„Es muß viel mehr gestritten werden“

■ Interview mit der Historikerin Eva Hahn vom Münchner „Collegium Carolinum“

taz: Frau Hahn, welche Seite trägt die Verantwortung für die Malaise der tschechisch-deutschen Beziehungen?

Eva Hahn: Die Frage kann so nicht gestellt werden. Der gegenwärtige Zustand drückt die Unfähigkeit beider Seiten aus, gegensätzliche Standpunkte diskursiv zu bearbeiten. Bei der gemeinsamen Erklärung geht es um Formelkompromisse. Auch die Arbeit der tschechisch-deutschen Historikerkommission orientiert sich am kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Aber über die Wahrheit läßt sich nun mal nicht abstimmen. Ich halte die tschechische wie die deutsche Gesellschaft für friedensfähig. Deshalb trete ich dafür ein, sich mehr zu streiten. Wer sich nicht streitet, wird frustriert. Frustration ist das Hauptkennzeichen in den gegenwärtigen Beziehungen.

Besteht das Problem nicht darin, daß einer Interessengruppe, nämlich den Sudetendeutschen und ihrer politischen Schutzmacht, der CSU, seitens unserer Regierung die Möglichkeit gegeben wird, den Verständigungsprozeß auszubremsen?

Das ist ein beliebtes Klischee. In Wirklichkeit drückt sich die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik nicht nur darum, zu begreifen, wie vielfältig heute die Diskussionen zu Deutschland in der tschechischen Republik sind. Man interessiert sich genausowenig für das, was die Sudetendeutschen sind wie für das, was sie denken. Selbst die einfachste Frage ist unklar. Wer sind die Sudetendeutschen? Die Landsmannschaft? Die ehemaligen Bürger der Tschechoslowakei? Einschließlich ihrer Nachkommen?

Immerhin fordert die Führung der Landsmannschaften bis heute eine Entschädigung für ihr nach 1945 beschlagnahmtes Eigentum.

Politiker kommen und gehen, die sudetendeutsche Frage bleibt. Die deutsche Öffentlichkeit muß sich mit dem kollektiven Selbstbestimmungsrecht, dem Heimatrecht der Sudentendeutschen, beschäftigen. Tut sie aber nicht.

Halten Sie denn die Idee einer kollektiven Rückkehr der Sudetendeutschen in den tschechischen Staatsverband für wünschenswert und, wenn ja, für realistisch?

Als Tschechin, die sich in der Bundesrepublik konsequent zwischen alle Stühle gesetzt hat, tut es mir furchtbar weh, daß die Tschechen „ihre“ Deutschen verloren haben. Dieser Verlust scheint mir endgültig. Aber man muß sich seiner Konsequenzen bewußt werden. In der tschechischen Öffentlichkeit wird die Zeit nach 1945 als Vergangenheit betrachtet, als ein schmerzvolles, aber abgeschlossenes Kapitel. In Deutschland wird das zumindest von den Sudetendeutschen anders gesehen. Darüber muß gestritten werden.