: Rom marschiert gegen Priebke-Urteil
Zehntausende demonstrieren gegen den Beschluß des Militärgerichts. Die Auslieferung des ehemaligen SS-Manns an Deutschland ist ungewiß. Militärstaatsanwalt mimt plötzlich den harten Ankläger ■ Aus Rom Werner Raith
Eine solche Ansammlung von Politprominenz sehen selbst die Feiern zum Befreiungstag und zu den großen internationalen Anlässen nur selten: Ministerpräsident Romano Prodi, sein Stellvertreter Walter Veltroni, die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus, Mancino und Violante, der Oberbürgermeister von Rom, Rutelli. Sogar Vertreter aus den Reihen der ehemaligen Neofaschisten der Nationalen Allianz haben am Montag abend vor dem römischen Kapitol an der großen Kundgebung zur Erinnerung an die 335 ermordeten Geiseln der Ardeatinischen Höhlen teilgenommen.
Der Anlaß: das Urteil gegen den ehemaligen SS-Mann Erich Priebke, das ihn zwar des „vielfachen besonders schweren Mordes“ für schuldig befunden, die Tat jedoch wegen einiger mildernder Umstände in die Kategorie verjährter Verbrechen eingeordnet und die Freilassung des Angeklagten verfügt hatte.
Priebke sitzt zwar inzwischen erneut in Haft. Er war am Donnerstag, einige Stunden nach Verkündung des Urteils, auf Initiative des Justizministers Giovanni Maria Flick wieder verhaftet worden. Danach hatte ein Gericht bei der Haftprüfung innerhalb von 96 Stunden die Auslieferungshaft für zunächst 40 Tage bestätigt. Doch damit waren die gut 20.000 Demonstranten nicht zu beruhigen: Die Auslieferung wurde von Deutschland beantragt, und niemand kann voraussagen, ob dem Ersuchen stattgegeben werden kann. Argentinien will Priebke zwar nicht wiederhaben, doch die seinerzeit vereinbarte Auslieferungsklausel verbietet die „Weitergabe“ Priebkes an ein Drittland.
Außerdem gilt bis jetzt noch, daß niemandem wegen desselben Delikts noch einmal vor einem anderen Gericht der Prozeß gemacht werden kann. Priebke selbst betont, er wolle „erst den gesamten Zyklus der italienischen Gerichte durchlaufen“. Er wird also gegen eine Auslieferung Beschwerde einlegen – und die wird mit Sicherheit nicht innerhalb einer Frist von 40 Tagen beschieden sein. Kommt er aber frei, so die Meinung aller Sprecher bei der Demo vor dem Rathaus, dann wird ihm die Flucht gelingen.
Am härtesten geht seit dem Urteil Parlamentspräsident Violante mit dem Militärgericht um: Es habe sich „sowohl in der Materie wie in der Rechtserkenntnis“ völlig dilettantisch verhalten, unberührt von der Kenntnis internationaler Normen. Milderungsgründe bei Kriegsverbrechen, so Violante, seien nach einem UNO-Beschluß „niemals ein Grund für Verjährung“. Was die Ankläger in Sachen Beweissicherung betrieben hätten, sei auch unter aller Kritik.
Darin geben ihm mittlerweile so ziemlich alle recht: Militärstaatsanwalt Intelisano hatte offenbar nicht die geringste Ahnung, wie man Zeugen aufspürt, wie man sie verhört und wie man sie vor Gericht präsentiert. Für die Behauptung, Priebke hätte sich weigern können, den Hitlerbefehl zur Erschießung der Geiseln auszuführen, hat er keine Belege herangeschafft. Auch die konkrete Rolle Priebkes beim Zustandekommen einer durch den Befehl nicht gedeckten „Überzahl“ von Geiseln wurde nicht hinreichend geklärt. Gerichtspräsident Quistelli erklärt denn auch ein ums andere Mal, daß das „Gericht auch nicht besser sein“ könne als die Anklage.
Weshalb Intelisano nun offenbar aufgewacht ist und ganz den martialischen Ankläger zu mimen versucht. Kaum war bekanntgeworden, daß die Staatsanwaltschaft Dortmund nicht nur die Auslieferung Priebkes, sondern auch des ehemaligen SS-Sturmbannführers Karl Hass beantragt hatte, tönte Intelisano lauthals: „Gegen den Mann ermittle ich auch. Und wenn er vor Gericht kommt, dann hier und nicht wegen des Antrags der Deutschen.“ Als dieser Ausspruch auf der Demo bekannt wurde, brach die Menge in höhnisches Gelächter aus – gerade Hass steht für die Unfähigkeit Intelisanos. Er hatte den Mann, der lange Zeit als tot gegolten und sich dann durch einen Zufall verraten hatte, als Zeugen geladen, obwohl der ehemalige Offizier ebenfalls an den Erschießungen beteiligt war. Und er hatte ihn am Tag vor der Gerichtssitzung persönlich vernommen.
Offenbar so dämlich, daß der Mann in der Nacht aus dem Fenster seines Hotelzimmers einen Fluchtversuch unternahm. Wäre er nicht abgerutscht und hätte sich ein Bein gebrochen, wäre auch er wohl für die Gerichte perdu. Nun aber soll er für Intelisano zum Ersatz für die fehlgegangene Aktion Priebke werden: Tag und Nacht wird er in der Klinik in der Nähe von Rom von einem Dutzend Polizisten bewacht. Wohl, damit ihn die Deutschen nicht klauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen