Ambivalenz gegenüber der Familie spüren. Wer ambivalent ist, kommt natürlich eher heraus und will etwas ändern.
Was müsste passieren, um Ihren Klientinnen wirklich zu helfen?
Fünfundneunzig Prozent unserer Klientinnen geraten in eine Notsituation, weil sie kein eigenständiges Aufenthaltsrecht besitzen und nicht arbeiten können.
So genannte Importbräute …
Ja, sie werden als Bräute nach Deutschland geholt und sind hier zwei Jahre lang komplett von ihrem Mann abhängig. Das nutzen viele Männer aus. Das muss sich ändern. Und die Frauen brauchen mehr Information. Wenn man in die USA einwandert, dann bekommt man zuvor einen Kurs in seiner Landessprache und ein Buch mit den Rechten und Pflichten. Nach Deutschland kommen die Frauen und wissen nichts. Das läuft falsch.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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