: Streit um Klars Kritik am Kapital
Politiker von Grünen, SPD und Linkspartei: Grußwort des RAF-Häftlings kein Argument gegen Gnade. Stuttgarter Justizminister Goll rät dem Bundespräsidenten dagegen zu neuer Begutachtung Klars
AUS BERLIN DANIEL SCHULZ
Kurz bevor die baden-württembergische Justiz über Hafterleichterungen für den Exterroristen Christian Klar entscheidet, streiten Politiker immer heftiger über die öffentliche Kapitalismuskritik des früheren RAF-Kämpfers. Überwiegend aus dem konservativen Spektrum kamen Stimmen gegen eine Begnadigung Klars. Bundestagsabgeordnete von Grünen, SPD und Linkspartei betonten dagegen, die Äußerungen des Exterroristen dürften bei den Entscheidungen über Hafterleichterung und Begnadigung keine Rolle spielen.
Die neuerliche Diskussion kam auf, nachdem das ARD-Magazin „Report Mainz“ eine Grußbotschaft Klars an den „Rosa-Luxemburg-Kongress“ der Berliner Tageszeitung Junge Welt verbreitet hatte. Das Schreiben war bereits am 15. Januar in dem Blatt veröffentlicht worden. Darin hatte Klar unter anderem gefordert, „die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen“ (siehe unten).
Der grüne Rechtsexperte Christian Ströbele sagte der taz, es spiele „für die Begnadigung keine Rolle, wie hart man den Kapitalismus bewertet“. Klars Text sei an einigen Stellen „sicherlich so geschrieben, dass man fünfmal lesen muss, um ihn zu verstehen“. Aber ob der Stil schlecht und der Inhalt Unsinn sei, könne auf eine Begnadigung keinen Einfluss haben.
SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz forderte die Politik auf „sich endlich aus dieser Debatte herauszuhalten“. Er befürchte, dass „der Rechtsstaat nachhaltig Schaden nimmt, wenn wir versuchen mit seiner Hilfe Rachegelüste zu befriedigen“. Der Rechtsexperte der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Neskovic, sieht den Skandal in konservativen Forderungen, Klar müsse für immer hinter Gittern bleiben: „Auch für lebenslängliche Häftlinge gibt es verfassungsmäßige Rechte. Ein angeblicher 1a-Jurist wie Edmund Stoiber sollte das wissen und keinen Unsinn reden.“
Der scheidende bayerische Ministerpräsident hatte gesagt, nach Klars Äußerungen stelle sich die Frage, ob er „auf Dauer hinter Schloss und Riegel gehört“. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte, Klar sei zu einer „deutlichen selbstkritischen Einsicht weder bereit noch fähig“ und verdiene keine Begnadigung.
Der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP) will Klar dagegen neu begutachten lassen. Er möchte prüfen, ob „eine Gefährlichkeit fortbesteht“. Das Gutachten ist eine der Grundlagen für die Entscheidung des Bundespräsidenten Horst Köhler (CDU) über das Gnadengesuch des Terroristen.
Der ehemalige Seelsorger in Klars Haftanstalt Bruchsal, Johannes Müller, gibt der Justiz sogar eine Mitschuld an der Haltung des Exterroristen. „Zunächst einmal glaube ich, dass viele Leute die Haltung von Herrn Klar teilen“, sagte Müller der taz. „Sie würden sie aber wohl anders formulieren.“ Der evangelische Pfarrer sieht in der altbackenen Sprache Klars ein Zeichen dafür, dass ihm vom Staat die Chance zur Entwicklung verweigert worden sei. „Wenn man will, dass sich dieser Mensch weiterentwickelt, dann hätte man ihm ein Forum dafür geben müssen“, sagte Müller. „Stattdessen sind die Kontakte Klars strikt überwacht und zensiert worden, obwohl die RAF spätestens seit Mitte der Neunzigerjahre neutralisiert war.“
Müller plädiert auch heute noch dafür, Klar mit ehemaligen Kämpfern der RAF Kontakt aufnehmen zu lassen. „Wenn sich etwas in ihm bewegen soll, dann muss er mit Leuten über diese Zeit reden können, die sich in ihn hineinversetzen können und die ihm intellektuell gewachsen sind“, sagt der 59-Jährige, der bis 2005 als Pfarrer im Bruchsaler Gefängnis arbeitete.
Offenbar wusste Christian Klar, dass sich die Grußbotschaft ungünstig auf sein Gnadengesuch auswirken könnte. „Leute aus seiner Umgebung haben ihn davor gewarnt“, sagt Arnold Schölzel, Chefredakteur der Jungen Welt. „Klar hat sich dennoch für diesen Schritt entschieden.“
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