: Wissenswertes über Standard-Brösel
■ Das Drogenarchiv an der Bremer Uni ist auf 12.000 Titel angewachsen / Drogenforscher ziehen um
igentlich ist sein Hochschullehrer schuld. Dann war da noch diese „faszinierende Führung“ im Bremer Ratskeller. „Und irgendwann bin ich dann an den Drogen kleben geblieben“, sagt Frank Nolte. Der 29jährige sitzt in einem kleinen Zimmer an der Bremer Uni: Seit drei Jahren leitet er das „Archiv und Dokumentationszentrum für Drogenliteratur“ (Achido). Studis finden hier rund 12.000 Literatur-Titel, wenn die eigenen Selbstversuche mit Standard-Grünen oder rotem Brösel für Seminararbeiten zum Thema Drogen einfach nicht mehr ausreichen. Jetzt zieht das Achido in größere Räume um.
Jede Menge „graue Literatur“ hat sich im Achido auf fünf Bücherregalen angesammelt, verrät Archivar Nolte, „das ist in der Bundesrepublik einzigartig“. Alles, was zum Thema Drogen nicht im Buchhandel erhältlich ist, stapelt sich dort, ist per EDV erfaßt und wird von sieben Archivaren sorgsam verwaltet. Auch Backrezepte sind hier zu finden, „aber da muß man vorsichtig sein“, sagt Frank Nolte und schweigt. Doch wenn es um die „historische Wandlung von Alkoholtrinkmustern in der Bremischen Geschichte“ geht, wird der Kulturwissenschaftler schon gesprächiger. Denn das ist der wissenschaftliche Gehalt seiner Magisterarbeit: An der Bremer Uni steht „Drogenforschung“ seit Anfang der 80er Jahre im Vorlesungsverzeichnis.
Mit dem Soziologen und Juristen Stefan Quensel ging damals ein überzeugter Methadon-Befürworter an den Start. Quensel sammelte alles, was ihm zu diesem Thema in die Finger kam. Unterstützt vom Juristen und Psychoanalytiker Lorenz Böllinger und dem verstorbenen Kulturwissenschaftler Christian Marzahn kam immer mehr interdisziplinäres Material zusammen – bis schließlich der wissenschaftliche Mitarbeiter Heino Stöver 1987 das Achido aus der Taufe hob. Als dann drei Jahre später das „Bremer Institut für Drogenforschung“ (Bisdro) gegründet wurde, „gingen plötzlich Forschung und Lehre Hand in Hand“, erinnert sich Nolte.
Dicke Wälzer kramt Nolte aus dem vielseitigen Achido-Fundus hervor: „König Alkohol“ von Jack London, „Rausch und Realität. Drogen im Kulturvergleich“, oder „Die Macht der Trunkenheit“ von Hasso Spode. „Das sind alles wichtige Standardwerke“, weiß er. Denn wenn er im nächsten Semester über „Trinksitten in Norddeutschland“ informiert, sollen seine StudentInnen natürlich nicht nur im Feldversuch durch die Kneipen ziehen – da ist auch theorielastiges Hintergrundmaterial gefragt. Ziemlich brav und angepaßt sollen die Studis heute sein, wenn im kulturhistorischen Seminar Schwelgereien im Mittelalter, pathologische Säufer oder Raver- und Party-Peers mit anschließender Offenbarung „Mama, ich habe Ecstasy genommen“ diskutiert werden. „Nichts gegen die ausgeflippten 68er“, weiß Nolte.
„Ein Leben ohne Drogen ist Ziel unserer Arbeit“, steht auf einem Juso-Plakat an der Wand. Bundeskanzler Kohl pichelt dort mit CDU-Freunden Sekt. Archivar Nolte blättert in: „Genuß und Mäßigkeit – von Wein-Schlürfern, Coffee-Schwelgern und Toback-Schmauchern in Bremen“ (von Christian Marzahn): „Der Mensch muß essen und trinken mässiglich / daß er sein Herz nicht beschwere mit fressen und sauffen“, predigte Matthias Martin Reinhard im calvinistischen Bremen 1665 von der St. Stephani-Kanzel. Gefolgt von einer Abstinenzbewegung im 19. Jahrhundert: Ein „Führer durch die alkoholfreien Hotels, Speisehäuser, Conditoreien und Kaffees“ kam 1903 in Bremen heraus.
Ein Jahr später gründete sich der „Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke“. „Der Drogenabhängige wurde zum Kranken, den man heilen muß“, folgert der Achido-Archivar. Als die kiffenden Hippies in den 60ern mit Cannabis „locker draufkamen“ sprach die Medizin sogleich „vom amotivationalen Syndrom“: „Der moralische Zeigefinger suchte seinen wissenschaftlichen Beweis.“ Daß jamaikanische Bauern gar „erstmal einen rauchten, um beim Malochen noch mehr zu powern“ – das ist für Nolte ein klarer Gegenbeweis.
Wer sich mit blühendem Marihuana, synthetischen Methamphetaminen (Ecstasy) oder synthetisierten Morphinen (Heroin) interdisziplinär beschäftigen will, findet im Achido Rat. Gerade haben die Achido und Bisdro-Mitarbeiter ein neues Buch auf den Markt gebracht. In „Wider besseres Wissen – Die Scheinheiligkeit der Drogenpolitik“ bekommen „diejenigen, die sich zum Konsum dieser Drogen entschlossen haben, Wissen an die Hand“. Doch die Herausgeber mahnen zur Vorsicht: „Der Besitz und Handel mit den hier aufgeführten Drogen ist nach deutschem Recht ,illegal', verboten. (...) Die hier folgenden Informationen zum Drogengebrauch sollen nicht falsch verstanden werden.“ kat
Das Achido ist unter Tel. 218 31 73 zu erreichen. Öffnungszeiten: Montags bis freitags, von 11 bis 15 Uhr.
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