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Was Mädchen in der Schule lernen

Die Journalistin Peggy Orenstein beobachtete in Kalifornien ein Jahr lang den Schulalltag. Ihr Fazit: Mädchen, die Mathe mögen, sind selbstbewußter. Die Ergebnisse können auch die deutsche Koedukationsdebatte beleben  ■ Von Diemut Roether

Was macht die Schule aus ihren Schülerinnen? Wieso werden zwölfjährige, aufgeweckte Gören, die in der sechsten Klasse noch lebhaftes Interesse an der Mathematik zeigen, während der Pubertät zu angepaßten, stillen Wesen, die im achten Schuljahr im gleichen Fach nur noch Vieren schreiben und achselzuckend nachbeten, daß ihre Mutter „auch nie gut in Mathe“ gewesen sei? Die amerikanische Journalistin Peggy Orenstein hat versucht, in kalifornischen Schulen eine Antwort auf diese Frage zu finden. Ein Jahr lang ist sie noch mal zur Schule gegangen und hat SchülerInnen und LehrerInnen im Unterricht und in den Pausen beobachtet und befragt.

Ihre Erkenntnisse, die sie in dem Buch „Starke Mädchen – brave Mädchen“ festgehalten hat, sind großenteils mit hiesigen Verhältnissen vergleichbar. Genau beschreibt sie, wie der „heimliche Lehrplan“ wirkt, der Mädchen zu verstehen gibt, daß sie weniger wert sind als Jungen. Denn ohne es zu merken – oder zu wollen –, nehmen die meisten LehrerInnen Jungen im Unterricht häufiger dran als Mädchen. Daß die Jungs stören, finden viele PädagogInnen normal, und häufig „belohnen“ sie die Störer auch noch, indem sie ihnen besonders viel Aufmerksamkeit widmen. Mädchen hingegen werden geschätzt, weil sie so schön unauffällig sind. Das ist „gut fürs soziale Klima“. Wenn sie in der Klasse doch einmal auffallen, werden sie in der Regel schärfer gemaßregelt.

Zwar berichtet Peggy Orenstein auch, daß viele Mädchen diese Mechanismen durchschauen. Sie wissen, daß „die Lehrer uns mögen, weil wir netter und stiller sind“, oder daß „Jungen häufig bloß angeben“, doch es gelingt ihnen nicht, die Spielregeln zu ändern oder zu durchbrechen. Statt dessen überfrachten sie sich mit Ansprüchen, fordern von sich selbst, keine Fehler zu machen, und erleben Mißerfolge als persönliche Niederlagen. Wenn sie in der Klasse ein- oder zweimal eine falsche Antwort gegeben hatten, schämten sich einige Mädchen so sehr, daß sie sich lieber gar nicht mehr zu Wort meldeten. Viel weniger als Jungen definierten sich die von Peggy Orenstein beobachteten Mädchen über ihre schulischen Leistungen und Erfolge. Zu sehr hatten viele schon verinnerlicht, daß es allein ihr Aussehen ist, das zählt.

Peggy Orenstein hat nicht nur die SchülerInnen der weißen oberen Mittelschicht beobachtet, sondern auch die der unteren Mittelschicht in einer nordkalifornischen Industriestadt – überwiegend AfroamerikanerInnen und Latinas: Hier, wo die Schule und die Gesellschaft Jungen wie Mädchen gleichermaßen beibringt, daß sie keine Chancen haben, gelingt es einigen Mädchen immerhin, sich „Respekt“ zu verschaffen und zu einem erstaunlichen Selbstbewußtsein zu finden. Die LehrerInnen bemühen sich kaum noch, ihren SchülerInnen etwas beizubringen. Ein Mädchen, das es schaffte, in dieser Schule ihren Notendurchschnitt innerhalb eines Jahres von vier auf zwei zu verbessern, sagt nach dieser Leistung zu sich: „Ich bin so stolz auf mich, weil ich es ohne meinen Verstand nicht hätte schaffen können.“ – Ein Satz, den Peggy Orenstein von den wohlerzogenen Mädchen der weißen Mittelschule nie zu hören bekam.

Zentrale These von Peggy Orenstein ist, daß „Mädchen und Jungen, die Mathematik und Naturwissenschaften mögen, ein stärkeres Selbstbewußtsein haben als andere Kinder“. Eine amerikanische Studie belegte Anfang der Neunziger gar, daß Mädchen, die diese „männlichen“ Fächer mögen, eher eine professionelle Karriere anstreben. Warum es allein die Naturwissenschaften sein sollen, die Mädchen Selbstbewußtsein und Stolz auf ihre schulischen Leistungen vermitteln, ist nicht ganz einsichtig. Dennoch stellt sich nach der Lektüre dieses Buches wieder einmal die Frage, ob Hillary Clinton wohl so viel Anerkennung als First Lady bekommen hätte, wenn sie nicht auf dem Frauencollege studiert hätte? Wäre Heide Simonis wohl Ministerpräsidentin ohne ihre Mädchenschule? In Dortmund haben Wissenschaftlerinnen in den achtziger Jahren herausgefunden, daß Studentinnen der Fächer Chemie und Informatik zu mehr als einem Drittel auf Mädchenschulen gelernt hatten. Angesichts des Schattendaseins, das diese Schulform in Deutschland seit den Siebzigern fristet, ein überraschendes Ergebnis.

Peggy Orensteins Buch ist ein wertvoller und fundierter Beitrag zu der Debatte um die Koedukation, die der Spiegel kürzlich aus dem medialen Nichts mit seiner Titelstory wiederbelebt hat. Viola Roggenkampf weist jedoch in ihrem Nachwort zu „Starke Mädchen – brave Mädchen“ darauf hin, daß die Rückkehr zur Mädchenschule keine Lösung sein kann. Denn die meisten Mädchen wollen in gemischten Klassen lernen – und ein Extra-Abschluß für Frauen würde bestimmt rasch wieder als „Puddingabitur“ geschmäht. Peggy Orenstein plädiert für einen anderen Unterricht, der Mädchen wie Jungen gleichermaßen fördert und sie dazu anregt, die überkommenen Rollenmodelle in Frage zu stellen. Damit irgendwann Mädchen wie Jungen das Leben als Mädchen nicht mehr als Einschränkung begreifen und Jungen auf die Frage, wie sie sich ein Leben als Mädchen vorstellen, nicht mehr antworten: „Ich müßte meiner Mama kochen helfen, und ich stelle mir vor, daß alles niedlich wäre.“

Peggy Orenstein: „Starke Mädchen – brave Mädchen. Was sie in der Schule wirklich lernen“. Campus Verlag, 330 Seiten, 39,80 DM.

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