piwik no script img

Der stille Riese am Rand

■ Eine kleine Ausstellung würdigt den großen Schriftsteller Friedo Lampe

Als Friedo Lampe am 2. Mai 1945 – sechs Tage vor der Kapitulation des Dritten Reichs - von zwei Rotarmisten am Stadtrand von Berlin erschossen wurde, war sein Tod wie sein Leben – oder wie eine Szene aus einem seiner eigenen Texte: Ein Geschehnis am Rand, ein kleines Unglück neben allen großen, leicht enthoben fast, nicht wirklich Teil des Ganzen und doch unausweichlich mit ihm verbunden. Er hatte sich nicht einem Flüchtlingszug anschließen wollen, sondern war allein zu Freunden unterwegs. Bei seiner Größe von fast zwei Metern mag er den Rotarmisten um so vieles brachialer erschienen sein, als er war. 1899 war Friedo Lampe als Sohn eines Rückversicherers im bürgerlichen Bremen geboren worden. Die Kindheit war nicht nur einfach: der nicht einmal Fünfjährige wurde wegen Knochentuberkulose in eine Kinderklinik nach Norderney verfrachtet, wo er zwei Jahre lang behandelt wurde. Die aus der Krankheit resultierende Gehbehinderung ersparte ihm später die Teilnahme an den zwei Weltkriegen, für die er jeweils genau im richtigen Alter gewesen wäre.

Nicht die Folgen seines hehren Studiums bei geistigen Größen der Zeit wie Curtius, Jaspers und Husserl brachte den Herrn Dr. phil. nach Hamburg, sondern der Broterwerb als Bib- liothekar: Zwei Jahre, von 1935 bis 1937, arbeitete Lampe für die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen in der Mönckebergstraße. Dem eigenen schriftstellerischen Schaffen ging es nicht immer gut: Sein erster, 1933 erschienener Roman, Am Rande der Nacht, wurde von den Nazis – wegen der Beschreibung der Liebe zwischen einer Weißen und einem Schwarzen, aber auch wegen der unverkrampften Darstellung von Homosexualität – auf den Index gesetzt. Die 1936 veröffentlichte Ballade Das dunkle Boot ging unter, und Septembergewitter, sein zweiter Roman, erschien 1937 so spät, daß er eben das Weihnachtsgeschäft verpaßte und liegen blieb.

„Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen: Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.“ Lampes stilistisches Credo gilt für seine wenigen Werke wie für sein Dasein: Die bürgerliche Fassade deckt die Herausforderungen einer ironischen Sicht, der heute noch moderne Stil manche traditionelle Idee. Seine Figuren stehen wie zufällig nebeneinander, hineingestellt in den Ablauf der Dinge, betrachtet mit filmischen Mittel wie Überblendungen und Schwenks.

Obwohl die großen Autoren des Nachkriegs sich gern für Lampes Andenken einsetzten, ist er heute fast vergessen. Die 1986 erschienene schöne Gesamtausgabe bei Rowohlt ist wohl nur deshalb nicht verramscht, weil noch so viele Exemplare im Keller liegen. Doch Lampe hat unermüdliche Verehrer – wie die Germanisten Johannes Graf und Elisabeth Emter, deren Ausstellung zu seinem Leben und Werk ab heute im Foyer der Zentralbibliothek zu sehen ist. „Es ist“, so Erika Werner, Lektorin für Schöne Literatur an den Bücherhallen, eine typische Literaturausstellung. Man sieht Bücher, Briefe, Manuskripte, Fotos – also eine Erinnerungsausstellung.“

Dazu veröffentlichten Emter und Graf auch einen kleinen Band, der über die Reihung der Ausstellungsstücke einer Art Biographie Lampes noch am nächsten kommt.

Während sein Lebensgefährte an der Ostfront kämpfte, schrieb Lampe: „Was hat bei dieser Brutalität alles Zartere, Menschliche noch für eine Bedeutung?“ Er hat es trotzdem aufgeschrieben. Auf die ihm eigene Art, die Georges-Arthur Goldschmidt schildert, der die schönste „Einladung zum Lesen Friedo Lampes“ schrieb: „Bei ihm, wie bei Kafka, werden die „Helden“ der Geschichten vom inneren Kern ihres Schmerzes her erfaßt und aus ihrer Selbsterfassung heraus gestaltet, die jeweils unsere eigene und allen Menschen gemeinsam ist; verlassen sind sie wie die Kinder, alleine sind sie mit ihren winzigen Tragödien und ihren belanglosen Verzweiflungen, auch sie verfolgt und Opfer sinnloser auf sie alleine beschränkter Tyranneien.“

Thomas Plaichinger

Eröffnung heute, 19.30 Uhr, Zentralbibliothek, Große Bleichen 27 (bis 21. September). Der Katalog erschien bei der Achilla Presse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen