: „Das System ist faul“
INTERVIEW PHILIPP GESSLER
taz: Herr Peymann, wegen kapitalismuskritischer Aussagen wird das inhaftierte frühere RAF-Mitglied Christian Klar nun keine Hafterleichterungen bekommen. Stehen Sie weiterhin zu Ihrem Angebot, dass Klar bei Ihnen im Berliner Ensemble ein Praktikum machen kann?
Claus Peymann: Selbstverständlich. Ich bin ja kein Politiker, der, wenn die Zeitungen einmal losschreien, sofort in seiner Meinung umfällt. Wir haben uns das gut überlegt und mit dem Betriebsrat beschlossen, dass Christian Klar hier eine Chance bekommen könnte. Dabei bleibt es, und das ist auch gut so.
Man könnte meinen, dass man den Kapitalismus nicht mehr kritisieren darf.
Ja, es zeigt deutlich, wie dünn der Boden ist, auf dem die im Grunde noch junge deutsche Demokratie steht. Das, was Klar sagt, ist doch eigentlich die Meinung von fünf Milliarden Menschen auf der Welt. Er spricht das aus, was der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb von Westeuropa und Amerika denkt.
Sind Klars Ansichten auch Ihre Ansichten?
Na sicher sind das auch meine Ansichten. Es kann ja nicht sein, dass dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluss ist. Wer einen halbwegs klaren Kopf hat, weiß doch, dass es nur eine Chance für die Zukunft gibt, wenn wir das System ändern. Das, was er sagt, ist die Wahrheit. Das amerikanisch-westeuropäische System unter Führung von George W. Bush kann nicht das Rezept für die Zukunft sein. Die westeuropäischen Demokratien haben zunehmend Probleme mit Korruption, Militarisierung und Gewaltbereitschaft – das kann doch nicht gut gehen. Das System ist bis ins Mark faul. Das weiß jeder Klarsichtige – apropos Klar.
Es scheint auch nicht mehr um Klar zu gehen. Es ist eine Hysterie geworden, oder?
Ja, den Eindruck habe ich absolut. Ich hatte gehofft, dass die jetzt entstehende Diskussion um Mohnhaupt, Klar und andere vielleicht dazu führt, dass dieses verdrängte Thema der terroristischen Zeit in den Jahren vor allem zwischen 1970 und 1977 tatsächlich einmal aufgearbeitet wird. Es gehört ja zu den deutschen Untugenden, Geschichte immerfort zu verdrängen oder zu verharmlosen. So wie wir die DDR verdrängt haben und den Faschismus, haben wir auch diese tragische terroristische Zeit verdrängt. Es war die Zeit meiner Generation, die auf Veränderung gehofft hat und von der dann ein Teil in der Kriminalität geendet ist. Dass dieses Thema endlich einmal verarbeitet wird, dafür hätte die derzeitige Diskussion eine Chance gegeben. Aber jetzt habe ich das Gefühl, es kippt und wieder wird nur ein Stellvertretergefecht geführt.
Wie meinen Sie das?
Die Leute, die genug Geld haben, die können sich ihre Gefängnisstrafen abkaufen, die Kindermörder und Sexualstraftäter entlässt man voreilig und fahrlässig in die Freiheit. Aber bei Klar wird jetzt Strenge demonstriert, Rechtsfundamentalismus. Das ist schauerlich.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen