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SPD, FDP und Grüne gegen CDU-Senator

Innensenator Röwekamp (CDU) wird von allen Seiten harsch kritisiert und um Aufklärung gebeten: Warum hat er die Unwahrheit gesagt? Wir dokumentieren das Notarzt-Protokoll vom 27.12. und die Version des Innensenators vom 4.1.

„Entweder wurde Röwekamp falsch informiert oder er hat gelogen.“

Bremen taz ■ Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörg Kastendiek hat sich hinter CDU-Innensenator Thomas Röwekamp gestellt – während der Koalitionspartner SPD wie die Oppositionsparteien FDP und Grüne fassungslos vor seinen Äußerungen stehen und bohrende Fragen stellen. Röwekamp war am Dienstag offenbar völlig uninformiert ins Studio von buten un binnen gegangen und hielt auch am Mittwoch noch an der Darstellung fest, ein „Schwerstkrimineller“ müsse mit „körperlichen Nachteilen rechnen“. Über den Gesundheitszustand des hirntoten Afrikaners hatte er sich vorher offenbar nicht erkundigt. Am Dienstag hatte Röwekamp wahrheitswidrig behauptet, der Mann sei „auf dem Wege der Besserung“. Offenbar hat die Polizei den Senator eine Woche lang nicht über das in Kenntnis gesetzt, was der Notarzt am 27.12.2004 festgestellt hat: Im Polzeigewahrsam ist im Beisein von zwei Polizeibeamten ein Mann regelrecht ertränkt worden – durch eine offenbar medizinisch unfachgemäß durchgeführte Magenspülung. Röwekamp hatte dagegen behauptet, der Afrikaner habe sich vergiftet, als er auf eine Kokain-Kugel gebissen habe. Das sei die Information des Ressorts durch die Polizei gewesen, erklärte der Sprecher des Innenressorts noch gestern – bis dato hat die Polizei diese Information an ihren Senator nicht korrigiert. Auch über den Gesundheitszustand des Afrikaners wusste man im Hause des Innensenators nichts. Inzwischen ermittelt aufgrund der Anzeige des Notarztes die Staatsanwaltschaft. (Die taz dokumentiert zentrale Passagen aus dem Bericht des Notarztes vom 27.12. und der Röwekamp-Erklärung vom 4.1.)

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hermann Kleen, äußerte sich gestern empört über das Verhalten des Innensenators. Kleen: „Die Informationsarbeit des Innensenators ist nicht nachvollziehbar. Wie ist es möglich, dass er öffentlich noch behauptet, der Beschuldigte habe sich quasi selbst vergiftet, während doch schon der Notarzt in seinem Protokoll festgestellt hat, dass Wasser in die Lunge des Beschuldigten gedrungen war? Was ist mit der Aussage des damaligen Innensenators Böse im Parlament, dass in Bremen Brechmittel nicht gewaltsam verabreicht werden?“ Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Grotheer, stellte fest, dass „die gewaltsame Verabreichung von Brechmitteln angesichts der bisherigen Vorfälle nicht mehr vertretbar“ sei. Die Staatsanwaltschaft, die am Montag per Strafanzeige umfassend informiert worden war, hatte die zwangsweise Brechmittelvergabe am Mittwoch vorläufig gestoppt.

Auch der FDP-Landesvorsitzende Peter Bollhagen fordert Aufklärung: .„Alle Fakten müssen auf den Tisch“, denn „entweder Röwekamp hat seine eigene Behörde nicht im Griff und wurde deshalb falsch informiert oder er hat bewusst die Unwahrheit gesagt. Beides wäre für einen Senator fatal.“ Die Äußerung vom Mittwoch, der Mann sei schließlich ein „Schwerstkrimineller“ und müsste deshalb mit körperlichen Nachteilen rechnen, sei „eines Innensenators unwürdig“, erklärte der FDP-Chef: „Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat.“ Auch ein mutmaßlicher Straftäter „ist ein Mensch und hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit und eine menschenwürdige Behandlung durch die staatlichen Stellen.“ In einem „demokratischen Rechtstaat“, erinnert die FDP den Innensenator, müssten die mildesten geeigneten Mittel eingesetzt werden, also Abführmittel.

Matthias Güldner von den Grünen, der am Mittwoch schon Röwekamps Rücktritt gefordert hatte, richtete einen Katalog von 20 Fragen an den „politisch verantwortlichen Innensenator“, auf die er bis zur nächsten Deputationssitzung am 12. Januar eine Antwort erwartet. „Seit wann wusste die Polizeiführung, bzw. der Senator für Inneres, von dem Vorfall?“ will Güldner wissen und: „Warum wurden die zuständigen politischen Gremien und die Öffentlichkeit nicht informiert?“ Weiter fragt Güldner, ob die Innenrevision der Polizei eingeschaltet wurde und „aus welchen Quellen“ sich der Senator vor seinen unwahren Äußerungen am 4. Januar „kundig gemacht“ hat. Und schließlich: „Wie beurteilt der Senator für Inneres das Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt von 1996, (...) das die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Sicherstellung von Beweismitteln als Eingriff in die grundgesetzlich geschützte körperliche Unversehrtheit und als Verstoß gegen die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde für rechtlich unzulässig erklärte?“

kawe

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